Donnerstag, 28. März 2024

Die Geburt der Jungfrau von Ghirlandaio

Die katholische Kirche begeht das Fest Mariä Geburt am 8. September

Birth_of_St_Mary_in_Santa_Maria_Novella_in_Firenze_by_Domenico_Ghirlandaio
Mariä Geburt, Fresko von Domenico Ghirlandaio

Der Tradition zufolge wird am 8. September die Nativität Mariens feierlich begangen. Eine eindrucksvolle malerische Darstellung dieses Ereignisses stammt von Ghirlandaio [1] und ist in der Kapelle Tornabuoni in der florentinischen Basilika „Santa Maria Novella“ zu bestaunen.

Der unter dem Namen Ghirlandaio bekannte Domenico Bigordi erblickte im Jahre 1449 als Kind einer Künstlerfamilie in Florenz das Licht der Welt. Wie Giorgio Vasari in seiner Biographie des Künstlers festgehalten hat, war dessen Vater Goldschmied, während sich die jüngeren Geschwister Domenicos später ebenso wie dessen zukünftiger Schwager Sebastiano Mainardi an den malerischen Aktivitäten beteiligten. Ghirlandaios künstlerisches Leben war fruchtbar und von kurzer Dauer. So starb er bereits im Jahre 1494 an der Pest und hinterließ zahlreiche Werke von großer Komplexität.

Nicht alle Ereignisse aus dem Bildungsweg des jungen Domenico sind bekannt. Man weiß jedoch, dass er bereits 1470 der „Confraternità di San Paulo degli Scultori“ (einer dem hl. Paulus geweihten Bruderschaft der Bildhauer) beigetreten war.  Dieses Datum kann als der offizielle Beginn seines Schaffens angenommen werden. Was seine Meister betrifft, berichtet Vasari von einer Lehre in der Werkstatt Baldovinettis; sicherlich sind bereits in den ersten Werke Spuren eines allgemeinen Einflusses der zu jener Zeit in Florenz ausgeführten malerischen Tätigkeit zu erkennen, der auf eine sicheren Besuch der verschiedenen Werkstätten schließen lässt.

In der allgemeinen Zusammensetzung der Kapelle Tornabuoni ist der Einsatz der Architektur als verbindendes erzählerisches Element von Interesse: Ghirlandaio konstruierte eine regelrechte Bühne [2], auf der er die handelnden Personen der Geschichten auftreten lässt; auf diese Weise entsteht ein vereinender Raum. Vor allem kommt es zu einer optischen Täuschung, aufgrund derer die Szene als etwas außerhalb der Begrenzung der Wand der Kapelle real existierend wahrgenommen wird. Ein weiteres für die Verwendung der architektonischen Perspektive in den Szenen Ghirlandaios charakteristisches Element besteht in der Wahl von in historischer und geographischer Hinsicht von den Erzählungen aus dem Evangelium abweichen Räumen als Schauplatz der Darstellung. Vielmehr handelt es sich dabei um Orte aus der Zeit und in der Stadt des Malers. So konstruierte Ghirlandaio neben seiner Berichterstattung über die von der herrschenden Klasse ausgeführten städtebaulichen und architektonischen Veränderungen in Florenz zugleich für die geistlichen Handlungen der Privatverehrung nützliche Malereien. So existieren viele zeitgenössische und frühere für die Gläubigen in der Volkssprache verfasste Meditationstexte, die die Imagination der von der Jungfrau Maria und Jesus handelnden heiligen Geschichten in der eigenen Stadt empfehlen, sodass der Alltag wie ein wahrer Ort der Meditation [3] gelebt werden kann.

Der im Werk „Nascita della Vergine“ (Geburt Mariä) gezeigte Innenraum ist eine beispielhafte Darstellung des florentinischen Humanismus. Im Zentrum eines luxuriösen Raumes mit bebilderten Pilastern befindet sich in einem Bett liegend die hl. Anna zwischen einer Wasser ausgießenden Hebamme und zwei weiteren die neugeborene Maria haltenden Frauen. Eine Prozession eleganter Damen macht sich für einen Besuch bereit; unter ihnen ist Ludovica Tornabuoni, die Tochter des Auftraggebers, erkennbar. Am oberen Ende einer links befindlichen perspektivisch perfekt ausgeführten Treppe ist die Umarmung Annas und Joachims an der goldenen Pforte in Jerusalem sichtbar. Ein imposanter mit vergoldeten Einlegearbeiten verzierter und von einem an die florentinischen Werke Donatellos und Luca della Robbias erinnernden Flachrelief mit musizierenden Putten überragter Schrank trägt die folgende Inschrift: „Nativitas tua dei genitrix virgo gaudium annuntiavit universo mundo“ (Deine Geburt, o Jungfrau Maria, kündigte der gesamten Welt die Freude an). Die Einlegearbeit enthält die Unterschrift des Künstlers (Nachname Bighordi, Vorname Grillandai).

Das Licht und die Gesichter waren Gegenstand besonders sorgfältigen Studiums, sodass die Darstellung der Szene als reales Geschehnis in der Kapelle erreicht wird. Das Fresko spiegelt sich an der gegenüberliegenden Wand im Werk „Nascita di San Giovanni“ (Geburt des hl. Johannes), das nach einem symmetrischen Schema ausgerichtet gestaltet wurde. Die Geburt des Täufers tritt kompositorisch in einen Dialog mit der Geburt Marien. Der Schauplatz ist weniger prunkvoll, jedoch ebenso vielschichtig. Unter den verschiedenen eine statischere Haltung einnehmenden Figuren stechen die Leichtigkeit und die Anmut der auf dem Haupt einen Obstkorb tragenden Magd hervor. Der entstehenden Dynamik begegnet der Betrachter erneut in den Bewegungen der einen Krug haltenden Magd, die im Bild „Nascita della Vergine“ (Geburt Mariä) Wasser in eine Schüssel gießt und an die einen Wäschekorb auf dem Haupt tragende Gehilfin von Filippo Lippi erinnert, die auf den im  Dom von Prato untergebrachten Fresken zur „Nascita di Santo Stefano“ (Geburt des hl. Stephanus) sichtbar ist. Bei den in das Geburtszimmer eintretenden Mägden handelt es sich um ein wiederkehrendes Thema. Im Falle Ghirlandaios besitzen der von der Magd gehaltene Korb und die strohumflochtenen Flaschen neben der wörtlichen Bedeutung der Unterstützung der Wöchnerin insofern auch einen präzisen ikonografischen Wert, als der Granatapfel [4], die Weintrauben und der Wein als Anspielung auf die Entstehung der Kirche fungieren. Die ihre Arme in Richtung des Maria stillenden Kindermädchens ausbreitende Gehilfin findet sich erneut in den Fresken zur Geburt des hl. Johannes des Täufers im Dom von Prato wieder. Das von Warburg [5] als antikes Vorbild für die die Früchte tragende Magd identifizierte Element wurde vollkommen in eine christliche Ikonographie übertragen. Ghirlandaios Rückgriff auf Elemente aus unterschiedlichen Vorbildern  wurde von der Kritik im Laufe des vergangenen Jahrhunderts unterschiedlich aufgenommen. Von manchen wurde er sogar lediglich als guter Handwerker bewertet. In Wahrheit ist Ghirlandaio der treue Sänger jener gebildeten und erlesenen Kultur rund um einige Mitglieder des medizäischen Hofes im Zeichen der effizienteren stilistischen Innovation.

Ghirlandaio zeigt, dass nicht nur ständige Experimente und Innovationen einem Künstler Größe verleihen, sondern auch die vertiefte Kenntnis der künstlerischen Sprache, der Meisterschaft der Umsetzung und großer stilistischer Qualitäten.

Rodolfo Papa ist Dozent für Geschichte der Ästhetik an der päpstlichen Universität Urbaniana, Künstler und päpstlicher akademischer Ordinarius. Er zählte zu den Experten der 13. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode.

Website: www.rodolfopapa.it  Blog: http://rodolfopapa.blogspot.com  e.mail:rodolfo_papa@infinito.it

FUSSNOTEN

[1] zu Ghirlandaio, vgl. Rodolfo Papa, Ghirlandaio, Dossier Nr. 246, Giunti, Firenze 2008.[2] Vgl. John Shearman, Arte e spettatore nel Rinascimento italiano, Milano 1995, S. 10-58.[3] Vgl. Michael Baxandall, Pittura ed esperienze sociali nell’Italia del Quattrocento, Torino 1978 S. 41-103.[4] Vgl. Mirella Levi D’Ancona, The Garden of the Renaissance. Botanical Symbolism in Italian painting, Firenze 1975.[5] Vgl. Aby Warburg, Arte del ritratto e borghesia fiorentina. Domenico Ghirlandajo in Santa Trinita; i Ritratti di Lorenzo de’Medici e i suoi familiari (1902), in  La rinascita del paganesimo antico, Città di Castello, 1991, S. 109-146. Im Unterschied zu den Ausführungen bei Warburg ist meines Erachtens nicht so sehr von einer Wiedergeburt des Paganismus zu sprechen als von der Heranreifung eines mehrere Jahrhunderte langen Prozesses der Wiedererlangung der Sprache der Antike im Lichte der von der Konstitution der klassischen Kultur hervorgebrachten christlichen Inkulturation der griechisch-römischen Welt. So finden sich antike Elemente in der gesamten langen künstlerischen Geschichte seit dem Hochmittelalter.

Quelle: Rodolfo Papa. Dieser Artikel erschien auf dem Nachrichtenportal Zenit.org und darf hier weiterverbreitet werden. The Cathwalk empfiehlt seinen Lesern das Abonnieren des zenit.org-Newsletters.

 

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