Donnerstag, 28. März 2024

Von Kirchweih, Enten und der bayerischen Volksseele

Von Franziska Holzfurtner

Jedes Jahr zu Kirchweih trifft sich meine Münchner Familie zur Ente. Oberflächlich nicht sehr komplex handelt es sich aber bei genauerer Betrachtung um ein umfangreiches Ritual. Eben solch ein Ritual, von dem Herr Gallina am Donnerstag behauptete, es existiere in Bayern nicht.

Die Aufdeckung eines alten Familienrezepts und ein Versuch der Ergründung Bayerns.

Man nehme zwei mittelgroße fette Enten, Salz, einen großen Kopf Sellerie, einen großen Kopf Endiviensalat, Teig für Kartoffelknödel, Kräuteressig, Sonnenblumenöl, Salz und Pfeffer.

Mehr nicht? Mehr nicht.

Dieses Rezept teilt mit dem Bayern an sich eine ganz wesentliche Eigenschaft: Simplizität. Nicht Simplizität im Sinne von Dummheit, mangelnder Feinfühligkeit oder gar Askese, sondern in dem Sinne, dass er nicht gewillt ist lange über Dinge zu diskutieren, die längst geklärt sind. Beispielsweise wie eine Ente zubereitet sein muss oder was die richtige Religion ist. Zweitens liebt er Übersichtlichkeit und Klarheit. Dabei besitzt er weniger einen Trieb, Ordnung zu schaffen sondern vielmehr eine Grunderwartung an die Welt, dass sie von sich aus in Ordnung zu sein hat. Sie ist es nicht, diese Welt. Aber man kann zumindest durch das Braten von Enten einen bescheidenen Beitrag leisten.

Blaukraut killed the Selleriesalat

Dies ist meiner Familie der Auftrag meines Vaters. Mein Vater ist ein eindrucksvoller Patriarch, von beachtlicher Höhe und noch viel beachtlicherer Breite. Von der Sanftheit eines Bernhardiners in gesetztem Alter, zeitgleich von der Erkenntnis geplagt, dass die Welt zu seinen Lebzeiten nicht mehr in Ordnung kommt, leidet er seit einigen Jahrzehnten unter chronisch schlechter Laune, die man in Bayern als Grant bezeichnet.

Gelegentlich findet man in einer der Enten noch ein Säcklein mit Innereien. Dass viele Enten ohne Innereien verkauft werden und dass Entenblut aus Gründen der Lebensmittelhygiene mittlerweile gänzlich unerwerblich geworden ist, hält mein Vater für einen Hinweis auf die nahende Apokalypse, die dann wohl tragischerweise per EU-Richtlinie ohne Blutseen auskommen muss.

Die Enten werden nun gewaschen und geputzt, auf ein Gitter gelegt und überbrüht. Gesalzen und gepfeffert wandern sie in den Ofen. Schneiden Sie auch die Flügelchen ab und bewahren sie diese und die Hälse aus dem Innereienbeutelchen auf!

Dort verbleiben sie für einige Zeit, während ein Sellerie für den Salat geschnitten und gekocht wird. Der Selleriesalat ist in Oberbayern nicht eine, sondern die Beilage zur Ente. Viele werden einwenden, sie hätten in München bereits Ente mit Blaukraut verspeist. Gemeinsam mit bekannten Ungeheuerlichkeiten, wie dem „Wiener Schnitzel vom Schwein mit Pommes“, regiert das violette Unkraut wie ein illegitimer Despot die Münchner Gastronomie. Dabei hat der Selleriesalat erhebliche Vorteile: er macht keine Flecken und ist leicht zu verdauen. Die Durchdringung der Münchner Esskultur durch das Blaukraut, speziell an Orten wo es nicht hingehört, ist heute jedenfalls gut spürbar.

Das maßlose Entsetzen, mit dem mein aus dem Magdeburgischen stammender Anhang auf die „Rotkohl“-Losigkeit meiner Familienenten reagierte, gibt eine gute Vorstellung davon, wie es passierte, dass die Münchner Restaurants sich alsbald auf die gekräuselte Leibspeise der Zugereisten verlegten und der Selleriesalat zum Privatvergnügen verkam.

Er ist für mich ein Symbol der Minderwertigkeitskomplexe Bayerns. Im Verlauf der Geschichte waren wir als Katholiken in den Augen der Deutschen immer nicht-so-gute-Deutsche und als Deutsche in den Augen der Katholiken nicht-so-gute-Katholiken. Der Bayer weiß selbst nicht so richtig, was er möchte. Er wäre gerne so effizient wie ein Deutscher, aber er ist gelassen wie ein Italiener. Er wäre gerne so beweglich wie ein Italiener, aber er ist plump wie ein Deutscher. Im Umgang mit der an ihn herangetragenen Ablehnung, hat er zwei Strategien: entweder werden Vorurteile ins Gute umgedeutet oder man übernimmt, wie beim Blaukraut, seufzend den „Verbesserungsvorschlag“ und behauptet, man habe es immer so gemacht, während man es daheim heimlich ganz anders macht. Nur für mich in meinen eigenen vier Wänden zu wissen, dass Selleriesalat besser ist, tröstet mich und ich bin dafür bereit, Blaukraut auch vollkommen zu Unrecht zu hassen. Wir Bayern sind angewiesen auf unseren Stolz, um zu ertragen wie die Welt mit unserer Kultur, unserer Sprache, unserem Fußballverein und unserer Religion umspringt.

Aber reißen wir uns aus dieser im Dunste gekochten Selleries schwelgenden Depression. Lassen Sie den weichen Sellerie einfach im Kochwasser abkühlen. Letzteres benötigen wir noch.

Nun ist es bald an der Zeit, zum ersten Mal die Enten aus dem Ofen zu nehmen, umzudrehen und wieder in den Ofen zu stellen. Dann werden sie mit dem Fond aus der Fettpfanne übergossen und zurückgestellt.

Die Entstehung von Kirchweih

An dieser Stelle haben wir Zeit für einen Exkurs in die Entstehung des zentralen Kirchweihfestes und der Koch hat Zeit für das erste Bier des Tages. Zu Kirchweih wurden früher einmal tagelang die Patrozinien der einzelnen Gemeinden gefeiert. Und weil es so viele gab, war immer irgendwo Kirchweih. So konnten ganze Landstriche monatelang lahmgelegt werden. Da man aber im Bayern des 19. Jahrhunderts der protestantisch-aufklärerischen Vorstellung anhing, Müßiggang sei die Hauptursache von Armut, versuchte man die Feierwut einzudämmen. In Kenntnis der Unwilligkeit des bayerischen Volkes dazu, sich einzuschränken, zumal wenn es um den Genuss von Schweinsbraten, Enten, Bier und Festliturgien ging, versuchte man zumindest alle Kirchweihfeste auf einen Tag zu legen den dritten Sonntag im Oktober nämlich. Dieser Feiertag hatte durchschlagenden Erfolg: fortan feierte man die staatlich verhängte zentrale Kirchweih und zusätzlich das Patrozinium. Dieses Phänomen nenne ich gerne die „bayerische Epikie“: Ein unliebsamer Befehl wird dem Wort nach befolgt, aber so, dass er vollkommen wirkungslos wird.

Die Bayerische Geschichte ist voll von Beispielen. Der Bayerische König stimmte beispielsweise den Karlsbader Beschlüssen zu. Aber nur so weit diese der Bayerischen Verfassung nicht widersprechen, was sie aber zu diesem Zeitpunkt größtenteils taten. Andere Beispiele sind die Gründungen von Raucherclubs in Bayern nach 2008 oder das sogenannte St.-Außenrum-Gehen, bei dem man den Eröffnungssegen eines Gottesdienstes besucht, spazieren geht und dann zur Kommunion wieder erscheint; „dann guit’s ja“.

Diese Mentalität scheint mir über die jahrhundertelange Konfrontation mit katholischem Regelwerk entstanden zu sein. Während der protestantische Teil Deutschlands dazu tendiert, die Intentionen hinter Regeln und Gesetzen zu erfassen und sie im festen Glauben an deren Sinnhaftigkeit sogar noch überzuerfüllen, versucht der Bayer sie einzuhalten, so dass ihn keiner in seinen Kreisen zu stören legitimiert ist, dabei aber ein möglichst bequemes Leben zu führen.

Ein zweites Mal werden die Enten umgedreht.

Finale Grande und Unmäßige Mäßigung als bayerische Tugend

Gegen Ende der zweiten Garzeit machen Sie sich nun an die Salate und Knödel. Stellen Sie einen großen Topf auf und bringen Sie darin reichlich Salzwasser zum Kochen. Rollen Sie unterdessen Knödel ungefähr in der Größe eine Schlagballs. Kleinere Knödel haben den Vorteil, dass man mehr davon essen kann. Die Knödel dürfen Sie auf gar keinen Fall kochen! Wie das Herz eines bayerischen Mannsbildes verlangen sie eine zärtliche und liebevolle Behandlung, sonst zerlegen sie sich in einen grantigen, indifferenten Matsch.

Waschen und schneiden Sie den Endiviensalat, machen Sie beide Salate mit einem einfachen Dressing aus dem neutralen Öl, dem Kräuteressig und Salz an.

Gießen Sie die Flüssigkeit aus der Fettpfanne ab. Wenn sich das Fett auf dem Fond oben abgesetzt hat, gießen Sie das Entenschmalz in ein Gefäß und stellen Sie es kalt. Es ist eine hervorragende Zugabe zu Gemüse- und Kartoffelbeilagen und Fastenspeisen.

Fastenspeisen? Sich mit Entenschmalz vollzustopfen ist aber kein Fasten, mag nun der Protestant sagen oder der katholische Extremist (seltsam genug, dass diese beiden hier plötzlich einer Meinung sind). Deshalb sympathisiert der Bayer nicht mit ihnen, auch, wenn er vielleicht für einen Franken eine Ausnahme machen würde. Extremismus stört beim Essen. Als der Apostel schrieb, man solle sich davor hüten, lauwarm zu sein, da hatte er vermutlich nicht geahnt, mit welch feurigem Eifer der Bayer einmal lauwarm sein würde. Wenn es ihm an die Gemütlichkeit geht, wird er ironischerweise rasend.

Gießen Sie den Fond in einen Topf (idealerweise haben Sie auch – siehe Rezept – eine Entenbrühe aus Flügeln und Hälsen) und probieren Sie ihn: ist er zu schwach, kochen Sie ihn ein, damit er stärker wird. Ist er zu stark, verlassen Sie die Küche und lassen Sie jemand anderes weiterkochen. Sie können die Sauce noch etwas abbinden. Spätestens jetzt müsste die Familie vom Gottesdienst zurückkommen. Lassen Sie ihre Kinder eine festliche Tafel decken. Die Salate müssen in einer gesonderten Schüssel serviert werden, damit sie die Sauce, diese barocke, preußischer Schmallippigkeit trotzende Sauce nicht verwässern!

Essen Sie so viel, dass Sie glauben, bis zur Weihnachtsgans hin ohne Ente überleben zu können und trinken Sie im Anschluss einen bayerischen Kümmelschnaps. Einen auf den Erzbischof, einen auf den Ministerpräsidenten und wenn Sie ganz lustig sind, einen auf den Kronprinzen.

Lehnen Sie sich zurück und spüren Sie in Ihren Bauch hinein. Diese leicht melancholische Wohligkeit, die Sie nun verspüren dürften, satt, träge, sich selbst genügend…

Das ist des Bayern Anteil am Paradies.

Franziska Holzfurtner betreibt den Blog Gardinenpredigerin, auf dem sie versucht, liberale, katholische und religionswissenschaftliche Perspektiven zusammenzubringen. Seit diesem Jahr arbeitet sie an ihrer Promotion in Religionswissenschaft.

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