Donnerstag, 28. März 2024

Die Zukunft der christlichen Kunst

Eine Gegenüberstellung von Philosophie und Politik (1/2)

Wie in dieser Rubrik bereits des Öfteren festgestellt wurde, ist der Versuch einer Diskussion über Kunst ein sehr komplexes Unterfangen. Zu diesem Zeitpunkt über christliche Kunst zu sprechen erscheint als gleichsam unmöglich, da in den Windungen unserer Gegenwart ein Gefühl der Niederlage zu spüren ist, als ob alles, das Geschichte hat, überholt, vergangen und daher „inaktuell“ sei. Dem Christentum selbst wird vorgeworfen, inaktuell und überholt zu sein. Dies betrifft nicht nur seine Kunst und ist leicht anhand der laufend von den Medien verbreiteten jüngsten Ereignisse der nationalen und internationalen Politik nachzuvollziehen. Sind jedoch die derzeitigen, in unsere Zeit fallenden Geschehnisse tatsächlich so radikal verschieden im Vergleich zu 50 oder 100 Jahren zuvor? Ist etwas Nützliches für eine Definition der Moderne und Postmoderne rückverfolgbar, sodass Differenzierungen für eine Neubetrachtung der Kunst vorgenommen werden können?

Man kann nicht ignorieren, dass alle Päpste seit dem vergangenen Jahrhundert zur Praxis der sakralen Kunst einladen. Künstler, wir Künstler, sind zur Arbeit für die Kirche eingeladen. Viele von uns haben dieser Einladung bereits im jungen Alter stattgegeben und diese als Berufung betrachtet. In jedem Fall befindet sich die Kunst jedoch selbst innerhalb der katholischen Kultur auf einem langen Passionsweg.

Für eine erneute Auseinandersetzung mit der Diskussion über die Künste aus einer neuen Perspektive soll eine politisch-philosophische Betrachtung des bulgarischen Philosophen Tzvetan Todorov entlehnt werden, der eine tiefe Beziehung zwischen der pelagianischen Häresie und der Auffassung der modernen Politik an sich postuliert. Todorov zufolge nimmt der Mensch mit der Errichtung der Moderne eine atheistische Haltung ein. Durch die Ablehnung Gottes stellt er sich eine neue, allein kraft des Fortschritts zum Heil fähige Welt vor: „Durch den Übergang aus dem Bereich des Individuums in jenen der Kollektivität und die Befreiung aus dem vorangegangenen religiösen Bild hat sich der pelagianische Plan radikalisiert. Nun setzt sich die Vorstellung durch, wonach der menschliche Wille – unter der Annahme, dass dieser gemeinschaftlich wird – das Gute regieren lassen und allen das Heil bringen kann; dieses glückliche Ereignis wird sich nicht nach unserem Tod im Himmel vollziehen, sondern im Hier und Jetzt […] Wenn ein Messias existiert, so handelt es sich um eine kollektive Person; das Volk, eine Abstraktion, die es einigen Individuen ermöglicht, sich als seine Menschwerdung zu zeigen. Der Verzicht auf jede Sakralität übernatürlichen Ursprungs begünstigt die Verbreitung einer neuen Hoffnung. Die Menschen stellen sich vor, dass sich die neue Welt entsprechend ihren Wünschen und ihrem Willen verändert und ihr Handlungswille erweist sich als gesteigert: Nunmehr ist alles erlaubt und möglich. Wie die Pelagianer denken die Revolutionäre, dass dem unendlichen menschlichen Fortschritt keine Hindernisse in den Weg zu legen sind; die Erbsünde ist der Aberglaube, den es zu überwinden gilt“ [1].

Dieser Interpretation zufolge ist die Religion tatsächlich das zu beseitigende Hindernis. Dies betrifft nicht so sehr die damit verbundenen Epiphänomene wie etwa die Kunst. Mit Gewalt wird behauptet, dass Gott nicht interessant sei, dass man ohne ihn leben könne und daher alles mit ihm in Zusammenhang Stehende inaktuell sei. In diesem Licht ist die christliche Kunst nicht mehr aufgrund ihrer Thematisierung Gottes attraktiv. De facto strebt das moderne Denken ein Überholen des religiösen Elementes und somit all seiner Erscheinungsformen an. Das „System der christlichen Kunst“ fällt somit nicht aufgrund des alleinigen Willens des Überholens dieser künstlerischen Formen systematischen Angriffen und Abwendungen zum Opfer, sondern aufgrund des von diesen künstlerischen Formen Dargestellten: des „christlichen Glaubens“. Damit wird uns der Grund der merkwürdigen Struktur der kunstgeschichtlichen Handbücher erklärt: An der Schwelle des 18. Jahrhunderts angelangt, versteilen sie sich inhaltlich – auf eine Belobigung der Revolution, Originalität und Diskontinuität als absolute Werte der künstlerischen Forschung ausgerichtet und die Kunstkritik auf wenige und möglicherweise banale Dinge reduzierend – zu krampfhaften Übertreibungen.

Diese nunmehr permanente Lage antihistorischer Liquidität – in der die Vergangenheit anachronistisch rekonstruiert wird und die Gegenwart den Ort der Konkretisierung aller grenzenlosen Wünsche darstellt – erscheint dauerhaft und unabänderlich. Allerdings können den Überlegungen eines anderen politischen Philosophen, Augusto Del Noce, zufolge interessante Auswege aus der Krise gefunden werden. Diesbezüglich sei auf Massimo Borghesi  hingewiesen, der in einer seiner letzten Arbeit über Del Noce Folgendes festhielt: „Der Ausweg aus der dem positivistischen und postrevolutionären Nihilismus entstammenden Krise erfordert die ‚religiöse‘ Option. Diesen Punkt hat Del Noce niemals dementiert. […] Im Folgenden findet sich der Hinweis, dass ‚die Gefahren der permissiven Gesellschaft nicht einfach auf politischem Wege überwunden werden können. Ein religiöses Erwachen ist notwendig‘. Das neue Datum ist der Untergang der Revolution als Ersatz der Politik für die Religion bei der Befreiung des Menschen“ [2]. Das religiöse Erwachen ist die Antwort auf die Ereignisse der vergangenen Jahrhunderte; d.h., jene Ereignisse, die nunmehr scheinbar nahe der Erfüllung des revolutionären Ersatzes der Religion durch die Politik sind.

FUSSNOTEN

[1] Tzvetan Todorov, I nemici intimi della democrazia, Garzanti, Milano 2012, S. 45.[2] Massimo Borghesi, Augusto Del Noce. La legittimazione critica del moderno, Marietti. Genova-Milano 2011, S. 343.

Rodolfo Papa ist Dozent für Geschichte der Ästhetik an der päpstlichen Universität Urbaniana, Künstler und päpstlicher akademischer Ordinarius. Er zählte zu den Experten der 13. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode. Website:www.rodolfopapa.it Blog:http://rodolfopapa.blogspot.com e.mail: rodolfo_papa@infinito.it

Quelle: Rhodolfo Papa: Dieser Artikel erschien auf dem Nachrichtenportal  Zenit.org und darf hier weiterverbreitet werden. The Cathwalk empfiehlt seinen Lesern das Abonnieren des zenit.org-Newsletters.

Siehe auch: Teil 2:

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