Donnerstag, 1. Juni 2023

Gläubige Eiferer vs. eifrige Gläubige

Die Piusbruderschaft in der Krise – 7 heikle Fragen an Pater Niklaus Pfluger

Der Erste Assistent des Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X. ist ständig in der ganzen Welt unterwegs und besucht die verschiedenen Niederlassungen des Werkes Erzbischof Lefebvres. Man kann ihn als „Peter Scholl-Latour der Piusbruderschaft“ bezeichnen. Wie einst der heuer verstorbene Reporter zeichnet sich Pater Pfluger dadurch aus, dass er umfassend informiert ist und sich nicht scheut, auch unangenehme Dinge deutlich anzusprechen. So auch im folgenden exklusiven Interview über die momentane Autoritätskrise der Piusbruderschaft.

1. Hw. Herr Pater Pfluger, es scheint, als hätten die eifrigen Protagonisten des „Widerstandes“ es geschafft, die Deutungshoheit über das Leben Erzbischof Lefebvres zu erlangen. Ihnen zufolge war der Gründer der Piusbruderschaft ein engstirniger, unentspannter und undiplomatischer Fanatiker. Liegt hier Geschichtsverfälschung vor?

Von „Deutungshoheit“ kann keine Rede sein. Im Gegenteil, der sogenannte Widerstand – eigentlich müsste man genauer sagen: „Pseudo-Widerstand“ – hat sich bereits ob dieser Frage der Interpretation gespalten. Die Fundis unter ihnen sagen offen, Erzbischof Lefebvre hätte sich geirrt, da er einen Kontakt mit dem Heiligen Stuhl und eine Regularisierung der Bruderschaft nicht grundsätzlich ausgeschlossen hat.

Es ist üblich, seine eigene Legitimität für die Gegenwart in der Geschichte und in geschichtlichen Erfahrungen zu holen. Insofern liegt es nahe, vergangene Ereignisse und historische Personen in einem Licht darzustellen, die für aktuelle Pläne günstig sind. Die „Résistance“ versucht ausgiebig, Erzbischof Lefebvre für ihre Ideen zu instrumentalisieren. Doch dieser war viel zu katholisch, viel zu sehr ein Mann der universalen Kirche, als dass er sich für dieses Sektierertum in Anspruch nehmen ließe. Er dachte und handelte weit, weltweit, katholisch eben. Er ist ja auch ein Konzilsvater, er hat 1988, zwei Jahre nach dem Skandal von Assisi, eine Vereinbarung unterschrieben, die er nur deshalb zurückzog, weil er überzeugt war, Rom halte sich nicht an die Vereinbarungen (Bischofsweihe bis zum 15. August).

Beim Pseudo-Widerstand handelt es sich nicht nur um Geschichtsverfälschung. Diese Leute machen aus Fragen des praktischen Handelns, der Klugheit, der Diplomatie, daraus machen sie eine Frage des Glaubens – den sie selbst definiert haben.

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2. Kann es sein, dass die Beleidigungen und Verleumdungen der letzten Zeit gegen die Führung der Piusbruderschaft ursächlich auch auf ein einseitiges Sündenbewusstsein des modernen Menschen zurückzuführen sind, der es nicht für sündhaft hält, sich über alles und jeden erhaben zu fühlen und sich selbst die einzige Befehlsinstanz ist?

Das klingt zwar schön, aber ich glaube, es ist schlichter. Diese Leute praktizieren vielmehr mit großem Eifer eine Religion, die sie nicht verstehen. Die haben schon Sündenbewusstsein, oft sogar da, wo keine Sünde ist (es finden sich unter ihnen Moralisten, ja sogar Jansenisten). Das ist ja schon kurios, dass Menschen, die sich für die treuesten römischen Katholiken halten, vor nichts so viel Angst haben als vor Rom. Sie haben nur noch einen Feind: Bischof Fellay! Wie gesagt, es handelt sich um eine ganz extreme Verweigerungshaltung der Realität gegenüber.

Im Grunde haben sie einen protestantischen Glaubensbegriff. An Glaube und Gehorsam werden subjektivistische und persönliche Kriterien angelegt. Katholisch ist das nicht.

3. Der „Widerstand“ hat im deutschsprachigen Raum keinen Zulauf. Aber gibt es bei uns nicht etwas viel gefährlicheres, einen sogenannten „Widerstand light“, der zwar nicht offen rebelliert, aber in der typisch deutsch-biedermeierlichen Gemütlichkeit im status quo – der sozialen und kirchlichen Isolation – verharren möchte?

Das ist sicher ein Problem. Wir haben ja alles, unser Priorat, unsere Grundschule, unsere Gemeinde, unseren Bischof, was wollen wir mehr? Gläubige sind oft auch kulturell konservative Menschen, die wollen einfach keine Veränderung. Deshalb sind wir ja auch nicht so missionarisch, wie wir sein könnten; weil wir eben neue Leute – mit anderen Ideen und Erfahrungen − nicht wirklich willkommen heißen, denn ein Gemeindewachstum ist ja immer eine Veränderung. Mit all den traumatischen Erfahrungen in Kirche und Gesellschaft seit nunmehr über 50 Jahren ist Neues suspekt. Darum stößt das bisweilen auf Ablehnung. Ich würde das aber nicht mit der „Résistance“ in Beziehung bringen. Es ist ein generelles Problem und betrifft uns alle. Sicher erklärt es die Skepsis gegen die Bemühungen um eine Regularisierung der Bruderschaft zum Teil, aber es geht darüber hinaus. Es ist eine grundsätzliche pastorale Herausforderung.

Es gibt Ausnahmen, dort wo neue Gemeinden und Gruppen entstehen, in Afrika, im Osten (Polen), auf den Philippinen vor allem, in Nordamerika, in jungen religiösen Gemeinschaften. Aber weltweit kann man beobachten, dass sich in alt eingesessenen traditionellen Kreisen ein wenig überall ein allgemeines Unbehagen ausbreitet. Es ist das Gefühl einer tiefreichenden Ermüdung, Enttäuschung auch, ‚ras-le-bol‘, sagen die Franzosen, auf alemannisch hat man die Nase voll und keine Lust. Dieses Unbehagen erfasst den Einzelnen, aber auch die Familien, die Gemeinden, Gemeinschaften, das Apostolat. Wie gesagt es gibt wunderbare Ausnahmen. So berichtete uns P. Udressy vor kurzem im Generalrat, dass seit wenigen Jahren in der KJB ein großer Eifer und eine echte Begeisterung festzustellen sind.

In den Anfängen der traditionellen Bewegung war diese Begeisterung allumfassend, all gegenwärtig. Bekehrungen und Berufungen überall, Gründungen und Messzentren in der ganzen Welt. Höhepunkt dieser Begeisterung war das große Ereignis der Bischofsweihen 1988. Auch der Erzbischof war in den Anfängen der Bruderschaft der festen Überzeugung, die Krise werde sich bald legen, die Kirche werde in greifbarer Zukunft ihre Tradition wiederfinden. Doch die Krise dauert und dauert, wird schlimmer und schlimmer. Manch einer hat noch in den 80er-Jahren ein „exponentielles Wachstum“ erträumt, aber mittlerweile haben wir nicht mehr genügend Berufungen, um die verschiedenen Ausfälle zu ersetzen und die Gemeinschaften zu stabilisieren. Mit einem Wort: die Realität ist nicht so simpel wie manche sich das ausgedacht haben; oder, wie der Generalobere es kürzlich formulierte: „Wir haben unsere Situation idealisiert.“

4. Hat die Führung der Priesterbruderschaft im Laufe des Jahres 2012 ihre Sendung, den katholischen Glauben und das Generalkapitel des Jahres 2006 verraten?

Die Frage stellst Du mir? Du weißt, die einen sagen, wir haben sie verraten, weil wir uns nicht sofort mit dem Vatikan geeinigt haben, die anderen, weil wir überhaupt mit dem Heiligen Stuhl reden. Beide Seiten sind absolut davon überzeugt, allein recht zu haben. Allein das zeigt doch, dass wir nichts und niemanden verraten haben, sondern nur in einer schwierigen Zeit unseren Weg abgesteckt haben.

Dazu kommt, und das möchte ich doch betonen, Erklärungen eines Generalkapitels sind keine dogmatischen Texte! Genauso wenig wie eine Predigt des Generaloberen oder wie dieses Interview. Es sind keine unfehlbaren Entscheidungen, sondern wollen auf ganz bestimmte Situationen und Umstände antworten. Wären Sie mit Glaubensartikeln gleichzustellen, dann könnten wir ja jedes Mal dieselbe Erklärung verlesen lassen.

Keiner von uns Oberen hat sich 2006 vorstellen können, dass der Hl. Stuhl das Dekret zu den Exkommunikationen von 1988 zurücknehmen, oder, dass der Papst in einem Motu Proprio erklären würde, die ‚Alte Messe‘ sei niemals abgeschafft worden, sie hätte ein Recht in der Kirche! 2006 war die Haltung Roms uns gegenüber aggressiv, apodiktisch: Entweder ihr spurt, oder ihr seid draußen. Mittlerweile ist aber einiges in Bewegung geraten. Wenn ich an das letzte Treffen in Rom mit Kardinal Müller und seinen Sekretären denke, dann ist offensichtlich, dass der Heilige Stuhl riesige Probleme zu bewältigen hat. Die Bewegung der Tradition ist keine „quantité négligeable“ mehr, pastorale Eskapaden des Papstes und Heiligsprechungen en masse hin oder her.

Bei unserer großen Lourdes-Wallfahrt vor 6 Jahren durfte der Generalobere nicht öffentlich zelebrieren, in diesem Jahr heißt uns der Ortsbischof herzlich willkommen und unsere drei Bischöfe feiern Pontifikalämter in der Pilgerbasilika. Man muss sich das vor Augen halten: ein Kardinalspräfekt ist gegen einen andern; Kardinäle der heiligen Kirche kritisieren offen den Papst, und dieser lässt über Moralfragen abstimmen! Auch uns gegenüber gibt es keine einheitliche Politik mehr: der Papst sagt offen, wir seien katholisch, ein Ortsbischof dekretiert, wir seien schismatisch usw. Die Einheit ist dahin; „Rom“ ist nicht mehr ein Block; niemand weiß, wohin die angekündigte Reform der Kurie führen wird.

5. Verstehen Sie Menschen, die sich in unseren Kreisen deshalb nicht wohlfühlen, weil mancherorts selbstgefällige „Prioratsplatzhirsche“ ein intolerantes Klima der Gesetzlichkeit und des Moralismus verbreiten? Gibt es neben der indifferenten Toleranz und dem totalen Liberalismus auch eine katholische Toleranz und eine Liberalität, die wir pflegen müssen?

Manchmal sind diese „Prioratsplatzhirsche“ sozusagen der Stachel im Fleisch, die dafür sorgen, dass das Klima offen bleibt; attraktiv und missionarisch. Die Friedhofsruhe ist eine ganz gefährliche Ruhe. Es kann auch sein Gutes haben, wenn nicht immer alles harmonisch verläuft und es im Gebälk knistert. Nein, ich kenne natürlich diese Sorgen, dass wir zu eng werden, zu starr; wir haben davon eben schon gesprochen. Nochmals, die Bruderschaft ist aus dem Widerstand gegen den Zusammenbruch des religiösen Lebens nach dem Konzil entstanden. Und daraus erwächst dann auch eine Mentalität, dass man so einen Ruin nicht nochmal erleben will. Das finde ich verständlich. Also lieber alles lassen, wie es ist; Neuem kritisch gegenüberstehen. In den frühen 70ern war das Festhalten am „unter den Weibern“ gewissermaßen die Qualitätsmarke für den Widerstand gegen die Neuerungen. Danach wurde aus der Übersetzung „Weib“ statt „Frau“ eine Glaubensfrage, man sah darin einen Frontalangriff gegen das Dogma der Jungfräulichkeit Mariens.

Natürlich ist die Zeit eine andere, hat sich der Rauch verzogen, können wir nicht einfach stehen bleiben. Aber man muss auch überzeugen, Vertrauen schaffen, Mut machen. Ich gebe Dir aber Recht, dass der Graben zwischen dem, was bei uns so als angemessen gilt und dem Alltag größer wird, und dass das nicht immer nur ein Zeichen für den Niedergang der Welt ist, sondern auch an Realitätsverweigerung bei uns liegen kann. Toleranz und Liberalität sind immer typisch für die Kirche gewesen, die eine Weltkirche ist: groß, alt und ewig jung, erfahren. In dem Maße, wie diese Kirche den Bach runtergeht, was sie ja seit dem Konzil und seinen Reformen nachweislich tut, verschwindet auch diese Weite und es bleiben kleine Gruppen übrig, die oft auch klein im Denken sind. Also, gerade die Jugend soll für gute katholische Liberalität werben, das ist wichtig! Man sprach früher von der „bayerischen Liberalität“, da gab es im staatlichen, besonders aber auch im kirchlichen Bereich, zwei Prinzipien: 1. „Bei uns ist es Brauch.“ 2. „Leben und leben lassen.“

6. Gibt es nur in der Piusbruderschaft „geistliche Früchte“? Falls nein; mit welchen altrituellen Gruppen und Gemeinschaften sehen Sie Möglichkeiten der Zusammenarbeit?

Extra Ecclesia nulla salus“ -: das gilt für die Una Sancta, die heilige Kirche, und diese ist grösser als die Bruderschaft! Aber Deine Frage ist eine sehr wichtige und – leider – eine ganz aktuelle. Vielleicht denken gewisse, die traditionelle Bewegung sei die Kirche; außerhalb unserer Kreise gebe es keinen wahren Glauben, keine geistlichen Früchte. Das wäre eine ganz und gar unkirchliche Versuchung, die auch nicht durch die Kirchenkrise oder die Skandale in der Kirche zu rechtfertigen ist.

Sie kommt daher, dass man sowohl in der Liturgie, ganz besonders in der religiösen Kunst, aber auch in Lehre und Spiritualität (Bräuche, Devotionen, religiöse Praktiken) geneigt ist, die wahre große Tradition mit den Traditionen zu verwechseln, also mit Art und Weise, wie man in den letzten zwei Jahrhunderten kirchlich und religiös gelebt hat. Billigreisen, Globalismus und Multi-Kulti haben da vieles aufgebrochen und weit gemacht. Traditionen können so verschieden sein, wertvoll und sinnvoll, sie sind aber kein Naturgesetz. Was bei uns Brauch ist, ist anderswo undenkbar und umgekehrt. Ich bin vor einigen Wochen zurückgekehrt aus Indien, ich denke jetzt spontan an den „Dhoti“, das traditionelle Beinkleid der indischen Männer, das Gegenstück zum „Sari“ der Frauen; vereinfacht gesagt: die Männer tragen Röcke und die Frauen Hosen! In Tokio musste ich das Sonntagsamt ohne Schuhe zelebrieren, und auf den Fidschiinseln gab es zur Begrüßung den „Kava“, ein traditionelles Getränk, völlig ungenießbar und darüber hinaus leberschädigend.

Ist es nicht ein wenig so, was der Routine des 19. oder 20. Jahrhunderts widerspricht, ist schnell mal „modernistisch“, „liberal“, „freimaurerisch“? Eine solche, falsch verstandene Tradition ist nicht attraktiv, kann nicht überzeugen. Genauso wenig wie es genügen kann, die Kirche nach dem Bild der 50er Jahre aufzubauen oder stereotyp die Argumente der 70er zu wiederholen. Da ist viel Formung und Aufklärung nötig; Klugheit und Unterscheidungsgabe tun Not; mit Klischees und Schnellschüssen ist da kein Staat zu machen; es gilt, den großen Reichtum der Tradition und der Christenheit zu entdecken und frei zu graben. Manchmal denke ich, wenn uns das in den nächsten Jahren nicht wirklich gelingt, dann wird es sehr schwierig, die Tradition überzeugend weiter zu vermitteln.

Nur die Kirche ist allgemein und vollkommen, sie wird von außen nicht bereichert, schon gar nicht durch andere Religionen. Aber kirchliche Gemeinschaften brauchen sehr wohl die Kirche. Ist die Bewegung der Tradition ein Glied der Kirche und braucht sie die allgemeine Kirche und andere Teile der Kirche, oder definiert sie sich schlichtweg als „die Kirche“, das ist die Frage? Wenn sie „nur“ ein Teil der Kirche ist, wenn gleich ein äußerst wichtiger, dann besitzt sie nicht den ganzen Reichtum der Kirche und deren Tradition, und sie kann nicht darauf verzichten, mit anderen Gemeinschaften in Kontakt zu sein und andere Elemente zu übernehmen, die sie nicht besitzt. Es wäre zu einfach, all das, was uns nicht entspricht, als unfruchtbar, häretisch und konziliar zu bezeichnen. Dazu kommt, dass es sogenannte theologische Grade bei den Entscheidungen und Definitionen der Kirche gibt. Eine Häresie, ein von der Kirche verurteilter Irrtum, ein nach unserem theologischen Urteil bezeichneter Irrtum und eine theologische Meinung sind nicht dasselbe!

Nach dem alten Grundsatz „lex orandi est lex credendi“ – „wie man betet, so glaubt man“ – kann man sagen, und das bestätigen viele Statistiken, dass dauerhaft nur dort, wo die Liturgie und die Glaubensverkündigung stimmen, es katholisch bleiben wird, es geistliche Früchte gibt und die Kirche sich erneuern kann.

Als der Prophet Elias niedergeschlagen war und sterben wollte, weil er jahrelang gegen Heidentum und Untreue des Volkes vergebens gekämpft hatte und meinte, er sei als einziger Rechtgläubige übrig geblieben, musste ihn Gott belehren, dass es noch 7000 waren, „die ihr Knie vor Baal nicht gebeugt haben“ (1 Kö 19, 18).

Löscht den Geist nicht aus“, sagt der Apostel Paulus. Wir kennen das berühmte Christus-Wort: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.“ Aber es heißt auch, „wer nicht gegen euch ist, der ist für euch.“ (Vgl. Mk 9, 38 – 40) Wir sind Teil einer Erneuerungsbewegung, die aus der Tradition schöpft und deshalb Kraft hat. Wir sind ein wesentlicher Teil, und wegen der Rettung der Römischen Liturgie, die ja faktisch das Werk des Erzbischofs ist, sogar ein unverzichtbarer. Darauf sind wir stolz. Das ist etwas ganz Besonderes, es ist eine Erwählung! Aber wer nun denkt, alle anderen seien weniger wert oder hätten keine geistlichen Früchte, der sehe, dass er nicht falle. Man mag schon manchmal den Eindruck gewinnen, dass die Erneuerungsbewegung stolpert, leider, weil sie nicht geeint ist. Die Anderen kooperieren nicht wirklich mit uns, weil wir ja (für sie) „draußen“ sind, und unsere „Résistance“ will nicht mit denen kooperieren, weil sie „drinnen“ sind. Spaltung ist nie ein Werk Christi.

7. Die Piusbruderschaft als „geistliche Familie“ hat massive Probleme. Wie kann den Spaltern, sowohl vermessenen Laien wie ungehorsamen Priestern, effektiv begegnet werden? Tragen nicht auch die „Normalos“ Schuld an der jetzigen Situation, da sie – was man den „Widerständlern“ wenigstens nicht vorwerfen kann – oft weniger eifrig und interessiert am Glaubenskampf sind?

Gegen die Beschreibung, wir hätten massive Probleme, wehre ich mich. So einfach ist es nicht. Ja, es gibt Probleme, aber es gibt auch Wunder der Gnade. Ich denke an die Ausbreitung der Glaubens, die Treue im Kleinen, die vielen schönen katholischen Familien, Seelen die sich um Heiligung bemühen. Und dass die Probleme allein auf die paar Weggänge zurück zu führen sind, glaube ich auch nicht. Siehst Du, wir sind eine Bewegung, die aus der Ablehnung der Reformen nach dem Zweiten Vatikanum entstanden ist. Wir waren das Rettungsboot für viele wirklich fromme Katholiken, die in den 1970ern, 1980ern plötzlich ihre Kirche nicht mehr wieder erkannt haben. Und die genau deshalb schätzen, was sie haben. Nun müssen wir aber erklären, dass wir nicht mehr in dieser Zeit leben, dass sich die Dinge weiterentwickelt haben, und dass wir uns deshalb auch immer neu positionieren müssen. Nun sehen die Gläubigen aber auch, dass die Krise der Kirche nicht überwunden ist, ja, dass es doch eigentlich immer schlimmer wird. Es entsteht also ein innerer Widerspruch zwischen den Erfahrungen und Sorgen der einen und den Erwartungen der anderen, sicher auch der Realität außerhalb. Und dieser Widerspruch, das streite ich nicht ab, macht uns zu schaffen.

Wir haben uns vor dem Niedergang nach dem Konzil gerettet, aber wir haben eben auch durch unsere Sondersituation neue Probleme. Deine Fragen in diesem Interview haben diese eigenen Probleme sehr betont, und das kann nicht schaden, denn zu oft sehen wir nur die Gefahr durch den religiösen Modernismus. Nur, es gibt eben nicht nur Skylla, es gibt auch Charybdis. Zu einem gewissen Teil sind diese Probleme, die wir haben, einfach Konsequenzen aus der Kirchenkrise und unserer Sondersituation, zu einem anderen Teil sicher auch Folgen menschlichen Fehlverhaltens. Aber da müssen wir eben überzeugen, argumentieren, gewinnen. Ich wünsche mir schon, dass man den Wortführern, die kein Maß und keine Mitte kennen, die, wie ich es oben genannt habe, mit großem Eifer eine Religion betreiben und für eine Kirche streiten, die immer größer sind als sie selbst, klarer widerspricht. Es schadet uns nicht wirklich, wenn dieser ungute Geist weggebrochen ist. Diese Leute sind keine eifrigen Gläubigen, es sind gläubige Eiferer, und sie müssen spüren, dass sie nicht die Gläubigen repräsentieren, sondern nur sich selbst. Da sind alle Gläubigen und gerade auch die Jugend gefordert.

Die Stürme toben (weiter), die Diskussionen und Streitereien auf der vergangenen Synode in Rom über die Familie sind schockierend, und der Generalobere der Bruderschaft predigt in Lourdes über die Tugend der Hoffnung! Keine Verschwörungstheorien, keine Apokalyptik, sondern contra spem in spem (Röm 4, 18), Hoffnung wider alle Hoffnung. Das ist katholisch. Auf dem Höhepunkt der 68er Kulturrevolution, drei Jahre nach dem Konzil, schrieb Erzbischof Marcel Lefebvre an die Mitglieder seiner Ordensgemeinschaft, deren Generaloberer er damals war, einen auch heute noch lesenswerten Artikel mit dem Titel: „Warum wir Optimisten sind?“ Und er nannte zwei Gründe: der katholische Glaube, den wir von der Kirche empfangen haben, und eine neue Jugend, die sich für ein christliches Leben begeistern lässt.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE MATTHIAS JEAN-MARIE SCHÄPPI IM SPÄTHERBST 2014. Alle Rechte vorbehalten.

1 Kommentar

  1. Um die konkreten Glaubenslehren scheint es nicht mehr zu gehen. Und auf das eigentliche Wesen und die geistigen Ursachen der Krise wird gar nicht erst eingegangen. Der „Zusammenbruch des religiösen Lebens“ ist jedoch nur die logische Konsequenz dieser Ursachen, die aber gar nicht wirklich beleuchtet werden. Die Moderne gründet auf einem Wandel des Geistes und dem entsprechenden Abfall vom Glauben, wobei es sich genauer gesagt um einen Religionswechsel handelt, nämlich von der katholischen Religion des transzendenten Gottes zur Religion des Menschen bzw. immanenten „Gottes“.

    Der katholische Traditionsbegriff hängt auch nicht an lokalen Bräuchen oder konservativen Partikular-Anschauungen. Damit wird nur von der eigentlichen Thematik abgelenkt. Die schleichende Anpassung an den Zeitgeist wird implizit gar als „wahrer Widerstand“ verklärt. Auf gewisse, hausgemachte Erscheinungen wird nun munter eingedroschen. Es wirkt auch nicht besonders attraktiv, wenn man Zitate aus der Bibel auf etwas anwenden will, worauf sie sich aber mitunter gar nicht beziehen oder sogar etwas Gegenteiliges meinen. Und die „Hoffnung wider alle Hoffnung“ ist nicht gerade jene Hoffnung, die auf sich selber oder die eigene Unternehmung setzt. Der Aspekt der Wahrheit bzw. tatsächlichen Verheißung wird da gar nicht erst beachtet.

    Die bloße Praktizierung von religiösen Handlungen und Riten ohne deren eigentlichen geistigen Sinn bzw. transzendente Bedeutung wird letztendlich zum Pharisäismus. Das erkennen auch die säkularen Menschen. Und wenn allein die Fortführung der „Alten Messe“ (um welche handelt es sich dabei eigentlich genau?) das Heil gewährte, warum kam es dann überhaupt zur Krise, da doch bis zur Einführung des NOM alle Bischöfe die „Alte Messe“ zelebriert haben?

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