Dienstag, 19. März 2024

Der Jargon der Betroffenheit – Raus aus der politisch korrekten Sprachlosigkeit

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Bildquelle: https://charismatismus.files.wordpress.com

Fast jedes katholische Kind besucht von der ersten bis zur letzten Klasse einen zweistündigen Religionsunterricht. Noch immer hören eta 10 Prozent der Katholiken jeden Sonntag eine vielleicht zehnminütige Predigt und am Samstag Abend gibt es – fast eine Tradition wie „Dinner For One“ an Silvester – das „Wort zum Sonntag“, das Millionen von Zuschauern sehen. Und doch scheint es, dass kaum eine gesellschaftliche Gruppe so erfolglos ist wie die Kirche. Immer weniger Menschen kennen die Bedeutung christlicher Feste und, was noch schlimmer ist, immer mehr Leuten fehlt die Begeisterung für das, was eigentlich die eine frohe Botschaft sein sollte.

Fragen nach dem Zölibat, der ehelichen Treue, der sexuellen Enthaltsamkeit und des Priestertums, das allein den Männern vorbehalten ist, sind meist nur vorgeschobene „Stammtischthemen“, um nicht deutlich sagen zu müssen, dass die Kirche und ihre Verkündigung schlichtweg langweilig geworden sind. Über die genannten Themen wird ja in den wenigsten Gottesdiensten gepredigt. Sie „überleben“ in Talkshows, Boulevardblättern und Initiativgruppen verbitterter und mittlerweile alt gewordener Damen und Herren, die einen „heldenhaften“ Kampf gegen Windmühlen führen. Don Quichotte, der „Ritter von der traurigen Gestalt“, hat es als literarische Gestalt zu Weltruhm gebracht. „Wir sind Kirche“, „Aufruf zum Ungehorsam“ und all die anderen sind seit wenigstens drei Jahren fast völlig in Vergessenheit geraten. Die 80er Jahre, in denen Frauen mit lila Stola noch Schlagzeilen machten, sind vorbei.

Mut zum Profil, Entscheidung für die Kante

Die Verkündigung der Kirche aber scheint genau in dieser Zeit stecken geblieben zu sein. Es geht um Frieden und Harmonie, innere Freiheit und mutig gezeigte Zärtlichkeit, Gemeinschaft im Mahl und „mal so, mal so“ neue Liturgieformen, die die Einheit stärken sollen. Aber das alles kommt nicht an! Ein Pfarrer meiner Heimat lädt an den beiden Zählsonntagen, die in der Diözese abgehalten werden, stets eine stadtbekannte Jazzband ein, damit sich dann das Gotteshaus füllt.

Die Zahlen stimmen – aber schon eine Woche später bleiben die Gläubigen aus, weil die Predigt zu langweilig ist, und sie nicht wissen, was die hl. Messe ist, deren eigentlicher Wert nicht von der Wortgewalt des Priesters abhängt. Wir predigen davon, stets das Gemeinsame zu suchen und zu benennen, weil die Einheit der Christen, der Religionen, der Völker das höchste Ziel sei, aber dabei vergessen wir, dass eben diese Einheit die natürliche Frucht der Wahrheit ist, die eine Gruppe bekennt. Selbst wenn man „wahr“ und „falsch“ vermeiden möchte, um ja nicht zu urteilen, so geht es doch um eine eindeutige Meinung.

Es geht um Kante und Profil, es geht um das „Salz in der Suppe“ – nicht um zuckersüßen Griesbrei, den vielleicht Kinder mögen, aber Erwachsene nur in ganz geringen Maßen genießen können. Die politischen Parteien würden nicht immer und immer wieder betonen, dass sie mehr gemeinsam haben als sie trennt, obwohl das stimmt. Sie alle stehen auf dem Fundament des Grundgesetzes und bekennen sich zu den Werten des Rechstaates. Politisch interessant sind sie aber nur dann, wenn sie sich profilieren und dabei manchmal auch provozieren.

Eine gesunde Demokratie hat den Streit der Parteien und Politiker dringend nötig. Um es ganz provokant auszudrücken: Ein „politischer Ökumenismus“, der die Spaltung aller Parteien überwinden möchte, wäre eine demokratische Katastrophe! Der Bürger muss Optionen haben, zwischen denen er wählen kann. Wer heute eine Sonntagspredigt hört, kann oft nur schwer nein sagen. Wer ist denn gegen Liebe, Vergebung, Freiheit, Barmherzigkeit, ein Lächeln für Außenseiter und ein gutes Wort für Alleingelassene? Subtil beraubt die moderne Verkündigung ihre Zuhörer der Entscheidungsfreiheit.

Mut zur Provokation

Erik Flügge, ein junger Kommunikationsexperte, hat unlängst ein provokantes Buch vorgelegt, in dem er hart mit der kirchlichen Predigt ins Gericht geht: „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“. Der Untertitel provoziert – nicht zuletzt wegen des beinahe vulgären Ausdrucks, der so vielen von uns unpassend erscheint, wenn wir seriös und ernsthaft von Kirche sprechen wollen. Aber mit dieser Sprache – „Dem Volk auf’s Maul geschaut“, wie Martin Luther sagte – hatte zum Beispiel zuerst die Reformation, dann die Gegenreformation Erfolg. Es geht nicht darum, andere zu beleidigen, wohl aber herauszufordern und ihnen damit eine wirkliche freie Entscheidung zu ermöglichen, die Konsequenzen hat.

„Honig im Kopf“ heißt ein wunderbarer Film mit Dieter Hallervorden, der einen demenzkranken Mann spielt. Bernhard von Clairveaux, ein gewaltiger Prediger, der hunderte Berufungen durch sein Wort geweckt hat, ist der Doctor mellifluus, der honigfließende Doktor. Aber nicht, weil er verklebte Gehirnwindungen hatte, sondern weil seine Verkündigung geschmeckt hat. Wer davon gekostet hatte, wollte immer mehr und wurde – politisch ist das heute völlig inkorrekt – immer radikaler in seiner Entscheidung für Christus, von dem er nicht genug bekommen konnte. Hier wird das Wort Melanchtons, das Flügge immer wieder zitiert, wahr: Wer Christus hat, hat alles und kann alles.“

Wer entlarvt den „nackten Kaiser“?

Nochmals zum homiletischen und liturgischen Griesbrei in unseren Kirchen. Zu Recht fragt Flügge: „Muss es nicht einen Unterschied machen, ob ich in der Kirche oder Kita bin?“ Wir alle scheinen mittlerweile ein bisschen Honig im Kopf zu haben, denn wir merken nicht mehr, dass die Plakate der Erstkommunionkinder in unseren Kirchen einfach nur bunt und nett sind (und das meist nur für die Familien der Jungen und Mädchen), aber gar keine Botschaft mehr präsentieren. Wir halten uns an den Händen, lächeln uns an, singen „Kleines Senfkorn Hoffnung“, tragen Steine zum Altar, um unsere Last „abzugeben“ und knüpfen Friedensnetze. Die Kirche ist zum spielenden Kleinkind am Baggersee geworden. Die Kirche hat – wie der Kaiser im Märchen – keine neuen, schönen Kleider mehr an, sondern ist nackt. Und keiner sagt’s. Wie sehr warte ich bei manchen Gottesdiensten, Firmrunden, Bibelkreisen und Gesprächsgruppen, die sich um eine bunt gestaltete Mitte treffen, auf das Kind, das endlich ausruft: „So ein Schmarrn!“. Schluss mit Griesbrei in der Kirche!

Jesus ins Zentrum statt „gestalteter Mitte“

Erik Flügges Buch spricht mir auf vielen Seiten aus der Seele, und immer wieder kann ich mir Schmunzeln oder gar Lachen nicht verkneifen, wenn er zum Beispiel den Wortgottesdienst einer Pastoralreferentin beschreibt, deren einziges Ziel es ist, bei ihrem Publikum „Betroffenheit“ hervorzurufen – vage Gefühle in Herz und Buch, die „irgendetwas mit mir passieren lassen“. Da steht sie vorne. „Sie trägt seltsame Gewänder. Zu viele Farben sind in diesem Outfit kombiniert. Sie nennt es „authentisch“, ich nenne es oh je. Aus einem kleinen CD-Player tönt Nora Jone’s Musik.“ Symbole und Bibelworte, Zitate aus dem „Kleinen Prinzen“ und Gesten des „Sich Öffnens“… Ganz zu Recht kommentiert Flügge: „Ich werde von gestandenen Theologinnen und Theologen, Priestern und Pfarrerinnen und Pfarrern in der katholischen und der evangelischen Kirche aufgefordert, Kraftsteine aneinander zu schlagen, Kraftplätze zu erspüren, barfuß Spuren im Sand zu hinterlassen,  Licht zu teilen, Zettelchen zu beschreiben oder einer Klangschale zu lauschen. Damit man es nicht Esoterik nennen muss, wird irgendwie – und sei es mit Gewalt – eine Bibelstelle passend zur Methode umgebogen.“

Warum machen so viele kirchliche Mitarbeiter das? „Je stärker ich mich Symbolen bediene, desto weniger bin ich gezwungen, mich selbst zu positionieren.“ Die bekannte Gretchenfrage in Goethe’s Faust müsste all diesen „Pastoralexperten“ gelten: „Wie hälst Du’s mit der Religion?“ – „Wie hälst Du es mit Jesus, seiner wirklichen Auferstehung, seiner wahren Gegenwart, seiner Macht, die nicht nur inneres Empfinden, sondern Kraft und Wahrheit ist?“ Alles bleibt Griesbrei: „Keine Ecken, keine Kanten, schlicht Einheitsbrei, der keinem weht tut.“

2 Kommentare

  1. Vielleicht ist es aber auch so, dass jemand, der in einer Kirche Esoterik, in die er Bibelstūcke hineinzwingt, betreibt, einfach gar nicht an Gott glaubt.
    Und das ist einfach ein starkes Signal, an alle die da sitzen und vielleicht selbst zweifeln.

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