Donnerstag, 28. März 2024

50 Jahre „Good Vibrations“ (The Beach Boys): Goodbye Surfing, Hello God

Von Stefan Ahrens

Wer schon 1966 regelmäßig Radio gehört hat, wird vermutlich unzweifelhaft einen eklatanten Unterschied zu heutigen Zeiten feststellen können: Denn wenn 2016 im Radio die Nachrichten aufregend sind und die Musik eher langweilig ist, so war es vor 50 Jahren noch genau umgekehrt.

Wie es sich wohl angefühlt haben muss, die jeweils „neueste“ Single der Beatles, Rolling Stones oder Bob Dylan zu hören? Und wie muss es wohl für damalige Hörgewohnheiten erst gewesen sein, zum allerersten Mal das Popmeisterwerk „Good Vibrations“ von den „Beach Boys“ zu Gehör zu bekommen – einen Song, der im Gegensatz zum sonst üblichen „Strophe-Refrain-Strophe“-Popsongprinzip aus mehreren „Sections“ (Fragmenten) bestand und sowohl die Beatles beeinflussen als auch die gesamte Musikproduktion nachhaltig revolutionieren sollte.

Heute vor genau 50 Jahren wurde „Good Vibrations“ am 10. Oktober 1966 veröffentlicht.

Beach Boys-Mastermind Brian Wilson: Gottsucher und Genie der Popgeschichte

Nicht nur „Good Vibrations“ sondern auch die gesamte Karriere der „Beach Boys“ hätte es nicht gegeben ohne deren Bassisten und Co-Leadsänger Brian Wilson. Er gründete 1962 die Band mit seinen Brüdern Dennis (Schlagzeug) und Carl (Leadgitarre) sowie seinem Cousin Mike Love (Leadgesang), später kam noch der Schulfreund Al Jardine (Rhythmusgitarre) hinzu. Er schrieb bis zur Mitte der 1960er Jahre nicht nur mit unterschiedlichen Textern das gesamte Songmaterial der Band, sondern produzierte und arrangierte es auch noch selbst.

Nicht ganz zu Unrecht sah er sich als einziger Musiker, der mit seiner Band den Beatles musikalisch und produktionstechnisch Paroli bieten konnte. Wilson wähnte sich in einem Produktionsduell mit den Fab Four aus Liverpool – und schuf (inspiriert durch deren Album „Rubber Soul“ von 1965) mit „Pet Sounds“ (1966) nicht nur eines der besten Alben aller Zeiten, sondern auch eine radikale Abkehr von der Fun´n Surf-Thematik der frühen „Beach Boys“-Alben.

Wilson, der mittlerweile Marihuana und LSD nahm und später auch wie seine Bandmitglieder Mike Love und Al Jardine Transzendentale Meditation betreiben sollte, empfand seine Musik als Vertonung von Gottes Schönheit – und Songs wie „God only knows“ (für Paul McCartney der beste Song aller Zeiten) oder „I just wasn´t made for these times“ zeigten offen Wilsons introvertierte und künstlerische Seite.

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Noch während der Aufnahmesessions zu „Pet Sounds“ legte Wilson schließlich den Grundstein zu dem, was später als „Good Vibrations“ auf die überraschte Musikwelt losgelassen werden sollte.

Die bis dato teuerste Singleproduktion aller Zeiten – und der erste Millionseller der Beach Boys

6 Studios, 7 Monate Produktionszeit, 22 Aufnahmesessions, 94 Aufnahmestunden: Allein quantitativ ist „Good Vibrations“ ein Song der Superlative. Und mit Kosten zwischen 50.000 und 75.000 Dollar (nach heutigem Wert rund 360.000 bis 550.000 Dollar) war es auch die bis dato kostspieligste Singleproduktion. Zum Vergleich: das gesamte Beach Boys-Album „Pet Sounds“ hatte bereits 70.000 Dollar gekostet. Über ein halbes Jahr an einem einzigen Stück Musik intensiv zu arbeiten – das hatte es bis dahin noch nie gegeben! Viele fragten sich ob Brian Wilson seinen Verstand verloren habe – Bandmitglieder, Freunde und Verwandte, Capitol Records.

Doch Brian Wilson sollte Recht behalten: Am 10. Oktober 1966 veröffentlicht schoss „Good Vibrations“ sofort an die Spitze der US-und UK-Charts – und wurde die erste „Beach Boys“-Single, die sich mehr als eine Million Mal verkaufen sollte.

A Teenage Symphony to God“: Brian Wilson und das „Smile“-Desaster

Doch Brian Wilson wollte mehr: Nicht nur einen Song, sondern ein ganzes Album wollte er nun herstellen, welches nicht aus gängigen Liedern, sondern wie schon „Good Vibrations“ aus mehreren Songfragmenten bestehen sollte. So begann er im Anschluss an die Fertigstellung seines Hitsongs die Aufnahmen zu einem neuen Albumprojekt, welches er zunächst „Dumb Angel“, später dann „Smile“ nennen sollte.

Gemeinsam mit dem Lyriker Van Dyke Parks erdachte sich Wilson ein ehrgeiziges Albumprojekt, in welchem er die Geschichte der USA von der Ankunft der ersten Einwanderer vom Plymouth Rock bis hin zur „psychedelischen“ Gegenwart der 60er Jahre nachzeichnen, eine musikalische „Elements Suite“ über die vier klassischen Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde erstellen und außerdem nichts weniger als eine „Teenage Symphony to God“ (O-Ton Brian Wilson) darbringen wollte – das Eröffnungsstück sollte bezeichnenderweise das A- cappella Stück „Our Prayer“ werden.

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Doch wie so manche ambitionierte Träume, die in den 1960er Jahren geträumt wurden, zerschellten die Vorstellungen Wilsons an der Realität. Eine durch den massiven Drogenkonsum Wilsons verursachte Paranoia, schwindender Rückhalt innerhalb der Band und der Plattenfirma sowie die Veröffentlichung von „Sgt. Pepper´s Lonely Hearts Club Band“ der Beatles ließen Wilson das Projekt aufgeben – und das obwohl bereits ein beträchtlicher Teil der zu erstellenden Songfragmente zu Songs wie „Heroes and Villains“, Wind Chimes“, „Wonderful“ oder hier Surf´s Up“ auf Band aufgenommen worden war. Für viele Fans und Musiker wurde „Smile“ daraufhin zum „Heiligen Gral der Popmusik“, dem berühmtesten unveröffentlichten Album der Popgeschichte.

Von diesem persönlichen Desaster sollte sich Brian Wilson jahrzehntelang nicht mehr erholen: Im Laufe der Jahre zog sich der an paranoider Schizophrenie erkrankte Musiker immer weiter aus den Bandaktivitäten zurück und verbrachte in den 1970er Jahren sogar einige Jahre komplett im Bett. Die Filmbiographie „Love and Mercy“ (2014) zeichnet die Höhen und Tiefen im Leben von Brian Wilson auf sehr schmerzhafte Weise nach.

Die Wiederauferstehung von Brian Wilson

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Ende der 1990er Jahre jedoch begann Brian Wilson wieder allmählich zu genesen: Er ging wieder auf Tournee, nahm gut besprochene Soloplatten auf – und vollendete schließlich sogar sein bis dato unvollendetes „Smile“-Projekt: Erst mit weltweiten Liveaufführungen, dann schließlich in einer mit seiner Soloband neu eingespielten Variante: „Brian Wilson presents Smile“ (2004). Auch die eigentlichen Aufnahmesessions von 1966/67 kamen schließlich 2011 unter dem Titel „The Smile Sessions“ heraus. Beide „Smile“-Varianten wurden übrigens Grammy-gekrönt – eine große Genugtuung für ein musikalisches Genie wie Brian Wilson, der heutzutage mit Frau und Kindern eher zurückgezogen lebt und immer noch seine Musik als Gebet empfindet.

Übrigens: „The Smile Sessions“ beinhalten die vielleicht vollständigste und auch beste Version von „Good Vibrations“, die man bis dahin hören konnte (hier in einem von Capitol Records und Brian Wilson genehmigten Fanvideo). Und auch nach 50 Jahren klingen diese „Good Vibrations“ immer noch neu und aufregend. Gott liebt anscheinend Happy Ends.

Stefan Ahrens studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Öffentliches Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und promoviert gegenwärtig über das Verhältnis Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. zum modernen politischen Denken. Er ist Redakteur in der Bischöflichen Presse-und Medienabteilung des Bistums Regensburg, Mitglied im „Neuen Schülerkreis Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.“ und interessiert sich außerdem für die Spiritualität der Ostkirchen, das Jesusgebet, Hoch- und Popkultur sowie für alles was wahr, gut und schön ist.

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