Dienstag, 19. März 2024

Luthers späterer Retter buhlte um Chemnitzer Klosterpfründe

Ohne die Benediktiner, die sich vor 874 Jahren auf dem heutigen Schloßberg niederließen, wäre die südwestsächsische Stadt damals nicht entstanden. Eine Tagung widmete sich nun der Abtei, um mehr als 400 Jahre vorreformatorischer Historie zu würdigen. Dabei sorgte ein Wissenschaftler ausgerechnet für einen kleinen Paukenschlag der Reformationsgeschichtsschreibung.

 

Im Hintergrund die einstige Kloster- und heutige sog. Schloßkirche, die eine evangelische Pfarrkirche ist. Der Turm wurde erst Ende des 19. Jh. neugotisch errichtet, die Kirche ist gotisch. Der Turmhelm ging 1945 durch amerikanische Artillerie verloren. Im weißen Bau vor der Kirche waren einst u.a. Klosterküche und Refektorium untergebracht. Ansicht von Südwesten. Foto: Michael Kunze

Von Dr. Michael Kunze

CHEMNITZ. Was der Sprach- und Literaturhistoriker Christoph Fasbender (TU Chemnitz) am Wochenende bei einer wissenschaftlichen Tagung über das ehemalige Benediktinerkloster im Chemnitzer Schloßbergmuseum präsentierte, ist ein kleiner Paukenschlag der Reformationsgeschichtsschreibung. Im Zentrum steht dabei eine von der Forschung bislang offenkundig nicht beachtete, durch Fasbender im Staatsarchiv Weimar ausgegrabene Liste, auf der der Name „Georg Spalatin“ auftaucht. Der war kein Geringerer als der Beichtvater Friedrichs des Weisen, ein entschiedener Förderer Luthers am kurfürstlich-sächsischen Hof und formulierte 1530 mit Philipp Melanchthon beim Augsburger Reichstag die „Confessio Augustana“, das Bekenntnis der lutherischen Reichsstände. Spalatin war es auch, der 1521 die Rettung des aufmüpfigen Mönches vor den Häschern des Kaisers auf die Wartburg organisierte. Ohne Luthers Freund wäre die Reformation wohl anders verlaufen.

Die für ihre Zeit an sich nicht ungewöhnliche Liste aus dem Jahr 1520 enthält Namen von Würdenträgern, die nach der Wahl des Habsburgers Karl V. zum Kaiser sofort für ihre Unterstützung belohnt werden sollten. Auf dem Schriftstück, das Spalatin im Auftrag des Kurfürsten erstellte, taucht aber auch sein eigener Name auf. Noch drei Jahre, nachdem Luther seine 95 Thesen wider den Ablasshandel veröffentlicht hatte, bringt Spalatin sich als Abt des Benediktinerklosters Chemnitz ins Spiel.

Abtei muss nach innen und außen in gutem Zustand gewesen sein

Für Fasbender ist daran zweierlei bemerkenswert: Einerseits zeuge Spalatins Namensnennung davon, dass das Chemnitzer, dem Hirsauer Ordo folgende Kloster auch zu diesem Zeitpunkt nach innen und außen in sehr ordentlichem Zustand gewesen sein muss – dabei hatte es wiederholt externe Reformbestrebungen abgelehnt. Wäre es um Chemnitz schlecht bestellt gewesen, hätte es ein derart enger und hoher Mitarbeiter des Fürsten nicht ins Auge gefasst. In der Mark Meißen galt die Benediktinerabtei mit Besitzungen bis ins Böhmische als die zweitreichste nach Altzella. Zum anderen sieht der Historiker und Germanist in der Namensnennung einen Beleg, dass Spalatin in direktem Gegensatz zur von reformatorischer Seite wortgewaltig vertretenen Kritik am „altkirchlichen“ Pfründewesen handelte. Zudem musste es ausgerechnet ein Kloster sein. Dabei strebte sein Freund Luther bereits früh deren Auflösung wegen angeblich flächendeckend anachronistischer Zustände an. Spalatin erscheint so dem „nach wie vor durch und durch verhaftet“, was die Reformation bekämpfte, sagte Fasbender.

Die Liste, die beinahe den Schlusspunkt der Geschichte des Chemnitzer Benediktinerklosters darstellt, das 1540/41 im Zuge der Reformation aufgelöst und später in ein kurfürstliches Schloss, zeitweise auch ein Salz- und Bierlager umgewandelt wurde, bestätigt indes, positiv gewandt, den kultur-, bau- und entwicklungsgeschichtlichen Beitrag, den die Benediktiner mit ihrer 1136 durch Kaiser Lothar III. gegründeten Abtei mehr als 400 Jahre lang im Chemnitztal und noch im 16. Jahrhundert leisteten. Ohne sie wäre die Stadt wohl nicht, jedenfalls nicht so früh, in einem damals fast ausschließlich von Slawen besiedelten Terrain entstanden.

Letzte Benediktinerneugründung in Mitteldeutschland

Dass die Ersterwähnung von Chemnitz ins Jahr 1143 fällt, worauf auch das Jubiläum im kommenden Jahr abzielt, hängt damit zusammen, dass vom Gründungsakt kein Schriftstück überliefert ist, sagte Uwe Fiedler. Der Leiter des hervorragend sanierten Schloßbergmuseums mit reichen Schätzen gotischer Bild- und Schnitzkunst (etwa von Peter Breuer) aus ganz Sachsen, dessen Haus in den erhaltenen Teilen der früheren Klausur untergebracht ist, verwies stattdessen auf eine Urkunde des Staufers Konrad III. Sieben Jahre nach der Gründung ausgefertigt, belegt sie die Rechte des Klosters, das laut dem Leipziger Historiker Enno Bünz die damals östlichste und in Mitteldeutschland letzte der Benediktiner war. Besiedelt wurde sie wohl vom 1091 errichteten Kloster Pegau und erlangte durch Beteiligungen am erzgebirgischen Silberbergbau beträchtlichen Wohlstand. Auch Besitz und Privilegien, der Schutz des Reiches, den es als Kaisergründung genoss, und das Marktrecht, aus dem die Entstehung der Siedlung Chemnitz folgte, wurden durch Konrad verbrieft. Welche Rolle das einstige Kloster, dessen reichsunmittelbare Stellung immer wieder von Bischöfen und Territorialherren angefochten wurde, im kommenden Jahr beim Jubiläum der Chemnitzer Ersterwähnung spielen wird, ist zwar derzeit noch Gegenstand der Planungen, sagte Uwe Fiedler.

Die gelungene Tagung und das große Interesse von 60 bis 70 Teilnehmern zeigten aber, dass die vormalige Abtei, die wiederholt und umfangreich erweitert wurde, und ihre Geschichte dazu viele Anknüpfungspunkte bieten dürften. Christoph Fasbenders Fundstück könnte einer sein. Spalatin wurde übrigens nie Abt in Chemnitz, auch wenn sich 1522 relativ zeitnah zu der von ihm erstellten Liste dazu die Möglichkeit ergeben hatte. In dem Jahr trat mit Heinrich von Schleinitz der vorletzte Abt in der Klostergeschichte zurück, der nicht von ungefähr als zweiter Gründer gilt. Er hatte nicht nur die Hans Witten zugeschriebene, über vier Meter hohe, farbig gefasste Geißelsäule (1515) in Auftrag gegeben, die Jesu Martyrium darstellt. Sondern auf seine Initiative geht auch das bis in die 1970er-Jahre an der Nordaußenwand der ehemaligen Kloster- und heutigen evangelischen Pfarrkirche befindliche, elf Meter hohe Astwerkportal (1504/25) zurück, das nun wie die Säule im Kircheninnern aufgestellt ist. Er verantwortete in dieser späten Blüte weitere Aus- und Umbauten am Kloster, das laut archäologischer Untersuchungen zur Klosterzellenstruktur nie mehr als 20 Priestermönche bewohnt haben dürften.

Wenn auch die Quellenlage zur Lebensweise der Mönche in Chemnitz dürftig ist, spricht nichts dafür, dass es vor dem politisch verordneten Ende des Klosterlebens nach Herzog Georgs Tod wie etwa andernorts zu Ermüdungserscheinungen kam. Insofern wäre Chemnitz wohl eine gute Partie gewesen für Spalatin. Bei der Auflösung, sagte Stephan Pfalzer (Stadtarchiv Chemnitz), wurde der Wert der Abtei auf 92.000 Gulden bei 3500 Gulden Jahreseinnahmen beziffert.

Dr. Michael Kunze (*1982) ist Journalist, Autor, Blogger, Zeitzeuge. Beiträge für Hörfunk und Zeitung (u.a. FAZ, FAS sowie Die Tagespost) zu Politik, Kultur/Feuilleton, Wirtschafts- und Wissenschaftsthemen, Lokalem. Interesse an Kunst, Literatur und Mode, klassischer Gitarrenmusik von Hans Neusidler bis John Dowland, Politik, Sakralarchitektur und (katholischer) Theologie. Zuletzt erschien: "Sigmund Neumann – Demokratielehrer im Zeitalter des internationalen Bürgerkriegs", Berlin 2015.

Homepage: www.michael-kunze.net

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