Freitag, 19. April 2024

Albert Camus: „Die Pest“

„Was ist der Mensch?“- Diese Frage stellt die Bibel (Psalm 8,5). Es ist auch die zentrale Frage in Camus‘ meisterhaft geschriebenem Roman „Die Pest“. Katastrophen lehren uns, wer wir wirklich sind.

Die Pest bricht in Oran aus, einer Stadt in Algerien: „Eine praktische Art, eine Stadt kennenzulernen, besteht darin, sich anzusehen, wie in ihr gearbeitet, wie in ihr geliebt und wie in ihr gestorben wird. In unserer kleinen Stadt – womöglich liegt es am Klima – macht man alles gleichzeitig, auf ein und dieselbe hektische und abwesende Weise.“ Es gibt Langeweile und Gewohnheiten, Betriebsamkeit und Handel. Alles geht seinen gewohnten Gang. Es ist wohl niemand auf die Idee gekommen, dass es sich auf einmal schlagartig ändern sollte.

Alles beginnt mit einer toten Ratte. Die Sonne glüht über Oran und etwas ändert sich. Eine tote Ratte wird schnell vergessen, auch zwei oder drei. Aber dabei bleibt es nicht. Der Untergang der Stadt wurde eingeläutet und lässt sich nicht mehr aufhalten. Wenig später „spien die Fabriken und Lagerhäuser tatsächlich Hunderte von Rattenkadavern aus“. Die toten Ratten bestimmen das Stadtbild. Bald wird es den ersten toten Menschen geben. Es ist der Concierge. Nach 40 Grad Fieber, angeschwollenen Lymphknoten und einem gemarterten Gesicht: „‚Er ist tot‘, sagte Rieux“, der Arzt.

„Eine Niederlage ohne Ende“

Oran wird abgeriegelt, die Epidemie ist da. In der ganzen Stadt sterben Menschen: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Junge und Alte. Die Pest kennt keine Grenzen, kein Alter, kein Pardon, sie kommt und tötet.

Bald schon entwickelt sich ein Konflikt zwischen dem Jesuitenpater Paneloux und dem Arzt Rieux. Paneloux steht paradigmatisch für eine Ausprägung von Religion, die Camus vehement ablehnt. Paneloux versucht die Pest als Strafe Gottes zu sehen, doch Rieux sieht darin eine ungerechte und unmenschliche Anklage, die er nicht gelten lassen kann. Besonders als ein Kind, der Sohn eines Richters, an der Pest stirbt, schreit Rieux Paneloux an: „Ah! Der wenigstens war unschuldig, das wissen Sie wohl!“

An anderer Stelle entgegnet Paneloux auf die Leidfrage, dass man vielleicht lieben müsse, was man nicht verstehen könne. Diese Antwort will Rieux aber nicht gelten lassen und reagiert empört: „Nein, Pater“, sagte er. „Ich habe eine andere Vorstellung von der Liebe. Und ich werde mich bis zum Tod weigern, diese Schöpfung zu lieben, in der Kinder gemartert werden.“

Rieux glaubt an keinen Gott und an keine Heilsgeschichte, aber er hilft. Die Pest ist für ihn, wie er im Dialog mit Tarrou offenbart, „eine Niederlage ohne Ende“. Warum aber macht der Arzt weiter, warum hilft er obwohl er nicht an einen wirklichen Sieg glaubt? Weil da noch was anderes ist, das leise und ohne Empörung daherkommt, etwas, das einfach nur aus Menschlichkeit Motivation zieht: „Nach einem Schweigen richtete sich der Arzt etwas auf und fragte, ob Tarrou eine Vorstellung von dem Weg habe, den man einschlagen müsse, um zum Frieden zu kommen. ‚Ja, Mitgefühl.‘“.

Mitgefühl als Motivation

Irgendwann geht auch die schlimmste Epidemie vorüber. Nach zahllosen Toten und unendlichem Leid, ist die Seuche irgendwann so schnell weg, wie sie auftauchte. Der Jesuitenpater ist gestorben, genauso wie Tarrou und andere. Der Arzt Rieux hat überlebt. Camus zeigt durch Rieux den Weg zum „Säkularhumanismus“ auf, zum Humanismus ohne Gott. Die Triebfeder des Säkularhumanismus ist Mitgefühl. Eine Motivation, die damit leben kann, dass letztlich alles im Absurden endet.

Am Ende des Romans heißt es, dass der Arzt einen Bericht anfertigte, „um für diese Pestkranken Zeugnis abzulegen, damit wenigstens eine Erinnerung an die Ungerechtigkeit und Gewalt blieb, die ihnen angetan worden war, und um einfach zu sagen, was man in Plagen lernt, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt.“ Der Säkularhumanismus kann die Tragik des Lebens nicht besiegen, aber, wie Rieux sagt, er kann dafür sorgen, dass es wenigstens „etwas menschlicher“ wird.

Gibt es keine Gnade in der Ohnmacht?

Der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker hat einige Sätze gesagt, die sehr gut auf die Situation in der „Pest“ passen, aber letztlich auch darüber hinaus weisen. Den ersten Satz würde Camus noch mitgehen, die letzten beiden nicht:

„Die tiefste Erfahrung von sich selbst, zu der der Mensch in seiner Natur und in der Gesellschaft vordringt, lautet nicht Freiheit, sondern Ohnmacht. Die tiefste Erfahrung vom Gelingen menschlichen Lebens ist nicht eine Erfahrung von eigener Macht, sondern von Gnade. Die tiefste Erfahrung des Menschen ist nicht der Mensch, sondern Gott.“ – Carl Friedrich von Weizsäcker

Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Leids findet man nicht in dieser Welt, sondern in der Ewigkeit: Vertrauen in die göttliche Vorsehung als Weg zu Frieden und Glück

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