Freitag, 29. März 2024

Jugend ohne Gott

Eine Filmkritik von Dr. José García

Im Jahre 1937 veröffentlichte der österreichisch-ungarische Autor Ödön von Horváth den Roman „Jugend ohne Gott“, in dem er eine der beunruhigenden gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit verarbeitete. Ein christlich-humanistischer Lehrer wird während eines Zeltlagers mit der nationalsozialistischen Haltung seiner Schüler konfrontiert, bis es schließlich zu einem tragischen Tod kommt.

Die Schüler scheinen ohne die christlich-humanistischen Werte auszukommen — was zur Katastrophe führt. Gegen Ende seines Romans stellt Horváth fest: „Wenn kein Charakter mehr geduldet wird, sondern nur der Gehorsam, geht die Wahrheit und die Lüge kommt. Die Lüge, die Mutter aller Sünden.? Endlich kommt der an Gottes Existenz zweifelnde und an einem gerechten und strafenden Gott verzweifelnde Lehrer zu der Erkenntnis: „Gott ist die Wahrheit“, was dem Romantitel einen Sinn verleiht. Mit „Jugend ohne Gott“ zeichnete Ödön von Horváth eine düstere Zukunftsvision, die sich bald bewahrheiten würde.

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Kann Horváths Roman als finstere Zukunftsahnung angesehen werden, so ist es nur folgerichtig, dass eine heutige Adaption des Romans fürs Kino als futuristische Dystopie inszeniert wird — selbst wenn auf den ersten Blick der nun anlaufende Spielfilm von Alex Buresch und Matthias Pacht (Drehbuch) sowie Alain Gsponer (Regie), der bereits mit „Lila, Lila“ Erfahrungen mit einer Literaturverfilmung gesammelt hatte, keine Ähnlichkeit mit der Vorlage hat.

Zwar kann der Spielfilm „Jugend ohne Gott“ nicht ohne weiteres als „Science-Fiction-Film“ bezeichnet werden. Dessen Handlung ist allerdings in einer nicht näher beschriebenen, wohl aber nicht allzu fernen Zukunft angesiedelt. Dazu sagt der Schweizer Regisseur Gsponer: „Uns war es wichtig, eine dystopische Lebenswelt aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass es nicht ganz so ist wie bei uns, sondern ein bisschen anders. Und dass es trotzdem nicht so weit entfernt ist. Es mag eine andere Welt sein, aber sie ist sehr dicht dran an unserer.“ Bereits die Filmmusik, mit der die Off-Stimme zu Beginn unterlegt wird, weist in eine futuristische Richtung. Das in der Romanvorlage im Mittelpunkt stehende Zeltlager zur Wehrertüchtigung wird durch eine Art „Assessment-Center“ ersetzt, in dem Schüler aus einer Elite-Schule ausgewählt werden sollen, die eine ebenfalls Elite-Universität besuchen dürfen.

Die Gebäude, die „Zelte“, die sie selbst bauen müssen, haben diesen leicht futuristischen Charakter, in dem ein kaltes Grau überwiegt. Den Zukunftscharakter des Settings bestärkt ebenfalls der kleine Chip, den jeder unter die Haut implantiert bekommt. Von der eigentlichen Schule sowie von der anderen Welt ist wenig in Rückblenden zu sehen. Vieles erinnert dabei an Science-Fiction-Filme. So besitzt etwa die Überfüllung bestimmter „Sektoren“, in die das Land eingeteilt ist, eine gewisse „Blade-Runner-Anmutung“. Die sogenannten Leistungsempfänger dürfen nicht bestimmte Sektoren verlassen. Wer es tut, gilt als „illegal“. Was in Horváths Roman die „Räuberbande“ war, wird in der Verfilmung einfach durch eine Gruppe jugendlicher Illegaler ersetzt.

Zentraler Handlungsort bleibt auch im Film das Hochleistungscamp, in dem die Schüler Leistungspunkte sammeln und Führungsqualität beweisen sollen. Die ehrgeizige Nadesh (Alicia von Rittberg) möchte unbedingt zu den besten gehören. Sie ist besorgt um den Einzelgänger Zach (Jannis Niewöhner), den das Ganze kaum zu interessieren scheint. Vielleicht auch deshalb fühlt sie sich von ihm angezogen, was aber nicht auf Gegenseitigkeit beruht.

Denn Zach trifft sich heimlich mit Ewa (Emilia Schüle), der Anführerin der „Illegalen“. Diese Treffen vertraut er seinem Tagebuch an. Besorgt um Zach ist aber auch der (wie im Roman namentlich nicht genannte) Lehrer (Fahri Yardim). Die Psychologin Loreen (Anna Maria Mühe) droht Zach mit Ausschluss aus dem Camp. Als Zachs Tagebuch verschwindet, verdächtigt Zach seine Kollegin Nadesh. Oder war es der ambitionierte, menschenverachtende Titus (Jannik Schümann)? Plötzlich kommt es zu einem dramatischen Zwischenfall.

Überwiegt in Horváths Roman das Politische, so steht im Film eher die Leistungsgesellschaft im Vordergrund. Dennoch gibt es auch sozialkritische Untertöne durch die permanente Überwachung und die Gleichschaltung der Meinungen.

Der Roman erzählt konsequent aus der Sicht des Lehrers. Im Film wechselt die Perspektive mehrmals. Der Zuschauer sieht dieselben Ereignisse aus unterschiedlicher Sicht — ein bekannter filmischer Kunstgriff, insbesondere in Thrillern. Für die Handlung einschneidende Vorfälle werden zunächst einmal aus einer neutralen Sicht gezeigt, dann aus der Perspektive eines Schülers und letztlich auch aus dem Blickwinkel des Lehrers, der immer mehr in den Mittelpunkt der Filmhandlung gerät.

Zwar wird er nicht ausdrücklich als „christlich-humanistisch“ gezeichnet, aber er ist einer „alten Ordnung“ verpflichtet und deshalb mit den neuen Regeln des Leistungsdrucks nicht konform. Zwar stellt er sich nicht explizit die Fragen der Existenz Gottes beziehungsweise eines gerechten und deshalb auch strafenden Gottes. Die Liebe zur Wahrheit, die letztendlich — und zwar in einer dem Roman von Ödön Horváth getreuen Form — siegt, trifft jedoch den Kern der Romanvorlage. Aus dieser Sicht wird auch der Filmtitel „Jugend ohne Gott“ mit dessen Anklängen an Fjodor Dostojewskis Diktum „Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt“ verständlich.

Filmische Qualität:   4/5
Regie:Alain Gsponer
Darsteller:Jannis Niewöhner, Fahri Yardim, Emilia Schüle, Alicia von Rittberg, Jannik Schümann, Anna Maria Mühe, Rainer Bock, Katharina Müller Elmau
Land, Jahr:Deutschland 2017
Laufzeit:114 Minuten
Genre:
Publikum:ab 12 Jahren
Einschränkungen:X –
im Kino:8/2017
Quelle: http://textezumfilm.de

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