Mittwoch, 24. April 2024

„Nein zum Krieg unter uns!“

Ein Appell des Papstes zur geistigen Abrüstung und Wiederherstellung der Missionsfähigkeit der Kirche

von Dr. Markus Büning

Papst Franziskus begrüßt Pilger auf dem Petersplatz am 16. Mai 2016.
Foto: CNA/Alexey Gotovskiy

Eigentlich ist es eine Binsenweisheit: Wie wollen wir Christen andere Menschen für Christus gewinnen, wenn die Welt die Christenheit als einen zerstrittenen Haufen wahrnimmt? Der Herr selbst bringt dies an zwei Stellen im Johannesevangelium so kraftvoll zum Ausdruck: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,35) und „Alles sollen eins sein … in uns …, damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21).

Wie sieht es unterdessen aus? Die Christenheit ist zerspalten in hunderte von verschiedenen Richtungen. Und in der katholischen Kirche scheint gerade in den letzten Jahrzehnten ein unerbittlicher Krieg ausgebrochen zu sein: Progressive gegen Konservative, Traditionalisten gegen Modernisten, Kleriker gegen Laien, Männer gegen Frauen usw. usw.. Wie wollen wir in einem solchen Zustand innerer Zermürbung glaubhaft Zeugnis von der Liebe Christi geben können? Wie können wir überhaupt in der Lage sein, eine Ökumene der Liebe zu leben? Wie können wir in diesem Zustand andere Menschen für Jesus Christus gewinnen?

Papst Franziskus hat dieses schwierige Thema in der ihm eigenen Offenheit in seiner Regierungserklärung Evangelii Gaudium  (fortan EG) in den Nr. 98-101 unter dem Arbeitstitel „Nein zum Krieg unter uns!“ aufgenommen. Manch einer mag im Nachhinein nun zynisch anmerken: Der hat gut reden! Schließlich hat er mit Amoris Laetitia selbst die Gräben zwischen den Lagern in der Kirche vertieft! Ja, hat er das wirklich? Ich meine: Nein! Die Botschaft von Amoris Laetitia ist offenkundig nicht von einem Teil in der Kirche so verstanden worden, wie sie gemeint ist. Besser: Offenkundig will man sie nicht verstehen. Da ist der Neid des Sohnes, der immer beim Vater geblieben ist und es offenkundig nicht erträgt, dass der verlorene Sohn den Ring an den Finger gesteckt bekommt (vgl. Lk 15,11-32). Da ist der Unmut der Arbeiter, die den gleichen Lohn erhalten wie derjenige, der nur kurz seinem Werk nachgekommen ist (Mt 20,1-16). Dem Papst geht es in all seinen Lehrschreiben letztlich darum, wieder neu zu entdecken, was die eigentliche Sendung der Kirche ist: Von der Freude des Evangeliums zu künden! Bei aller Schwierigkeit unseres Lebens, bei allem Leid und Elend in der Welt bleibt es doch dabei: „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude.“ (EG Nr. 1).

Wie sieht es denn in der real existierenden Kirche aus? Freude? Da erlebe ich in der real existierenden Kirche unseres Landes einen mit vollen Geldsäcken dahinsterbenden „Beamtenapparat“, der manchmal den Eindruck erweckt, es gehe letztlich nur darum, sich selbst am Leben zu erhalten. Pastoralpläne, Strukturreformen, unendliche Sitzungen der Gremien scheinen hierfür das probate Mittel zu sein. Doch die Früchte? Immer leerer werdende Sonntagsgottesdienste, die einen Altersdurchschnitt von 60+ aufweisen. Die jungen Menschen haben fast durchweg die Kirchen verlassen, weil sie dort eben alles andere erleben als die Freude des Evangeliums. Dann gibt es die „Inseln der Tradition“, auf denen die Gestrandeten Zuflucht suchen, die es satt haben, verhunzte Liturgien in ihren Gemeinden zu erleben. Was nehme ich dort wahr? Die Schicksalsgemeinschaft der Verbitterten, die einem Zustand von Kirche nachtrauern, den es nicht mehr gibt und – Gott Dank! – so auch nicht mehr geben wird. Die Vergangenheit wird zu einem Ideal überhöht, welches so nie da war. Hierüber könnte man viel schrieben. Es sei hier nur angedeutet. Dann gibt es noch die progressiven Bewegungen, die alles was mit Tradition zu tun hat, verteufeln. Unter Leugnung der hierarchischen Grundstruktur der Kirche wird dort ein „gruppendynamisches Kirchentum“ verkündet, welches ebenfalls mit der Wirklichkeit der Lehre Jesu nur wenig zu tun hat. Alles in allem: Hier ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Die Flügelkämpfe innerhalb der Kirche haben an Stärke gewonnen und das Bemühen, sich gegenseitig anzunehmen und zu verstehen tendiert mitunter gegen Null.

In diese Situation ist es gut, auf den zu hören, den Jesus Christus zum Felsenmann seiner universalen Kirche (vgl. Mt 16,18) erwählt hat, auf den Papst. Das ist schließlich gut katholisch, auch in den Zeiten von Papst Franziskus! Er ist es, der den Dienst der Einheit wahrnimmt. Er ist es, der uns allen in dieser Stunde des Streites die Mahnung zur Versöhnung zuruft. Und das ist gut so! Hören wir auf seine Mahnung: „Wir sind alle im selben Boot und steuern denselben Hafen an! Erbitten wir die Gnade, uns über die Früchte der anderen zu freuen, die allen gehören.“ (EG Nr. 99). Was könnte das innerkirchlich konkret heißen: Du, progressiver Katholik schau auf die Konservativen, die das Charisma der Bewahrung empfangen haben. Nicht alles, was früher war, war falsch! Sei behutsam in deinem Drang des Fortschreitens! Du, konservativer Katholik, schau auf die Progressiven, die den Mut haben, neue Wege zu gehen. Lerne von ihnen, auf die Zeichen der Zeit zu hören! Was könnte das für den ökumenischen Dialog bedeuten: Du, Katholik und Orthodoxer, schau auf Deine evangelischen Geschwister, wie sehr sie die Schönheit und Kraft des Wortes Gottes wieder entdeckt haben. Lies doch mehr in der Bibel und lass Sein Wort deinem Fuß eine Leuchte sein! Du, evangelischer Christ, schau auf die Katholiken und die Orthodoxen, die die Heilige Liturgie als Ort wahrer Gottesbegegnung durch die Zeiten bewahrt haben. Gehe mit ihnen auf diesen Taborberg der Begegnung mit dem lebendigen Christus. Du, Protestant und Orthodoxer, schaue auf die Katholiken, die im Amt des Bischofs von Rom das Band der Einheit erblicken. Überlegt doch bitte neu, ob eure Trennung von diesem Band nicht ein Irrweg in die Zerstreuung ist. Man könnte diese Fragen beliebig fortsetzen. Eines wird deutlich: Mit gutem Willen können, ja müssen wir im vermeintlich ach so anderen das Gute sehen und immer wieder neu versuchen, durch diesen versöhnenden Blick Wege der Einheit zu finden, innerkirchlich und in der Ökumene. Genau auf dieser Linie steht dann auch der Aufruf von Papst Franziskus in seiner Programmschrift Evagelii Gaudium: „Für diejenigen, die durch alte Spaltungen verletzt sind, ist es schwierig zu akzeptieren, dass wir sie zur Vergebung und Versöhnung aufrufen, weil sie meinen, dass wir ihren Schmerz nicht beachten oder uns anmaßen, sie in den Verlust ihrer Erinnerung und ihrer Ideale zu führen. Wenn sie aber das Zeugnis von wirklich brüderlicheren und versöhnten Gemeinschaften sehen, ist das immer ein Licht, das anzieht.“ (EG Nr. 100).

Vor dem Hintergrund der immer bestehenden Versöhnungsbereitschaft bringt der Papst dann einen tiefen Schmerz bewegend zum Ausdruck: „Darum tut es mir so weh festzustellen, dass in einigen christlichen Gemeinschaften und sogar unter gottgeweihten Personen Platz ist für verschiedenen Formen von Hass, Spaltung, Verleumdung, üble Nachrede, Rache, Eifersucht und den Wunsch, die eigenen Vorstellungen um jeden Preis durchzusetzen, bis hin zu Verfolgungen, die eine unversöhnliche Hexenjagd zu sein scheinen. Wen wollen wir mit diesem Verhalten evangelisieren?“ (EG Nr. 100). In der Tat, wen? Hören wir endlich auf, uns gegenseitig zu verketzern und zu verleumden. Die Debatte um Amoris Laetitia nimmt gerade skurrile Züge an. Da wird dem Papst der Häresievorwurf unterbreitet. Dabei geht es ihm lediglich um eine evangeliumsgemäße Pastoral für Menschen in schwieriger Lebenssituation. Da werden den Befürwortern von Amoris Laetitia inklusive Papst mit dem Weltgericht gedroht. Auf der anderen Seite wird ernsthaften Kritikern von AL notorischer Ungehorsam gegenüber dem Papst unterstellt. Auch hier wird mitunter mit der „Häresiekeule“ geschwungen. Bitte lasst uns doch alle an dieser und auch an anderen Stellen geistlich abrüsten.

Vor den Augen der Welt ist doch eines ganz klar: Einer Gemeinschaft, die als großer Streithaufen erschient und meint, eigentlich eine Gemeinschaft der Leibe zu sein, kann einpacken! Und da ist aus meiner Sicht gerade in dieser Stunde der Kirche heilsam, dass der Papst schonungslos in seiner Diagnose der Kirche den Iststand ungeschminkt zeichnet und uns alle zur Änderung unserer Sinne und unseres Tuns aufruft. Er verherrlicht hier nichts und nennt die Schwächen beim Namen. Er will eine innerkirchliche Bekehrung. Und dies merken die außenstehenden Menschen. Endlich sind wieder Menschen bereit, auf die Stimme des Papstes zu hören. Sie erkennen eine neue Glaubwürdigkeit und Bescheidenheit, die sie an den erinnert, der diese Kirche gestiftet hat, an Jesus.

Ich danke Gott dafür, dass er uns einen Papst geschenkt hat, der uns mahnt, geistlich abzurüsten. Hören wir auf, uns gegenseitig im Geiste auf die Scheiterhaufen zu stellen. Gehen wir davon aus, dass ein jeder seinen Standpunkt aufgrund der ihm eignen Gewissensentscheidung vertritt. Neiden wir dem anderen nicht das, was wir selber nicht können. Versuchen wir, wieder mehr die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede zu sehen. Und noch mehr: Sein wir bereit, im Andersdenkenden auch das Positive zu sehen, was er der Gemeinschaft zu schenken vermag. Nur so wird es uns wieder gelingen, dass die Welt glauben kann, dass Jesus Christus der von Gott gesandte Heiland der Welt ist.

Markus Büning, geboren 1966 in Ahaus (Westfalen), ist Theologe und Jurist. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu juristischen und theologischen Themen. Seit einigen Jahren konzentriert sich sein Augenmerk auf die Bedeutung des Lebens der Heiligen für die Wahrheit der katholischen Glaubenslehre. Dr. Büning ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Seine Buchveröffentlichungen sind im fe-medienverlag zu finden.

1 Kommentar

  1. Dazu nur ein paar Kommentare flüchtig und ungeordnet:

    >>Die Botschaft von Amoris Laetitia ist offenkundig nicht von einem Teil in der Kirche so verstanden worden, wie sie gemeint ist.

    Der Verfasser von Amoris Laetitia lebt noch. Wenn er nicht verstanden worden ist, kann er sich deutlicher ausdrücken.

    In weiten Teilen ist das, was Sie hier kritisieren, freilich eigentlich nicht, daß Amoris Laetitia nicht verstanden worden ist, sondern *daß* es verstanden worden ist, wie es (wohl [daß man hier „wohl“ sagen muß, ist freilich *doch* ein bißchen Problem an Verständlichkeit]) gemeint war, nämlich als Änderung der kirchlichen Lehre, und daß Leute, die die bisherige kirchliche Lehre vertreten haben und auch die Begründungen dafür studiert haben und sich zu eigen gemacht haben, dagegen nun widersprechen.

    >>Da ist der Neid des Sohnes, der immer beim Vater geblieben ist und es offenkundig nicht erträgt, dass der verlorene Sohn den Ring an den Finger gesteckt bekommt (vgl. Lk 15,11-32).

    Dieses Gleichnis ist nicht anwendbar, weil der verlorene Sohn ja erst zurückkommt und dann den Ring bekommt.

    >>Da ist der Unmut der Arbeiter, die den gleichen Lohn erhalten wie derjenige, der nur kurz seinem Werk nachgekommen ist (Mt 20,1-16).

    Auch dies ist nicht anwendbar, weil der Arbeiter zwar nur kurz seinem Werk da ist, aber weil er spät gekommen ist; *bis zum Ende* war er dann aber da.

    Im übrigen generell:

    Einheit ist gut.

    Einheit im Glauben ist besser.

    (Und ich meine damit durchaus zum Beispiel eine gewisse Einheit, die es etwa zwischen Tradis und Charismatikern *tatsächlich auch jetzt schon gibt*.)

    Eine Einheit, die durch autoritatives generelles Verbot des Ansprechens von Differenzen erzeugt werden müßte, ist aber gar keine; und wenn dieses Verbot dann auch noch selektiv vor allem gegen eine Partei angewendet wird, dann um so weniger.

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