Samstag, 20. April 2024

Manfred Lütz über Skandale der Kirche und die Geschichte des Christentums

Von Dr. Stefan Hartmann

Der Kölner Krankenhaus-Chefarzt Manfred Lütz ist nicht nur Autor mehrerer Bestseller zu Themen wie Psychiatrie-Missbrauch, Glücksverheißungen oder „Bluff! Die Fälschung der Welt“, sondern widmet sich als studierter Theologe genauso erfolgreich religiösen Themen. Nach „Gott – eine Geschichte des Größten“ (München 2009) befasst er sich in seinem Buch „Der Skandal der Skandale“ nun historisch mit der angeblichen Skandalgeschichte des Christentums und stellt ihr eine oft unbekannte „geheime Geschichte“ gegenüber.

Inhaltlich orientiert an Arnold Angenendts großem Werk „Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“ (Münster 2007; 5. Aufl. 2014), das popularisierend aufgegriffen wird, wird der Kirchen- und Christentumsgeschichte ein völlig anderes Zeugnis ausgestellt als dies mehrbändige „Kriminalgeschichten“ (Karlheinz Deschner), populistische Medienkampagnen und Klischeefixierungen tun.

Lütz beginnt seinen spannenden und lehrreichen Angenendt-Extrakt mit einer Apologie des friedfertigen Monotheismus, der öfter unter Gewalt-Verdacht gestellt wurde. Der vielgeschmähte Kirchenlehrer Augustinus von Hippo wird durchweg positiv geschildert mit seiner „Friedenslehre“, Karl der Große dagegen als „Sachsenschlächter“, nach dem zu Unrecht ein Aachener Preis benannt wird. Die Christenheit wird wie bei Sören Kierkegaard vom Christentum unterschieden, staatliche und nationalistische Macht von kirchlichen Bestrebungen.

Die Katharer waren die ersten leibfeindlichen Ketzer, die Inquisition ursprünglich eine Justizreform. Gewalt war im ersten christlichen Jahrtausend verpönt, erst 1252 hat Papst Innozenz IV. mit gewissen Einschränkungen die Folter in Ketzerprozessen zugelassen. Kreuzzüge, die Borgia-Päpste und der Hexenwahn finden eloquent eine sachlich nachgewiesene historische Relativierung.

Schwarze Legenden der Indianermission werden mit dem Hinweis auf das Naturrecht, die indianischen Menschenopfer und das Wirken des Bartolomé de Las Casas und des an Thomas von Aquin anknüpfenden Francisco de Vitoria zurechtgerückt. Keine Religion hat sich so gegen die Sklaverei gestellt wie das die Gleichheit aller Menschen lehrende Christentum, das daher anders als die Aufklärung (Voltaire, Kant, Hegel) grundsätzlich jeden Rassismus ablehnte. Protestantisch-calvinische Sekten mit Apartheid-Ideologien wurden von den katholischen Päpsten genauso verworfen wie diskriminierender Antisemitismus.

Ein Paradox ist, dass in der Französischen Revolution die Forderung nach Menschenrechten zu einem Blutbad führte und die katholische Kirche daher lange noch ein Ressentiment gegen sie hegte – Höhepunkt war der „Syllabus“ von Papst Pius IX. im Jahr 1864. Lütz lässt die Analyse der Modernismus-Krise außen vor und schildert den Einsatz der Christen des 19. Jahrhunderts in der sozialen Frage, auch die Zeit des „Kulturkampfes“. Dies führte dann bei Katholiken zu starken Positionierungen in der Zeit der Weimarer Republik. Der Protestantismus blieb für Obrigkeitsdenken und den Nationalsozialismus stärker anfällig. Das Dilemma von Papst Pius XII. gegenüber der Judenverfolgung und dem Holocaust wird fair dargestellt. Das Euthanasieprogramm der Nazis geht auf die Geringschätzung des Schwachen und Kranken bei Friedrich Nietzsches zurück.

Im Blick auf die Gegenwart werden die Frauenfrage, der Priesterzölibat und die Sexualmoral der Kirche aufgegriffen. Nirgendwo hatten und haben Frauen so viele Rechte wie im Christentum, gerade auch durch die monogame Einehe. Leibfeindlichkeit war immer unchristlich, im 19. Jahrhundert hat jedoch eine viktorianische Prüderie auch bei Katholiken Einzug gehalten. Besondere Tragik war die in den 1990er Jahren aufbrechende Missbrauchskrise, die auch als Folge der libertären „sexuellen Revolution“ gesehen wird. Lütz nennt als zusätzliche Opfergruppe die unschuldig Beschuldigten. Angenendts Buch „Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum“ (Münster 2015) wird dabei leider nicht erwähnt.

„Der Skandal der Skandale“ ist nicht bloß ein lehrreiches Buch für Christen, „sondern auch für vorurteilsfreie Atheisten, die keine Angst vor der Wirklichkeit haben“ (279). Manche der mit Angenendt und anderen Wissenschaftlern nachgewiesenen Thesen zur Geschichte des 2000-jährigen Christentums werden provozieren, manche historische Wahrheit wird Protestanten wehtun.

Lütz bleibt fair und ohne Pauschalisierungen. Sein gut lesbarer Text rüstet für alle Diskussionen, ist geerdeter als die universalen Rundumschläge von nichtchristlichen Bestsellersautoren wie Richard David Precht und Yuval Noah Harari. Der eigentliche Skandal des Christentums sind nicht popularisierte historische Skandale in seinem Namen, sondern der in der Verkündigung der Wahrheit von Kreuz und Auferstehung sich manifestierende Anspruch seines Gründers. Zu dessen Wahrnehmung kann Manfred Lütz mit seinem gut lesbaren Buch den Weg frei schaufeln.

Manfred Lütz, Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums. Unter Mitarbeit von Professor Dr. Arnold Angenendt, Freiburg 2018, 287 Seiten, 22,00 Euro

Doku-Tipp der Cathwalk-Redaktion Von der Zukunft des Christentums: In der nacht:sicht spricht Andreas Bönte mit Manfred Lütz über Skandale der Kirche und über den Werdegang des Christentums in seiner Geschichte.

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