Donnerstag, 12. Dezember 2024

Das zeitlose Ideal katholischer Männlichkeit

Von Thomas Simon

Die Diskussion von Geschlechterfragen ist über Deutschland hinaus zunehmend von sich gegenseitig verstärkenden Extremen geprägt. In den vergangenen Monaten legte die #MeToo-Debatte offen, dass die von manchen Männern im Umgang mit Frauen gezeigte Verachtung scheinbar keine Grenzen kennt. Als Antwort darauf geriet Männlichkeit als solche unter den Verdacht, „toxisch“ zu sein. Einige Männer wie der Autor Jack Urwin reagierten darauf mit Verunsicherung und dem Wunsch, nicht mehr männlich sein zu wollen, während die Anhänger der „Red Pill“ und die „Incel“-Bewegung mit gesteigerter Frauenverachtung antworteten.

Der Autor Daniele Giglioli warnt in der NZZ vor den Gefahren, die vor diesen Extremen ausgehen. Westliche Gesellschaften würden nicht mehr über ein funktionierendes Konzept von Männlichkeit verfügen: „Die Männer praktizieren die sogenannten männlichen Tugenden kaum noch. Die schlimmsten Exemplare – die Weinsteins – scheinen vom männlichen Charakter lediglich dessen raubtierhafte Züge, rohe Gewalt und Präpotenz geerbt zu haben. Die besten Vertreter des männlichen Geschlechts scheinen sich derweil oft darauf zu beschränken, jene Züge für sich zu beanspruchen, die einst dem vermeintlich weiblichen Charakter zugeschrieben wurden: Zerbrechlichkeit, Verletzlichkeit, Schutzbedürfnis.“ (NZZ Online vom 30. Januar 2018)

Maskuline Tugenden

Auffällig ist, dass Christen in Deutschland sich an der Debatte über Männlichkeit kaum beteiligen. Dabei weisen  Historiker wie Werner Paravicini darauf hin, dass es das Christentum war, das in der ritterlichen Kultur des Mittelalters ein in der Geschichte der Menschheit einzigartiges Konzept männlicher Identität geschaffen habe. Diese christliche Männlichkeit verwirkliche sich in besonderer Achtung gegenüber Frauen und betone zugleich maskuline Tugenden wie Tapferkeit und Stärke. Keiner anderen Kultur und keiner anderen Religion sei es zuvor gelungen, diese Dinge miteinander zu vereinen. Dass dieses Konzept zeitlos gültig ist, zeigt auch die starke Resonanz auf die Arbeit des Psychologen Jordan B. Peterson, der in seinen Büchern und Vorträgen traditionelle Konzepte männlicher Identität auf eine zeitgemäße und reflektierte Art und Weise vermittelt.

Peterson betont, dass die Welt Männer brauche, die Verantwortung übernehmen, anstatt ihre Kraft auf Kosten anderer zu missbrauchen oder sich auf der Flucht vor ihrer Männlichkeit für selbstgewählte Schwäche zu entscheiden. In seiner Arbeit begegne er einem regelrechten „Hunger“ von Männern moderner Gesellschaften nach traditionellen Antworten auf die Frage nach der Identität des Mannes. Bischof Robert Barron äußerte sich über Petersons Arbeit (auch in einem Video) und ermutigte katholische Männer dazu, sich als Mentoren der Tradition katholischer Männlichkeit zu engagieren. Mit dieser Tradition hatte sich auch der Münchener Theologe Romano Guardini (1885-1968) intensiv auseinandergesetzt. Seine Gedanken dazu fasste er in seiner Schrift „Briefe über Selbstbildung“ zusammen, die auch ein Kapitel über den „ritterlichen Mann“ enthält.

 Männer finden ihre Erfüllung in großen Aufgaben

Guardini zufolge finde der christliche Mann seine Erfüllung in Verantwortung und großen Aufgaben. Die ihm gegebene Stärke nutze er nicht auf Kosten anderer, sondern zum Dienst am Nächsten. Weltliche Stärke fordere aggressiv „Respekt“ von anderen, vorzugsweise von Schwächeren, und suche nach Bestätigung durch die Demütigung und Unterwerfung anderer. Die Stärke des christlichen Mannes beweise sich hingegen darin, dass er Menschen mit umso mehr Achtung begegne, je schwächer sie seien: Ritterlichen Dienst schuldet der Mann den Schwachen. Er schützt sie vor Not und äußeren Gefahren; schützt ihre Ehre und ihren guten Namen. Der ritterliche Mensch schlägt sich unwillkürlich auf die Seite des Bedrohten, des Schwächeren, des Unterliegenden.

Jeder Feigling könne dem Stärkeren gegenüber Achtung zeigen, aber dies Schwächeren gegenüber zu tun, beweise echte Stärke. Stärke und Sanftmut seien für den christlichen Mann keine Widersprüche, denn für Schwächere einzustehen und Stärkeren dabei die Stirn zu bieten, erfordere beide Eigenschaften. Der sanftmütige Mann sei weder schwach noch naiv. Er verachte Rohheit, sei sich aber der Realität der Welt, in der er lebe, bewusst: „Vornehm sein und sich dabei von jedem übervorteilen lassen, oder sein Recht nicht fordern vor lauter Edelmut. Das alles wäre keine Ritterlichkeit, sondern Schwäche. Wir leben nun einmal nicht in einer idealen Welt, sondern in einer sehr harten, oft unter gewissenlosen Ellenbogenmenschen.“ Der sanftmütige Mann könne sich durchsetzen und „im Notfall die Zähne zeigen“, um dem Guten Raum zu verschaffen.

Versorgen, schützen, führen

Erzbischof Charles Joseph Chaput bekräftigt das von Guardini beschriebene Ideal: „Als Männer liegt es in unserer durch das Wort Gottes bestätigten Natur, drei Aufträge zu erfüllen: Zu versorgen, zu schützen und zu führen – nicht um unserer selbst willen, nicht für unsere leeren Eitelkeiten und Lüste, sondern im Dienst an anderen.“ Das Christentum habe ein zeitloses Ideal der Männlichkeit geschaffen, das angesichts der zunehmenden Herausforderungen in westlichen Gesellschaften an Bedeutung gewinne.

Diese Gedanken sind nicht Ausdruck einer weltfremden Mittelalter-Romantik, sondern in manchen Berufen überlebensnotwendig. Der Militärpsychologe Dave Grossman vermittelt sie Polizisten und Soldaten, die in ihrer Arbeit den Problemen der Welt in besonderem Maße ausgesetzt sind. Er verglich den dienenden Mann anknüpfend an das biblische Bild des guten Hirten und der Herde mit einem Schäferhund, der notwendig sei, damit die Schafe vor den Wölfen sicher seien. Der Schäferhund unterscheide sich vom Wolf dadurch, dass er seine Fähigkeiten in den Dienst der Herde stelle. Jeder Mann müsse sich entscheiden, was er sein wolle.

Einer der Männer, der sich für den christlichen Glauben und die katholische Tradition entschied, war der französische Polizist Arnaud Beltrame. Er gab im März 2018 seine persönliche Antwort darauf, wie gelebte christliche Männlichkeit aussehen kann, als er bei einer Geiselnahme sein Leben dafür gab, dass die meisten Geiseln gerettet werden konnten. Die Medien sprachen später von einem Akt von unvorstellbarer Größe.“

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Über den Autor: Thomas Simon ist Rheinländer, diente in zivilen und militärischen Funktionen im In- und Ausland und fand 2014 zum christlichen Glauben. Als Mitglied des Bundes Sankt Michael setzt er sich vor allem mit Fragen männlicher Spiritualität auseinander.

7 Kommentare

  1. Passend zum Thema (wieder)entdecken: “ Kämpfen und lieben – Wie Männer zu sich selbst finden“ von Anselm Grün und für die Frauen: „Königin und wilde Frau – Lebe was Du bist“ von Linda Jarosch und Anselm Grün

  2. @André Thiele
    Im Beitrag geht es mit Schwerpunkt um die Gedanken Romano Guardinis, der über die großen Lebensfragen deutlich gehaltvollere Dinge zu sagen hatte als die frustrierten, kulturell entwurzelten Anhänger der „Red Pill“-Bewegung oder sonstiger Internetphänomene.
    Wenn Sie aber näher beschreiben, welche Fragen Ihrer Ansicht nach im Text vernachlässigt werden, gehe ich gerne darauf ein.

    • Sehr geehrter Herr Simon, ich denke, es ist für uns beide effektiver und für das Publikum unterhaltsamer, wenn wir unsere jeweilige Arbeit in unserem jeweiligen Feld machen – Sie werden dem Thema „katholisches Männerbild“ ja vielleicht erhalten bleiben -, und dann schauen wir in ein, zwei Jahren einmal nach, wessen Ansatz sich fruchtbringender entwickelt hat.

      Ihr Grundurteil zum Bereich der „red pill“ ist jedenfalls inkompetent und niveaulos und läßt nicht hoffen, daß da von Ihnen etwas Bemerkenswertes zu erwarten ist. Was ja aber auch nicht not tut. Schließlich haben Sie über die großen Lebensfragen deutlich gehaltvollere Dinge zu sagen.

      Frohes Schaffen wünscht Ihnen usw. usf.

    • Eine selbsternannte Bewegung, die den Fortpflanzungsstreik proklamiert, sollte sich genieren, ein Wort wie „fruchtbringend“ in den Mund zu nehmen.

      (Wenn dieses „mit Ihnen rede ich nicht“ nicht ganz unverschämt wäre, wäre mir das freilich wahrscheinlich nicht aufgefallen.)

  3. Der Autor weicht geschickt allen Fragen aus, die von Bedeutung sind. In Bezug auf die „Red Pill“ ist er gleich ganz frei von Kenntnissen. Ansonsten ist das natürlich nett geschrieben. Er und Beile Ratut sind das dream-team der katholischen Beschäftigung mit der Frage des Verhältnisses der Geschlechter zueinander im 21. Jahrhundert. „Dream-team“ übrigens deshalb, weil man geistig im Tiefschlaf sein muß, um an beider romantische Floskeln zu glauben.

  4. Aber daß jetzt fei unsere Frauen nicht auf die Idee kommen, die perfekten katholischen Männer würden wie die Pilze aus dem Erdboden schießen, und bevor wir das nicht wären, seien wir ihrer gar nicht würdig.

    Okay – *sind* wir natürlich tatsächlich nicht; an sich. Aber man muß die Menschen nehmen, wie sie sind, andere gibt es nicht und besser können sie immer noch werden.

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