Freitag, 29. März 2024

1968: Das Jahr der Zerstörung?

Wenn man die heutige Gesellschaftsordnung verstehen will, kommt man an 68 nicht vorbei. Was damals geschah, wirkt bis heute fort.

Der Kabarettist und Liedermacher Rainald Grebe hat ein ironisches Lied über die 68er geschrieben, es trägt den Titel „1968“ und beginnt so: „Liebe Kinder, es gab ein Jahr, das eine Katastrophe war: 1968. Liebe Kinder, seitdem geht’s abwärts. Die 68er sind an allem schuld.”

„Die 68er sind an allem schuld.“ – In diesem Satz sind alle Vorurteile prägnant zusammengefasst. Wofür sind die „68er“ verantwortlich? Zunächst ein Blick in die Zeit vor 68:

Münster vor 1968

Die Kirchen waren voll und Tradition war noch toll, so kann man es kurz und klischeehaft zusammenfassen. Besuchte man zu Beginn der 60er Jahre eine Messe in Münster, zum Beispiel die „Bürgerkirche“ St. Lamberti, so war diese an Sonntagen voll, der Messbesuch war eine Selbstverständlichkeit. Der damalige Bischof von Münster Joseph Höffner (1962-1969) war die Autorität der Stadt. Des Bischofs Wort hatte verbindlichen Charakter. Man erzählt in Münster, dass die Bischöfe noch bis in die 70er Jahre hihinein den Verkauf der Pille durch ihre moralische Autorität einschränken konnten. Studenten gingen mit Anzug in die Universität, kirchliche Moral galt nicht bloß für Außenseiter, sie war gesellschaftlich verankert.

Unter den Talaren …

Doch die konservativ-traditionelle Fassade war bereits länger brüchig. Erste Erschütterungen gab es bereits nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Es gab den Ruf nach einer utopischen neuen Gesellschaft. Die Schützengräben hatten viele junge Männer für immer traumatisiert. Ewige Stellungskriege und sinnloses Sterben statt der erhofften Heldentaten führten zum Neudenken. Doch der utopische Träume waren balf schon zu Ende. Der Schwarze Freitag 1929 ließ romantische Visionen scheitern, brachte das Ende der Weimarer Republik und führte mittelbar zur Diktatur des Nationalsozialismus.

Nach dem Wiederaufbau und dem Wirtschaftswunder, sahen nun viele die Zeit gekommen, Kritik zu üben – und die Reformideen der 20er Jahre nachzuholen: 1968 wurde zum Jahr der Verheißung. Zunächst gab es Kritik an bisherigen Strukturen, Kritik an mangelnder Aufarbeitung des Nationalsozialismus, Kritik an Kirche, Politik und Gesellschaft.

Doch es blieb nicht nur bei Kritik. Schon bald ging es um Revolution. Der Vietnamkrieg brachte die Bewegung zu einem neuen Höhepunkt. Die 68er entwickelten sich zu einer sozialistischen und radikal-kommunistischen Bewegung, ihre Anführer wie Rudi Dutschke gehörten dem SDS – dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund an. Es ging um die Zerstörung der bisherigen Gesellschaftsordnung, um die Schaffung eines neues Menschen. Der „Marsch durch die Institutionen“ sollte die „Kulturrevolution“ zum siegreichen Ende führen.

„Ho-ho-ho-Chi-Minh“ statt Ho-si-anna.

Besonders von den Studenten ging die Revolution aus. Tradition galt als verdächtig. Der Weg in den Nationalsozialismus wurde aus der deutschen Tradition heraus erklärt. Institutionen vor 1945 galten auf einmal als problematisch, faschistoid, autoritär und überholt. Der neue Mensch sang Ho-Chi-Minh und kannte kein Hosanna.

Die Bewegung wird grundsätzlich auf zwei verschiedene Weisen interpretiert.

Die eine sieht in 68 eine Bewegung zur Demokratisierung und Emanzipation, der es um soziale Gerechtigkeit sowie das Streben nach mehr Menschen- und Bürgerrechten gegangen sei. Hierbei handelt es sich wohl vor allem um die Selbstbeschreibung Revolutionsverliebter.

Die andere Weise sieht in der 68er-Bewegung, besonders durch den SDS und die kommunistischen Gruppen, die Rückkehr zu einem antidemokratischen Neototalitarismus.

„Die 68er Bewegung zeichnete sich eben dadurch aus, dass sich fundamentaloppositionelle politische Ziele ‘mit subkulturellen Tendenzen einer Lebensstilrevolte […] trafen und teilweise vermengten‘[…] Die politische Protestbewegung vermischte sich mit einer ‚Kulturrevolution‘ […] Sie erstreckte sich auf Aspekte wie Kleidung, Wohnformen, Musik und Film, Freizeitverhalten, Sexualität, Kommunikation und allgemeine Umgangsformen.“ – PHILIPPS, S. 24.

Das Wort „Kulturrevolution“ ist genau das Stichwort auf das es noch heute ankommt. Die Folgen sind vor allem in der Sexual-, Familien- und Gesellschaftsmoral sichtbar.

Die Kirche und die 68er-Bewegung

Am härtesten traf es die katholische Kirche. Sie galt als aus der Zeit gefallen, als ein Relikt der Vorzeit. Am deutlichsten wird das beim Thema Sexualmoral. Das katholische Festhalten am Verbot von Pille und Kondom durch die Enzyklika von 1968: „Humanae vitae“ wurde von den meisten abgelehnt. Es passte nicht in die Zeit der sexuellen Revolution, in der es gleichsam keine Sünde mehr gab.

Entgegen einer Moral, die auf Bibel und Tradition Bezug nahm, forderten die 68er „Selbstbestimmung“ – was aber nichts anderes war und ist als Egoismus. „Humanae vitae“ hingegen galt als Werk „fremdbestimmter“, Moral. Argumente, die auf Wahrheit und Natur beruhen, waren gesellschaftlich nicht mehr konsensfähig.

Auch politisch änderte sich im Zuge der Revolution Entscheidendes. Die Adenauer Ära ging 1963 zu Ende. 1966-1969 regierte eine „große Koalition“ unter Führung der CDU.

1969 drang 68 in die Politik ein: Es kam zur „Großen Strafrechtsreform“, die besonders im Bereich der Sexualität weitgehende Liberalisierungen schuf und somit die „sexuelle Revolution“ rechtlich legitimierte. Moral und Recht wurden getrennt. Unter anderem wurden Ehebruch, Pornographie und die Förderung vorehelichen Geschlechtsverkehrs („Kuppelei“) nicht mehr unter Strafe gestellt. Für die Kirche hieß das: Die Entzweiung zwischen Kirche und Gesellschaft wurde Gesetz, die kirchliche Sexualmoral unter CDU-Führung politisch abgeschafft.

Seit den 60ern geht die Zahl der Kirchgänger kontinuierlich bergab, wie die Zahl der Priesterweihen. Die Kirche war 68 aus der Gesellschaft gefallen und die Distanz wurde immer größer. Die Anzahl der Austritte aus der katholischen Kirche in Deutschland stieg in den 60ern von etwa 20.000 auf über 60.000 an und erreichte in den 70ern fast die 70.000er Marke. Zwar ist dies gering im Vergleich zu den aktuellen Zahlen, die bei über 150.000 Austritten pro Jahr liegen, dennoch war dies damals ein erster exponentieller Anstieg. Die evangelische Kirche traf es viel schlimmer, bereits 1970 traten über 200.000 aus ihr aus.

Was bedeutet abschließend die 68er Bewegung?

Die 68er-Bewegung war ein Aufstand gegen die traditionelle Gesellschaftsordnung. Kardinal Höffner nannte 68 einen „Traditionsbruch“, eine „maßlose Emanzipation“. Man habe sich von den bergenden Händen der Familie und Gott abgesondert und sei in die Hände anderer Mächte gefallen.

Die Gesellschaftsordnung konnte von den 68ern deshalb angegriffen und in weiten Teilen zerstört werden, weil sie die Öffentlichkeit erfolgreich täuschen konnte: Die These, dass Tradition und Faschismus verbunden seien, konnte die 68er-Bewegung erfolgreich propagieren. Diese Lüge ist der Kern des Erfolgs der ganzen Bewegung. Hitler kam aber nicht aus der Tradition, sondern aus der Gosse und endete in ihr.

Tradition, das ist Mozart, Bach und Beethoven, Jerusalem, Rom und Athen – nicht Diktatoren, Kriegsverbrecher und Völkermörder. Tradition mit Faschismus zu verbinden ermöglichte es der 68er-Bewegung, sich geschickt unter einem pseudo-moralischen Mantel zu verstecken – um von ihrem eigentlichen Aufstand, dem des Egoismus, abzulenken.

Man kann heute konstatieren, dass der „Marsch durch die Institutionen“ erfolgreich war. Der Kampf gegen Religion und Familie gegen Tradition und Ordnung ist im vollen Gange. Besonders subversiv sind die Geisteswissenschaften an den Universitäten, die sich fast vollständig zu Gender-Anstalten entwickelt haben.

Halten wir dagegen und kämpfen für die wahren Werte. Für unsere Familien und die Zukunft Europas.


Verwendete Literatur:

Philipps, Robert, Sozialdemokratie, 68er Bewegung und gesellschaftlicher Wandel 1959-1969, Baden-Baden 2012.

1 Kommentar

  1. Ein interessanter, wenn auch – wohl aufgrund des eingeschränkten Raumes – fragmentarischer Ansatz. Richtig ist zweifellos, dass einer lebensstarken Kirche „68“ wenig(er) ausgemacht hätte, aber die Fundamente waren in der Tat brüchig. Zu nennen ist hier (in aller gebotenen Kürze) die Tätigkeit der in ihrem Innern schleichend umgeformten „Liturgiebewegung“ oder die 1903 gegründete katholische Kulturzeitschrift „Hochland“ – hier wurde auf der akademischen Ebene der Spagat zwischen Katholizismus einerseits und „moderner“ Umwelt, der gut sechzig Jahre später breite Volksschichten betreffen sollte, gleichsam vorgebildet. Aber auch außerkirchliche Faktoren sind zu nennen: die spezifische Situation in Europa in den 1950ern zeigte wirtschaftlichen Aufschwung und atemberaubenden wissenschaftlichen Fortschritt, nach dem „Sputnik-Schock“ gab es den – die ganze Welt faszinierenden – „Wettlauf ins All“. Hier entwickelten viele Bischöfe kindliche Bewunderung und einen ausgewachsenen Minderwertigkeitskomplex, zudem kam durch die kriegsbedingte Besetzung Westeuropas durch US-Truppen und den späteren Schutz durch US-Atomwaffen im Nachkriegseuropa verstärkt der sog. „American Way of Life“ zum tragen: Ein Lebensstil, welcher – neben starkem Individualismus, Freiheitsliebe und dem Streben nach irdischem Glück und Wohlstand („pursuit of happiness“) – vor allem durch Optimismus und Aktivität geprägt wird und dabei Ideale mit einer pragmatischen Einstellung verbindet.

    Wichtig ist, dass der Beitrag die Rolle der Union beleuchtet: die „Große Strafrechtsreform“ unter CDU-Kanzlerschaft, zu ergänzen wäre das inhaltslose „christliche Menschenbild“ unter dem Reformer Helmut Kohl in den 70ern, in den 80ern folgten der berüchtigte „Frauenparteitag“ in Essen samt ausgebliebener „Wende“. Den Essener Parteitag 1985 stufte Heiner Geißler übrigens interessanterweise im „Zeit“-Interview 1991 als „Kulturrevolution“ ein…

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