Freitag, 29. März 2024

Sind Gott und Seine Kirche „systemrelevant“?

Sprachsensible Menschen stoßen sich an anschauungslosen Begriffen und an einem technokratischen Umgang mit Wörtern, die auf bestimmte Phänomene der Zeit bezogen sind. Unsere Konversationsmuster sind eingeübt, ebenso haben wir habituell Verhaltensweisen, Umgangs- und Sprachformen verinnerlicht. Wir möchten einander freundlich und zugewandt, mit Güte, Wohlwollen und Sympathie begegnen.

Zurzeit lächeln wir einander eher maskiert zu. Und wir vernehmen eine neue Sprache, die verärgert und traurig macht. Seit Langem stöhnen wir über die Prosa der verwalteten Welt, wenn wir Post von Ämtern empfangen, oder über abgenutzte, verschlissene Begriffe in anderen Bereichen. Weithin gegenwärtig sind auch die Widerstände gegen die sogenannte „Gender-Sprache“, die u. a. der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg immer wieder markant vorträgt. Aber auch das Covid-19-Virus, also Corona, hat zu einer pandemischen Sprachvergiftung in Politik und Gesellschaft geführt.

Kritik an der Sprache ist geboten, notwendig, wegweisend – in unserer Zeit: die Kritik an der theologischen Sprache. Wir leben in der Hirtenwortzeit. Der Mainzer Bischof Dr. Peter Kohlgraf hat den sperrigen Begriff „Systemrelevanz“ aufgegriffen und über die „Systemrelevanz“ Gottes nachgedacht. Theologisch genügt der Blick auf das Kreuz, um eine Anschauung davon zu gewinnen, wie das herrschende politische System dem Messias begegnet ist. Aber darüber denkt Bischof Kohlgraf nicht nach.

Wir haben uns daran gewöhnt, Begriffe wie „Systemrelevanz“ zu vernehmen: Wer ist „systemrelevant“? Dazu gehören Krankenschwestern, Ärzte, medizinisches Personal etwa und auch gewiss die Verwaltungskräfte in Spitälern. Sie erhalten das „Gesundheitssystem“ aufrecht. Zu den Gruppen der „Systemrelevanz“ gehören auch Angestellte in Supermärkten und andere Berufsstände. Der Begriff kam in Begleitung von Corona auf und ging viral.

Bischof Kohlgraf schreibt: „In der Corona-Pandemie sind Wörter geprägt worden, über die vorher kaum jemand nachgedacht hat. Eines davon ist »Systemrelevanz«. Als »systemrelevant« gelten die Einrichtungen und Berufe, die für ein funktionierendes Gemeinwesen unerlässlich sind.“  Der Mainzer Bischof reflektiert nun das Jahr 2020: „Die »Systemrelevanz« von Gottesdiensten und anderem kirchlichen Tun war von Beginn der Pandemie an Thema. Aus Sorge um die allgemeine Gesundheit konnten öffentliche Gottesdienste zeitweise nicht stattfinden.“

Aus Gründen des Infektionsschutzes wurden später Regeln erlassen und – auch dieses Wort kannten wir zunächst nicht – „Hygienekonzepte“, die bis heute gelten. Bischof Kohlgraf sieht den Platz der Kirche fest in Staat und Gesellschaft verankert: „Es gehört zum Gelingen demokratischer Prozesse, Diskussionen immer wieder neu zu führen. Die geistlichen Angebote der Kirche machen den Menschen Mut und motivieren zu sozialem Miteinander. Hier kann die Kirche mit ihrer Botschaft ihre Systemrelevanz erweisen.“ Taugt die Kirche als Motivator für die Stärkung der säkularen Gemeinschaft bei säkularen Zielen? Ist Gottes Wort, sind die Sakramente etwa Angebote und Muntermacher für den Alltag?

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Kirche nicht systemrelevant ist und auch nicht systemrelevant sein muss. Die Kirche spricht von Heil und Erlösung, sie verkündet Christus und spendet die Sakramente – und steht damit außerhalb von allen Systemen dieser Welt, auch wenn sie als Institution unvermeidlich eine weltliche Gestalt hat. Die Kirche muss als Stiftung Jesu Christi nicht fremden Anforderungen genügen.

Bischof Kohlgraf schreibt weiter: „In der Pandemie sitzen Gläubige und Ungläubige in einem Boot, und sie suchen gemeinsam nach Lösungen und Antworten. Hat der Glaube an Gott Systemrelevanz? Ist Gott relevant?“ Die Fragen sind nur rhetorisch – und dankenswerterweise stellt der Bischof fest: „Für den Erhalt menschlicher Systeme darf Gott nicht relevant sein. Es widerspricht der Größe Gottes, ihn zu instrumentalisieren. Er ist kein Kriegsgott, auch kein Kirchen-Gott, kein Gott, der sich für einfache kirchliche oder gesellschaftliche Lösungen anbietet. Er ist auch kein Gesundheits-Gott.“

Wir dürfen vielleicht ergänzen: Er auch nicht der Gott des „Synodalen Wegs“, der – im Corona-Jargon formuliert – auch nicht für ein „exponentielles Wachstum“ bei der Verkündigung des Glaubens sorgen wird. Zugleich kenne ich nicht den Namen des Bootes, in dem Gläubige und Ungläubige in der Pandemie laut Bischof Kohlgraf angeblich sitzen. Aber ich sehe uns umflutet von lästigen Plastikwörtern wie Systemrelevanz, Inzidenzwert, Impfangebot, Herdenimmunität, Abstandsregeln, AHA-Formel oder Triage. Auch an das Phänomen der sog. Toilettenpapierknappheit erinnern wir uns alle noch sehr gut.

Mir scheint, wenn die Kirche des Herrn heute auf der Höhe der Zeit sein möchte, dann sollte sie sich einfach nur auf Gottes Wort besinnen. Wäre die Kirche „systemrelevant“, würde das sicher im Katechismus stehen.

An die Botschaft der Kirche hat der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer jüngst in einer Predigt erinnert: „Wir sind als Kirche Zeugen eines großen Lichtes, das nicht wir hervorbringen und das wir auch nicht zum Erlöschen bringen können, das aber die Welt dringend braucht. An uns ist es, dass wir immer uns immer wieder neu in dieses Licht stellen, um uns läutern zu lassen, uns zu stärken im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe.“

Die unverbrüchliche Treue zu Christus, dem Licht der Welt, und Seiner Kirche ermutigt uns auch dazu, nicht die Jargons aller Zeiten in den theologischen Sprachgebrauch zu integrieren. Wir sind als Kirche weltlich nicht „systemrelevant“ und müssen das auch gar nicht sein.

Das Thema der Kirche ist Gott. Die Kirche ist das allumfassende Sakrament des Heils und keine Einrichtung von prioritärer säkularer „Systemrelevanz“. Der Garant unserer Hoffnung ist niemand anderer als Jesus Christus. In der Österlichen Bußzeit wissen und bekennen wir: Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung. Wir brauchen also keine neuen Plastikwörter, wir brauchen nur Gott und Seine Kirche – und eine neue Dynamik des Glaubens.

Der heilige Petrus geht unter von Eero Järnefelt (1892) | Public domain, via Wikimedia Commons

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