Freitag, 13. Dezember 2024

Das Zweite Vatikanische Konzil enthält revolutionäre Elemente

Der berühmte und einflußreiche französische Theologe Yves Congar bekannte, ohne zu zögern, die Kirche habe „durch die Erklärung über die Religionsfreiheit sowie durch ihre Pastoralkonstitution ‚Gaudium et spes‘ über die Kirche in der Welt von heute (ein signifikanter Titel!) freimütig in dieser pluralistischen Welt unserer Zeit ihren Platz eingenommen“.[1]

An anderer Stelle verglich er, der vor dem II. Vatikanum in (nicht ganz unberechtigten!) Modernismusverdacht geraten war[2], aber 1994 nichtsdestoweniger von Papst Johannes Paul II. mit dem Kardi­nalspurpur ausgezeichnet wurde, das II. Vatikanum sogar mit der „Oktober­revolution“[3].

Ähnlich hatte Kardinal Suenens das II. Vatikanum das „89 der Kirche“ genannt, wie wir oben schon aus der Feder von Erzbischof Viganò gehört hatten.[4] Christoph Kardinal Schönborn sagte über das II. Vatikanische Konzil, es könne ‚in vieler Hinsicht fast als eine Revolution in der katholischen Kirche bezeichnet werden’.[5]

Eine andere Kirche?

Auch Papst Benedikt XVI. gab in Zusammenhang mit den Ausführungen jener Kirchenversammlung zum Ökumenismus „Unitatis redintegratio“ zu, daß dieses geradezu als „revolutionäres Dokument“ bezeichnet werden darf: „Zwar trugen sie [die Konzilsväter] gleichfalls das Dekret über den Ökumenismus in der Tasche, das, verglichen mit lehramtlichen Äußerungen aus der Zeit der Pius-Päpste, ein geradezu revolutionäres Dokument genannt werden durfte, von dem aus sich eine ganz neue Haltung den getrennten christlichen Brüdern gegenüber eröffnete, sowohl in bezug auf die reformatorische Christenheit wie auch ganz besonders hinsichtlich der Kirchen des Ostens.“[6]

Recht hatte der heutige Papa emeritus! Denn in Lumen gentium 8 ist die absolute Identität zwischen Kirche Christi und katholischer Kirche aufgehoben, die Pius XII. noch gegen genau solche Angriffe, wie sie jetzt vom Konzil vorgetragen wurden, in seinen Enzykliken „Mystici Corporis“ und „Humani generis“ verteidigt hatte. Hier heißt es nur noch, daß jene Kirche Christi in der katholischen Kirche verwirklicht sei, das heißt ganz verwirklicht sei: subsistit in! Folglich ist sie in abgeschwächter Form auch woanders verwirklicht. Und genau das steht in LG 8! Sogar Kardinal Ratzinger/Papst Benedikt XVI. nahm leider die neue Ideologie an, die einen klaren Bruch mit der nahezu 2000-jährigen Tradition der Kirche darstellt. Auch die Erklärung der Glaubenskongregation „Dominus Iesus“ aus dem Jahr 2000, von Ratzinger verfaßt, kehrte hierin, so gut sie unter einigen anderen Aspekten war, nicht eindeutig zur überlieferten Lehre zurück. So verwundert es nicht, daß der Kardinal das „est“ in der Enzyklika „Mystici Corporis“ im selben Jahr ausdrücklich zurückwies: „Das schien eine Totaldeckung auszudrücken, bei der außerhalb der katholischen Gemeinschaft nichts von Kirche übrigbleibt. Das aber trifft nicht zu.“[7]

Entweder ist eine Gemeinschaft nun einmal die Kirche Jesu Christi, oder sie ist es nicht: Tertium non datur (Ein Drittes gibt es nicht)! Ein „bißchen Kirche“ oder „etwas mehr Kirche“ zu proklamieren widerspricht der Logik katholischer Theologie, ja sogar jeder menschlichen Logik. Man kann auch nicht ein bißchen verheiratet, ein bißchen schwanger oder ein bißchen Priester sein usw. Hier liegt natürlich die fatale Aufspaltung der Wahrheit in Teilwahrheiten nach dem additistischen Wahrheitsbegriff zugrunde, über den Wolfgang Schüler mehrfach so erhellend geschrieben hat; siehe z. B. sein Werk Die Elemente-Ekklesiologie – Wie das II. Vatikanum die Identität der Kirche Jesu Christi mit der Römischen Kirche aufhebt (Stuttgart 2015). Folglich können im Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio Nr. 3 auch die falschen Konfessionen sogar zu Mitteln des Heils aufgewertet werden, wenn auch zu minderen. Der Bruch mit der traditionellen Lehre von der Kirche ist perfekt!

«Gaudium et spes» verstößt gegen die Lehre Papst Pius’ IX.!

Besonders drastisch äußerte sich Kardinal Ratzinger zu den Veränderungen während der Ära des II. Vatikanums im Jahr 1982. Er vertrat nämlich in einem seiner bekanntesten Werke die Meinung, daß die Pastoral­konstitu­tion ‚Gaudium et spes’ des II. Vatikanums «die Rolle eines Gegensyllabus spielt und insofern den Versuch einer offiziellen Versöhnung der Kirche mit der seit 1789 gewordenen neuen Zeit dar­stellt».[8]

Das ist aber keine Kritik, sondern Ratzinger stimmte dieser Entwicklung zu! In meinem Beitrag „Aussagen des Hl. Vaters verfälscht?“ in der Kirchlichen Umschau 8,11/2005, 7-9 habe ich aus dem näheren und ferneren Kontext detailliert aufgezeigt, daß dieser Satz nicht, wie man mir entgegengehalten hatte, eine gegnerische, sondern des damaligen Glaubenskongregationspräfekten eigene Ansicht umriß. Auch Maximilian Heinrich Heim sieht, wie ich nachträglich feststelle, jene Äußerung nicht als die Meinung Kardinal Ratzingers an, sondern weist sie „manchen Theologen“ zu (Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existenzielle Theologie – Ekklesiologische Grundlinien unter dem Anspruch von Lumen gentium. Mit einem Geleitwort von Joseph Kardinal Ratzinger, 2. Aufl. Frankfurt/M. 2004, 29, vgl. auch 181.) Diese Interpretation ist jedoch eindeutig nicht vom Kontext gedeckt. Richtig hat die Verhältnisse der Journalist und Kulturkritiker Alexander Kissler, Verfasser der Bücher „Der deutsche Papst. Benedikt XVI. und seine schwierige Heimat“ und „Der geklonte Mensch. Das Spiel mit Technik, Träumen und Geld“, in seiner lesenswerten Auseinandersetzung mit den „Neuen Atheisten“ beurteilt, die unter dem Titel erschienen ist „Der aufgeklärte Gott. Wie die Religion zur Vernunft kam“ (München 2008, 142 f.). Unsere Deutung wird ferner durch die anderen, oben zitierten Aussagen Papst Benedikts XVI. indirekt bestätigt.

  Auch der (ehemalige) Bonner Dogmatiker Michael Schulz vertritt eine Deutung der Aussage Ratzingers, die der meinen nicht ganz fernsteht: „Der damalige Regensburger Dogmatiker notiert in der Tat, dass man sagen ‚könnte’, GS stelle ‚eine Art Gegensyllabus’ dar.“[9]

Hier wird aus S. 398 des Buches „Theologische Prinzipienlehre“ zitiert. Diese Diagnose weitete Ratzinger übrigens auch auf zwei andere Texte aus, er fügte nämlich hinzu: „in Verbindung mit den Texten über Religionsfreiheit und über die Weltreligionen.“ Auf der folgenden Seite der „Theologischen Prinzipienlehre“ wird aber das, was hier eher noch etwas vorsichtig angedeutet wird, bei Ratzinger zur Gewißheit: „Begnügen wir uns hier mit der Feststellung, daß der Text («Gaudium et spes», H- L B)) die Rolle eines Gegensyllabus spielt und insofern den Versuch einer offiziellen Versöhnung der Kirche mit der seit 1789 gewordenen neuen Zeit darstellt.“ Warum führt Schulz nur das erste Zitat an, obwohl das zweite noch deutlicher ist? Warum versucht Schulz es außerdem im unmittelbar folgenden Text zu relativieren, indem er behauptet: „Aber der Tenor des Beitrags von Ratzinger geht in eine andere Richtung: Im Syllabus erkennt Ratzinger nur einen ersten Versuch der Auseinandersetzung mit der Moderne; der Syllabus habe nicht das letzte Wort. Die weiteren Ausführungen Ratzingers resümieren, dass ‚die wirkliche Rezeption des Konzils noch gar nicht begonnen hat.’ In der mangelhaften Rezeption von GS sieht Ratzinger gerade ein Motiv für das zunehmende Wachstum integralistischer Gruppierungen.“ Das alles ändert ja nichts daran, daß auch nach Ratzingers Ansicht hier ein Bruch zwischen vorkonziliarer Lehre und der Position des II. Vatikanums besteht!     

In seiner berühmten Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der römischen Kurie beim Weihnachtsempfang des Jahres 2005 gab der damalige Heilige Vater selbst bezüglich einiger Entscheidungen des II. Vatikanums zu, „daß in gewissem Sinne tatsächlich eine Diskontinuität aufgetreten war.“ So seien auch „einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert worden.“ Aber trotzdem, so Benedikt XVI., müsse man der „Hermeneutik der Reform“ folgen. Denn „in den Grundsätzen <sei> die Kontinuität nicht aufgegeben worden“. Daher habe die Kirche „trotz dieser scheinbaren Diskontinuität… ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft.“[10]

Das sind Behauptungen, denen doch einige Fakten, u. a. die Erklärung der Religionsfreiheit, zu widersprechen scheinen, wie wir oben schon dargelegt haben.    

Die nichtkatholischen Beobachter beeinflußten das II. Vatikanum im Sinne des Ökumenismus!

Ein wichtiger Gedanke ist noch zu ergänzen: Eine solche Einschätzung wundert niemanden, der auch nur ein wenig die Geschichte der Entstehung jenes Konzilstextes kennt. Protestantische (und andere nichtkatholische) Beobachter haben hier massiv mitgewirkt – und nicht nur hier, sondern im gesamten Konzil! Yves Congar, der es wahrlich wissen muß, legte hierfür ein eindeutiges Zeugnis ab: „Wenn man die Passagen des II. Vatikanums, die aufgrund der Bemerkungen der Beobachter geändert worden sind, rot markieren wollte, dann erhielte man einen recht farbigen Text.“[11]

Daß solche Modifizierungen im Sinne der Positionen jener Beobachter vorgenommen wurden, die naturgemäß durchaus nicht immer der traditionellen katholischen Lehre entsprachen, versteht sich von selbst, wurde aber von Congar noch ausdrücklich betont: „Die ökumenische Qualität der Verbesserungen war zum Beispiel ein oft entscheidendes Kriterium.“[12]

Und diese „Verbesserungen“ sind nicht irgendwie in die konziliaren Texte geraten, sondern das Vorgehen entsprach leider durchaus der Vorgabe Papst Johannes‘ XXIII. Dieser hatte den Brügger Bischof E.J. de Smedt, Sekretär des Sekretariats für die Einheit der Christen, angewiesen, „den Konzilsvätern zu helfen und die verschiedenen Texte zu prüfen…, und zwar unter dem Gesichtspunkt des Ökumenismus“.[13]

Im 5. Band der „Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils“, herausgegeben von Giuseppe Alberigo und Günther Wassilowsky, liest sich das so: „Es gibt verschiedene Zeugnisse angesehener Persönlichkeiten darüber, daß die von ihnen [gemeint sind die nichtkatholischen Beobachter] zur Sprache gebrachten Gesichtspunkte wirklich Einfluß auf die grundsätzliche Ausrichtung des Konzils und daher auch auf das Corpus seiner Beschlüsse gehabt haben[14]… Der Erwähnung wert ist auch die Tatsache, daß die Beteiligung der nichtkatholischen Christen nicht auf einige wenige der vom Zweiten Vatikanum angesprochenen Themen (z. B. auf Ökumenismus und Religionsfreiheit) beschränkt war, sondern daß sie sich auf alle behandelten Themen erstreckte… Die ursprünglich gesehene Möglichkeit, daß die ‚Beobachter’ bloß die Funktion haben sollten, ihre Kirchen zu informieren und dem Konzil gegenüber Zeugnis abzulegen, entwickelte sich weiter, als zunächst vorgesehen war, und sie setzte alle von Vorsicht diktierten Einschränkungen außer Kraft.“[15]

Im folgenden bezeichnet Alberigo die „Beobachter“ angesichts ihres Einflusses sogar als „wirkliche Konzilsmitglieder“, wenngleich auch als solche mit informellem Status. Dieses ganze Vorgehen und die Haltung des Konzils insgesamt gegenüber „Häretikern“ und „Schismatikern“, wie man ehedem gesagt habe, die nun aber nicht mehr zur katholischen Kirche zurückkehren müßten, charakterisiert der Theologe dann zu Schluß dieses Abschnittes mit dem erstaunlichen, aber wohl leider nicht ganz unberechtigten Urteil: „Dies war eine echte Revolution, die zunächst nicht wenige Konzilsväter – vielleicht mehr an Zahl als die, welche diese Umwälzung mit Erleichterung und Freude begrüßten – mißtrauisch und verblüfft reagieren ließ.“ Und solche Kritiker, die sowohl ohne Wenn und Aber ihrem katholischen Glauben treu geblieben sind als auch theologisch denken können, gibt es immer noch, und mittlerweile sogar in vermehrter Zahl. Sie finden sich durchaus nicht nur in der Priesterbruderschaft St. Pius X., auch wenn sie dort geballt auftreten.

Ist die „Konzilskirche“ noch die Kirche Jesu Christi?

Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zur Frage, wie man eine solche Diagnose dogmatisch zu bewerten hat, nach der im II. Vatikanum die sichere katholische Tradition durch gewisse Neuerungen, sagen wir einmal vorsichtig, relativiert worden ist; jedenfalls sehen es viele so, und nicht ganz zu Unrecht, wie wir ja auch gezeigt haben. Ist die „Konzilskirche“ damit nicht mehr die „Kirche Jesu Christi“? Sind ihre Päpste, Bischöfe und Priester womöglich gar nicht im Amt? Davon kann keine Rede sein. Denn man muß einen entscheidenden Gesichtspunkt berücksichtigen, der öfter bei der Interpretation des II. Vatikanums von beiden Seiten, der progressiven wie der traditionellen, verkannt wird: „Aus den Akten wird deutlich, daß man – wenigstens gilt das für die Dekrete und Erklärungen – keine dogmatischen bzw. doktrinären Aussagen treffen wollte, sondern auf die Praxis zielte.“

So faßte Msgr. Florian Kolfhaus das Ergebnis seiner Doktordissertation zusammen, die wir in Teil 1 dieser Serie schon erwähnt hatten: Pastorale Lehrverkündigung – Grundmotiv des Zweiten Vatikanischen Konzils. Untersuchungen zu „Unitatis Redintegratio“, „Dignitatis Humanae“ und „Nostra Aetate“, Münster 2010. Das Zitat stammt aus seiner Vorstellung des Buches in: Reform in Kontinuität – Anmerkungen zum Konzilsjubiläum, DNO 67,1/2013, 4-12 (Zitat 6). Übrigens gilt besagte Diagnose sicher auch für „Gaudium et spes“, jenes Dokument, das ja ausdrücklich als Pastoralkonstitution ausgewiesen ist. Und eine weitere Feststellung ist fundamental, die Kolfhaus getroffen hat: „Meiner Auffassung nach darf man mit Pesch (gemeint ist Otto Hermann Pesch, H-L B), auch wenn er provokant und überspitzt formuliert, durchaus sagen, daß manche Aussagen des Konzils ‚provisorisch, überholbar, vorläufig‘ sind… Aussagen über den Glauben dagegen, die sich auf Glaubenswahrheiten beziehen, sind von anderer Art, müssen als bleibend gültig (irreformabiles, DS 3074) angenommen und interpretiert werden. Katholische Lehre ist eben nicht ‚provisorisch, überholbar, vorläufig‘.“ (a. O. 10 f.)

Im genannten Aufsatz aus der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“ kommt Kolfhaus auch auf die berühmte Rede Kardinal Ratzingers an die Bischöfe Chiles vom 13. Juli 1988 zu sprechen, wo der Präfekt der Glaubenskongregation hervorgehoben hatte, „daß ‚das Konzil selbst kein Dogma definiert hat und sich bewußt in einem niederen Rang als reines Pastoralkonzil ausdrücken wollte.‘ Allerdings wird gerade dieses ‚Pastoralkonzil – so Ratzinger – interpretiert, ‚als wäre es fast das Superdogma, das allen anderen die Bedeutung nimmt‘.“ (a. O. 7)

Leider ist auch Kardinal Ratzinger/Benedikt XVI. selbst durchaus nicht unschuldig an der gefährlichen Richtung, die Vatikanum II. eingeschlagen hat. Darauf hat Dr. Maike Hickson in einem umfangreichen Beitrag aufmerksam gemacht: RORATE EXCLUSIVE – New biography describes great influence of Fr. Joseph Ratzinger in Vatican II (vom 12.11.2020). Es handelt sich um eine ausführliche Vorstellung des Opus maximum von Peter Seewald Benedikt XVI. – Ein Leben (München 2020, 1250 S.), der erstaunliche Fakten erwähnt, die zum großen Teil schon bekannt waren, nach seinen Untersuchungen aber hier und da noch in anderem Licht erscheinen.

In einer zentralen Diagnose läßt Seewald den jungen Ratzinger selbst zu Wort kommen: „Ratzinger sah es ähnlich. In seinen Augen war die Absetzung des von ihm kritisierten Schemas der ‚Wendepunkt‘ des Konzils. Mit dem Aufstand ‚gegen die einseitige Fortsetzung der antimodernistischen Spiritualität‘ hätten sich die Väter ‚für einen neuen Weg positiven Denkens und Sprechens‘ entschieden.“ (a. O. 427) Es war um das vorbereitete Schema zu den Quellen der Offenbarung gegangen, nämlich die Schrift und die Tradition. Den progressiven Kräften wie Ratzinger, Rahner, Döpfner, Suenens, Frings, Liénart usw. hatte es nicht gefallen. Wenn Ratzinger nicht auf den Trick verfallen wäre, nur einen Teil der eingereichten Arbeit als Qualifikationsschrift bewerten zu lassen, wäre er u. a. wegen seiner Ablehnung der traditionellen katholischen Position in dieser wichtigen Frage bei dem Münchner Dogmatiker Prof. Michael Schmaus zuvor nicht habilitiert worden.

Im Oktober 1962 wurde nicht nur dieses Offenbarungsschema von der Tagesordnung genommen, sondern die vorbereiteten Texte sollten nunmehr durch andere ersetzt werden, die von progressiver Seite schon vorbereitet worden waren. Walter (jetzt Kardinal) Brandmüller fällte ein bemerkenswertes Urteil über die ursprünglichen Vorlagen: „Vermutlich war die theologische Qualität der vorbereiteten Schemata sogar besser als die des nachfolgenden Konzils.“ (Das Konzil und die Konzile, in: Zweites Vatikanisches Konzil: das bleibende Anliegen, hg. von Joachim Piegsa, St. Ottilien 1991, 30). 

Und Kardinal Frings, der mit Kardinal Liénart am 13. Oktober 1962 gegen die präparierten Schemata in der Konzilsaula in einem nachgerade revolutionären Akt interveniert hatte, äußerte später dem Bonner Historiker Konrad Repgen gegenüber, „er sei sich gar nicht so sicher, ob er mit den beiden eben erwähnten Interventionen beim Konzil (die zweite hatte am 8. November 1963 stattgefunden, H-L B) das Richtige getan habe und wie das später, drüben und hier, einmal beurteilt würde.“ (Konrad Repgen, Ein kirchlicher Lebensweg: Kardinal Frings, in: Von der Reformation zur Gegenwart. Beiträge zu Grundfragen der neuzeitlichen Geschichte, Paderborn 1988, 250). Nicht ganz zu Unrecht versieht Peter Seewald das entsprechende Kapitel seines Buches zum Oktober 1962 mit der Überschrift Sieben Tage, die die katholische Kirche für immer verändern (a. O. 415).        

Dieser Artikel ist der letzte Teil der Serie:


[1] Yves Congar, Der Fall Lefebvre – Schisma in der Kirche?  dt. Ausgabe Freiburg//B. 1977, 62

[2] Zu Theologen wie Yves Congar stellte Bernd Jochen Hilbe­rath fest: „Die Theo­lo­gen, die im Um­feld des Zweiten Vatika­ni­schen Konzils rehabili­tiert wurden, die Sachverständigen, die Kon­zilsbera­ter wur­den, hatten alle irgend­wann einmal vor dem Konzil Predigt- und Schreib­ver­bot.“ Nament­lich führte Hilberath unmittelbar zuvor de Lubac, Congar, Daniélou, Teilhard de Chardin und Karl Rah­ner an (Karl Rahner – Gottgeheimnis Mensch, Mainz 1995, 28 f.).

[3] „L‘ Église a fait, pacifiquement, sa revolution d‘ octobre“ („Die Kirche hat friedlich ihre Oktoberrevolution gemacht“) so schrieb Yves Congar in „Le concile au jour le jour. Deuxième session“ (Paris 1964, 115), und zwar im Zusammenhang mit der Abstimmung über die Kollegialität der Bischöfe. Später bezeich­nete er diesen seinen eigenen Aus­spruch als ein „zugegebenermaßen anfechtbares Wort“ (ds., Der Fall Lefebvre – Schisma in der Kirche? 140 Anm. 40; dort wir übrigens fälschlich die Seite 215 statt 115 aus „Le concile au jour le jour. Deuxième session“ genannt). Wigand Siebel interpretierte jenen „Widerruf“ aber zutreffend, wenn er schrieb, er sei erfolgt, „nicht wegen der Feststellung einer Revolution, sondern weil das sowjetische System ange­sprochen ist“ (Katholisch oder konziliar? München/Wien 1978, 106 Anm. 1).

[4] Siehe ferner Anton Holzer, Vatikanum II – Reformkonzil oder Konstituante einer neuen Kirche? Basel 1977, Abschnitt „Zeugen der Revolution“, 78. Ich zitiere selbstverständlich auch Autoren, die in ihrer Haltung zu den Päpsten der Konzilsära von meiner Meinung abweichen, wenn die angeführten Aussagen richtig sind.

[5] DT vom 10. März 2001, S. 9

[6] Joseph Ratzinger, Ergebnisse und Probleme der dritten Konzilsperiode, Köln 1965, 7

[7] FAZ vom 22. September 2000. Für den Hinweis auf diesen Zeitungsartikel danke ich H. H. Pater Franz Schmidberger, der ihn in seiner elektronischen Montagsaussendung vom 9. Dezember 2019 erwähnt hat.

[8] Theologische Prinzipienlehre, München 1982, 2. unveränderte Aufl. Donauwörth 2005, 399. Die unkorrigierte Neuauflage fällt schon in das Pontifikat Joseph Ratzingers.

[9] Michael Schulz, Das Zweite Vatikanische Konzil in der Einschätzung der Pius- Bruderschaft, IKaZ Communio 38/2009, 206-216, hier 214.

[10] Deutsche Übersetzung online. Der Originaltext der Ansprache ist abgedruckt in: AAS 98/2006, 40-53.

[11] « Si on marquait en rouge les passages de Vatican II modifiés sur la base des remarques des observateurs, on obtiendrait un texte assez coloré. » (Yves Congar, Le Concile de Vatican II. Son Église: Peuple de Dieu et Corps du Christ, Paris 1984, 96) 

[12] « La qualité œcuménique des amendements, par exemple, fut un critère souvent décisif. » (Congar, Le Concile de Vatican II, 95, Zitat nach der Aussage des Sekretärs der Französischen Bischofskonferenz, Gérard Defois, aus dem Jahre 1975)

[13] Zitat nach: Francesco Spadafora, La tradizione contro il concilio – L’apertura a sinistra del Vaticano 2, Roma 1989, 45 (“Il presule belga si dilungò nel rivelare il compito affidato dal Papa al suo segretario ‘aiutare i Padri conciliari e esaminare i diversi testi …, dal punto di vista dell’ecumenismo’.”)

[14] In der zugehörigen Fußnote 38 werden solche Referenzen genannt.

[15] Giuseppe Alberigo, Ein epochaler Übergang? In: Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), hg. von Giuseppe Alberigo und Günther Wassilowsky, Bd. V: Ein Konzil des Übergangs (September – Dezember 1965), Ostfildern – Leuven 2008, 671-673. Ich bin mir sehr wohl der Tatsache bewußt, daß Alberigo einer der berüchtigsten Vatikanum II-Interpreten vom linken Flügel der Kirche ist. Das, was ich hier aus seinem Werk angeführt habe, läßt sich aber auch sonst nachweisen.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Hat Ihnen der Artikel gefallen?

Mit Ihrer Spende können Sie dafür sorgen, dass es noch mehr davon gibt:

Neueste Artikel

Meistgelesen