Montag, 18. März 2024

Professor Walter Hoeres im Interview über Pfarrer Hans Milch

Der Cathwalk veröffentlicht ein Interview, das der langjährige Freund von Pfarrer Milch, Professor Walter Hoeres, der Kirchlichen Umschau seinerzeit gewährte.

Pfarrer Hans Milch wurde am 17. März 1924 in Wiesbaden als drittes Kind eines Rechtsanwalts geboren; die Familie war protestantischen Glaubens. Nach dem Abitur leistete er Militärdienst ab und lernte in der anschließenden Kriegsgefangenschaft durch einen Priester den katholischen Glauben kennen. Im Anschluß an seine Konversion trat er 1947 in das Priesterseminar St. Georgen bei Frankfurt am Main ein. Nach seiner Priesterweihe, am 8. März 1953, hatte er Kaplanstellen in Lorch, Rennerod sowie am Frankfurter Dom inne und wurde am 1. Januar 1962 in das Amt als Pfarrer von Hattersheim am Main eingeführt.

Manche seiner Amtsbrüder waren verblüfft, als sich der aufgeschlossene junge Priester gegen die Neuerungen wandte, die das Zweite Vatikanische Konzil eingeleitet hatte. Insbesondere lehnte er es ab, die Neue Messe zu zelebrieren und hielt den Bischöfen in aller Öffentlichkeit ihr Versagen vor, weil sie dem Selbstzerstörungsprozess der Kirche, von dem Papst Paul VI. sprach, nicht entgegentraten, ja diesen zum Teil auch noch förderten. Dies führte zu einem sich verschärfenden Konflikt mit dem Bischof von Limburg, Wilhelm Kempf, der ihn 1979 seines Amtes enthob.

Pfarrer Milch setzte jedoch sein priesterliches Wirken unermüdlich fort. Er scharte glaubenstreue Katholiken um sich, baute eine Kirche in Hattersheim, trat mit zahlreichen Glaubenskundgebungen hervor und verfasste eine Reihe kleinerer Schriften. In Deutschland gab es zu dieser Zeit keinen zweiten Priester, der so wortgewaltig wie er in der Öffentlichkeit den überlieferten Glauben verkündete, den in den Innenraum der katholischen Kirche eingebrochenen Modernismus entlarvte und dabei auch Maßstäbe für die Zukunft der Kirche Gottes setzte.

Am 8. August 1987 wurde Pfarrer Milch in Ausübung seines seelsorglichen Dienstes ermordet.

Frage: Welche Themenbereiche bestimmten das priesterliche Wirken von Pfarrer Milch?

A: 1. Seine Glaubensverkündigung und die Maßstäbe, die er in der Seelsorge setzte.

2. Seine Auseinandersetzung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, mit den aus diesem hervorgegangenen Reformen sowie dem nachkonziliaren Erscheinungsbild der Kirche.

3. Die geistige Ausrichtung und Leitung der von ihm gegründeten Gebets- und Sühnegemeinschaft actio spes unica sowie die Aufklärung der Gläubigen über die Wurzeln der heutigen Kirchenkrise.

Diese Dreiteilung deutet darauf hin, dass das Werk verschiedene Lesergruppen anspricht, nämlich erstens die Gruppe derer, die an seiner lichtvollen Glaubensverkündigung interessiert ist, zweitens die Gruppe derer, die an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des Konzils und seiner Folgen interessiert ist und schließlich die Gruppe derer, die eine klare geistige Orientierung und Wegweisung in dieser anhaltenden Kirchenkrise sucht. 

F: Dieser Priester übte in Predigt und Rede eine große Faszination aus. Worauf ist diese zurückzuführen?

A: Pfarrer Milch war Konvertit. Als er durch die Unterweisung eines katholischen Priesters in französischer Kriegsgefangenschaft der katholischen Kirche ansichtig wurde, erfaßte ihn eine große Begeisterung für sie, die sein ganzes priesterliches Wirken kennzeichnete. Diese Begeisterung wollte er weitergeben, und er konnte es sowohl durch seine inhaltliche Stärke als auch wegen seiner einzigartigen Begabung für Predigt und Rede. Natürlich war die Faszination, die er ausübte, auch eine Folge seiner menschlichen Qualitäten, von denen ich nur seine Sensibilität, sein außergewöhnliches Einfühlungsvermögen in die Situation, insbesondere in das Leid des je Einzelnen sowie seine Hinwendung zu heruntergekommenen Menschen hervorheben möchte.

F: Welche Akzente setzte er in Glaubensverkündigung und Seelsorge?

A:  Seine Verkündigung zielte auf das, was die Oration zum vierten Sonntag nach Ostern mit den Worten ausdrückt: „Auf dass unsere Herzen inmitten des Wechsels der irdischen Dinge dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind.“ Dabei kam es ihm darauf an, die Erlösung zu einer erlebten Wirklichkeit im Bewußtsein der Gläubigen werden zu lassen; von ihr her sollten alle Lebensbereiche Sinn und Weisung erhalten.

F: Was heißt das konkret?

A: Das richtige Erlösungsbewusstsein beginnt mit der Erkenntnis der Erlösungsbedürftigkeit und diese ergibt sich aus der Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit. Deshalb stellte er diese schonungslos vor Augen und spürte sie in Winkeln auf, die anderen meist entgehen. Diese Erbärmlichkeit des Menschen kontrastiert er mit der Größe des mit Christus verbundenen Menschen. Die Polarisierung – nichts aus eigenem Vermögen aber alles in Ihm – war ein Spezifikum der Predigt von Pfarrer Milch. Nach beiden Seiten holte er viel weiter aus, als es üblicherweise der Fall ist.

Ein weiteres Spezifikum seiner Predigt war der Primat der Wahrheit vor der Moral, was manche zu der irrigen Ansicht veranlasste, dass die Moral bei ihm von untergeordneter Bedeutung gewesen sei. Davon kann aber keine Rede sein. Der Primat der Wahrheit vor der Moral ist darin begründet, dass das Gesolltsein, das die Moral zum Ausdruck bringt, sich auf die Wahrheitsinhalte bezieht und diese somit zur Voraussetzung hat. Hier waltet ein Grund-Folge Verhältnis, was nach dem Kontrapositionsgesetz der Logik bedeutet: Wer die Moral ablehnt, der lehnt auch die Inhalte ab, die sie anzuerkennen fordert. 

Ein drittes Spezifikum der Predigt dieses Priesters war der Primat des Einzelnen vor der Gemeinschaft, und zwar in dem Sinne, dass die Gemeinschaft dadurch wird, dass die Einzelnen, die sich für das Heilsangebot Christi entschieden haben und in Seine Kirche eingetreten sind, infolge der einheitlichen geistigen Ausrichtung gemeinschaftsbildend wirken.

F: Inwiefern faszinierte Pfarrer Milch durch die Art und Weise seiner Predigt?

A: Hier wären viele Punkte zu nennen, ich will mich auf drei Momente beschränken. Dieser Priester war ein prinzipieller Denker, ein philosophisch gebildeter Theologe und Seelsorger, der in der Kluft, die sich seit Jahrhunderten zwischen Theologie und Seelsorge aufgetan hatte, eine verderbliche Entwicklung sah. Er verstand es, das Konkrete in einen oft unvermuteten allgemeinen Zusammenhang zu bringen, wofür ich in meinem Werk zahlreiche Beispiele anführe. Hinzu kommt eine ganz außergewöhnliche Rednergabe, die es ihm ermöglichte, auch schwierige Themen ohne Konzept in nahezu druckreifer Form vorzutragen, wobei auch die treffenden Attribute, die er fand, Bewunderung hervorriefen.

Das Faszinosum seiner Predigt bestand nicht zuletzt darin, dass der Hörer seine Predigt als an ihn ganz persönlich gerichtet empfand, so dass er alles um sich herum vergaß. Der Hörer der Cassetten-Aufnahmen seiner Predigten und Reden wird das wohl bestätigen können. 

F: Warum nimmt das Zweite Vatikanische Konzil in einem Werk über das priesterliche Wirken von Pfarrer Milch einen so breiten Raum ein?

A: Obwohl wir von ihm hinsichtlich einer Analyse der Konzilstexte kaum etwas besitzen, ist sein geistiges Vermächtnis sowohl für die Aufarbeitung der Konzilstexte als auch für die Beurteilung der nachkonziliaren Kirchenkrise von großer Bedeutung. Er hatte nämlich erkannt, dass hinter den Irrlehren, die seit dem Konzil den Innenraum der katholischen Kirche beherrschen, eine Denkweise steht, die er die additistische Denkweisenannte. Ihr Grundfehler besteht darin, dass sie das in Wahrheit unteilbare Glaubensganze als teilbar annimmt, wodurch ihre Vertreter zu der Fehlvorstellung gelangen, das Glaubensganze bestehe aus einzelnen Elementen bzw. es setze sich aus diesen Elementen additiv zusammen. Indem Pfarrer Milch diese Vorstellung vehement bekämpfte, wurde er zu einem großen Verteidiger der Glaubenseinheit, und er wies mir zugleich den Weg für meine Untersuchung einschlägiger Konzilstexte.

Inspiriert durch seine Idee, analysierte ich, ob sich in wichtigen Konzilsdokumenten die additistische Denkweise nachweisen läßt und welche Konsequenzen diese hat. Dabei zeigte sich, dass das veränderte Selbstverständnis der Kirche, welches das Konzil zum Ausdruck brachte, wesentlich mit dieser die Glaubenseinheit auflösenden Denkweise operiert, was sich in nachkonziliarer Zeit in der Rede von der Elemente-Ekklesiologie verdichtete.

F: Welche Konsequenzen hat die additistische Denkweise?

A: Ich hebe hier nur eine besonders schwerwiegende Konsequenz hervor: Diese Denkweise bildet die Grundlage für den konziliaren Ökumenismus. Dies erkennt man, wenn man danach fragt, was denn das Wesen dieses Ökumenismus ist. Johannes Paul II. beschreibt es mit folgenden Worten: „Papst Johannes XXIII. … pflegte zu sagen, dass das, was uns als Christen trennt, viel geringer ist als das, was uns eint. Diese Aussage enthält das Wesen ökumenischen Denkens [!]. Das Zweite Vatikanische Konzil ist dieser Richtung gefolgt … Das, was uns eint, ist größer als das, was uns trennt: Die Dokumente des Konzils konkretisieren diese grundlegenden Gedanken von Johannes XXIII. … Es existieren daher die Grundlagen für einen Dialog, für eine Ausdehnung des Raumes der Einheit.“ 1

Bleiben wir einmal beim Verhältnis der katholischen Kirche zum Protestantismus. Nach dieser Aussage des Papstes ist klar, dass das Fundament des konziliaren Ökumenismus in der Annahme von Gemeinsamkeiten zwischen der katholischen und der protestantischen Lehre besteht. Wenn diese Annahme als falsch erwiesen wird, dann fällt der konziliare Ökumenismus auf der argumentativen Ebene wie ein Kartenhaus zusammen.

F: Worin liegt denn der Fehler in der Annahme von Gemeinsamkeiten zwischen der katholischen Kirche und den protestantischen Religionsgemeinschaften?

A: Zweifellos gibt es viele übereinstimmende Lehraussagen, aber diese stellen, entgegen der üblichen Ansicht, keine Gemeinsamkeiten dar, weil alles, was der Protestantismus an in sich Richtigem lehrt, an die Irrtümer dieser Lehre gebunden und insofern entwertet ist, was Pfarrer Milch unermüdlich hervorhob. Soweit ich sehe, war es aber bisher nicht gelungen, diese Gemeinsamkeitsideologie auf der wissenschaftlichen Ebene argumentativ zu widerlegen. Zwar zeigen verdienstvolle Arbeiten die verheerende Wirkung dieses Ökumenismus auf, sie treffen ihn aber nicht an der Wurzel. Ich betone es noch einmal: Der konziliale Ökumenismus ist erst dann an der Wurzel getroffen, wenn bewiesen ist, dass die Gemeinsamkeitsideologie falsch ist. Diesen Versuch habe ich unternommen, was allerdings recht umfangreiche philosophische Vorüberlegungen erforderlich machte.

F: Welches Konzilsdokument spielt Ihrer Ansicht nach die zentrale Rolle?

A: Die Kirchenkonstitution Lumen gentium und deshalb hatte Johannes Paul II. recht, als er die Kirchenkonstitution die magna charta der Konzilsdokumente nannte.2 Nach John L. Allen stimmt Benedikt VI. dieser Beurteilung zu: „Im Denken Ratzingers ist das wichtigste Dokument des II. Vaticanums die Glaubenskonstitution über die Kirche Lumen gentium.“3

Die herausragende Rolle von Lumen gentium erkennt man, wenn man sich das Doppelziel des Konzils vergegenwärtigt, nämlich das Verhältnis der Kirche zur Welt und das Verhältnis der Kirche zu den anderen Religionsgemeinschaften auf eine völlig neue Grundlage zu stellen. Diesem Vorhaben stand das traditionelle Selbstverständnis der Kirche im Wege. Deshalb musste man zunächst das Selbstverständnis der Kirche ändern, damit man, auf das neue Selbstverständnis gestützt, jene Verhältnisse ändern konnte. Das ist die logische Grundstruktur der konziliaren Revolution.

F: Welche Konzilsdokumente untersuchen Sie, und welche Rolle spielt in Ihrer Darstellung die Beziehung zwischen dem Konzil und der nachkonziliaren Entwicklung?

A: Untersucht werden die Dokumente Lumen gentium, Unitatis redintegratio, nostra aetate, gaudium et spes, dignitatis humanae und sacrosanctum concilium. Darüber hinaus schlage ich jeweils den Bogen zur nachkonziliaren Entwicklung, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens um das Bestehen eines Grund-Folge-Verhältnisses zwischen der von mir aufgewiesenen negativen Konzilslinie und der nachkonziliaren Entwicklung nachzuweisen, zweitens weil Pfarrer Milch in seinen späteren Jahren im Konzil die Hauptursache für den Niedergang des Erscheinungsbildes der katholischen Kirche sah, und drittens, um der falschen Behauptung entgegenzutreten, das Konzil sei gut gewesen, und der Niedergang sei auf Abweichungen von der Konzilslinie zurückzuführen. Ich lege deshalb großen Wert darauf zu zeigen, dass sowohl in nachkonziliaren römischen Dokumenten als auch von im Auftrag der Kirche lehrenden Theologen, Auffassungen vertreten werden, die nicht mit der überlieferten Lehre zu vereinbaren sind, die aber im Konzil ihre Wurzeln haben. Dabei kommen das sogenannte Kirchenmodell von Rahner-Fries und die Communio-Ekklesiologie in der Version von M. Kehl zur Sprache; letztere degeneriert nach einem spekulativen, trinitarischen Ansatz schließlich zu einem ekklesiologischen Sozialismus, wobei der Weg in dieses Elend mit zahlreichen Häresien gepflastert ist.

F: Kommen wir zum dritten Themenkreis des Werkes, die geistige Ausrichtung und Leitung der von ihm gegründeten Gebets- und Sühnegemeinschaft actio spes unica sowie die Aufklärung der Gläubigen über die Ursachen der heutigen Kirchenkrise. Was war der Anlaß für die Gründung dieser Bewegung?

A: Als Pfarrer Milch schon bald nach Beendigung des Konzils den sich abzeichnenden Niedergang des Erscheinungsbildes der Kirche erkannte, wurde das Denken und Wollen dieses Priesters von dem Gedanken beherrscht, Gott stellvertretend Sühne zu leisten für die Beleidigungen, die Ihm durch den Einbruch des Modernismus in Seine Kirche angetan werden. Deshalb gründete er 1972 jene Gebets- und Sühnegemeinschaft actio spes unica. Ihr sollten sich alle diejenigen anschließen, die gewillt waren, mit ihm ihr Dasein in den Dienst stellvertretender Sühnelei­stung zu stellen und diesen Willen durch das Gelübde zu besiegeln, täglich, wenn möglich vor dem Allerheiligsten, eine halbe Stunde für die Rettung der Kirche zu beten, das Gebet zum heiligen Erzengel Michael zu verrichten und jeden Freitag zu fasten.

Als er dann aber die seelische Not sah, in welche die Gläubigen immer mehr gerieten, die den unverfälschten Glauben bewahren wollten, öffnete er 1974 die Sühnegemeinschaft auch für solche, die sich zwar nicht durch ein Gelübde verpflichten wollten, aber dennoch bereit waren, ihr Dasein in den Dienst der Rettung der Kirche zu stellen. Übrigens wollte dieser Priester mit seiner Sühnegemeinschaft nicht eine neue Gruppierung neben den anderen antiprogressistischen Bewegungen ins Leben zu rufen, sondern er wollte diese durchdringen und inspirieren.

F: Sah Pfarrer Milch von Beginn an im Konzil die Hauptursache für den innerkirchlichen Niedergang?

A: Keineswegs, im Gegenteil, zunächst war er sogar davon überzeugt, dass das Konzil gültige Texte verabschiedet hatte, die von den Modernisten falsch verstanden bzw. absichtlich missverstanden und missbraucht werden. Dann aber setzte sich bei ihm die Erkenntnis durch, dass die Bischöfe und das Konzil in diesen Niedergang verstrickt sind. Seine nun offen vorgetragene Kritik an den Bischöfen besteht zunächst schwerpunktmäßig darin, dass diese gegenüber dem Zerstörungswerk der Neuerer untätig bleiben und verschärft sich bald dahingehend, dass sie selbst von den Irrlehren angesteckt sind. Auch das Konzil gerät nun in das Visier seiner Kritik. Diese Angriffe bereiteten seine spätere Amtsenthebung vor.

F: Versuchte Pfarrer Milch der Amtsenthebung zu entgehen?

A: Er befand sich damals in dem Dilemma, einerseits den Gläubigen St. Martinus zu Hattersheim als Hort des katholischen Glaubens erhalten zu wollen, andererseits musste er sich um der Wahrheit willen in Wort und Tat so äußern, dass er sein Amt als Pfarrer dieser Gemeinde aufs Spiel setzte. Um die Pfarrei so lange wie möglich halten zu können, machte er zwar keine Kompromisse, aber einige Konzessionen, die ihm Vorwürfe von konservativen Gläubigen eintrugen, die aus der Position von existentiell nicht Betroffenen, die keine Verantwortung für die Pfarrei zu tragen hatten, natürlich leicht Maximalforderungen stellen konnten.

F: Wie kam es dann doch zur Amtsenthebung?

A: In dem Maße wie dieser Priester das Versagen der Bischöfe anklagte, trat in seinen Schriften und Reden als herausragendes Gegenbild die Lichtgestalt von Erzbischof Lefebvre hervor. Sein Bekenntnis zu dessen Wort und Werk führte schließlich zu seiner Suspendierung im Oktober 1979.

F: Wie war das Verhältnis zwischen Bischof Kempf und Pfarrer Milch?

A: Hier muß man die persönliche und die sachliche Ebene unterscheiden. Das persönliche Verhältnis der beiden blieb auch in der Auseinandersetzung von gegenseitiger Hochachtung geprägt. Sachlich gesehen gilt es aber zu unterscheiden zwischen der vor- und der nachkonziliaren Ära. Pfarrer Milch war voll des Lobes über die Ansprachen, die Bischof Kempf im Priesterseminar in vorkonziliarer Zeit gehalten hatte. Auf dem Konzil wurde der Bischof dann aber „umgedreht“, womit ich jenen Vorgang meine, den Paul VI. mit folgenden Worten beschreibt: „Man kann sogar sagen, dass sich die Mehrzahl der Bischöfe auf die Schulbank oder in den Hörsaal begab. Und viele wunderten sich darüber, dass ihr Standpunkt nach vier Jahren ein anderer war und ihr Horizont sich erweitert hatte, dass sie vieles guthießen, was sie vor dem Konzil für unannehmbar oder gewagt gehalten hatten.“ 4 Wenn auch von Horizonterweiterung keine Rede sein kann, so zeigt dieses Urteil doch deutlich, welch geistige Umorientierung die Mehrzahl der Bischöfe auf dem Konzil vollzog, wenn sie später Positionen vertraten, die sie zuvor „für unannehmbar oder gewagt gehalten hatten.“ In nachkonziliarer Zeit wurde Bischof Kempf dann zu einem eifrigen Vollstrecker der konziliaren Revolution in seinem Bistum, wenn er sich auch gegen gewisse Exzesse wandte. Offenbar war er hinsichtlich der Beurteilung des Konzils, wie viele seiner Kollegen im Bischofsamt, in jenen euphorischen Dauerzustand geraten, den Pfarrer Milch einmal scherzhaft als „Konzilsbesoffenheit“ bezeichnete.

F: Wie setzte Pfarrer Milch sein Werk fort und mit welchen Widerständen musste er kämpfen?

A: Im zweiten Band dokumentiere ich sowohl seinen persönlichen Werdegang als auch die Entwicklung seines Werkes vor und nach der Amtsenthebung. Hier nur so viel: Nach der Amtsenthebung folgte ihm ein großer Teil der Gläubigen seiner Pfarrei St. Martinus in Hattersheim aus der inneren in die äußere Emigration. Eine Zeitlang konnte er noch im Pfarrhaus wohnen und zelebrierte dort an Sonntagen mehrere hl. Messen. Später baute er die Athanasius Kirche in Hattersheim, die an Sonntagen von etwa 250 Gläubigen besucht wurde und auch heute noch besucht wird. 

In verstärktem Maße veranstaltete er nun Glaubenskundgebungen, und zwar meist im Konzertsaal Eltzer Hof in Mainz; über 20 solche Glaubenskundgebungen fanden dort statt; hinzu kamen solche an anderen Orten, z. B. in Wiesbaden, Koblenz, Karlsruhe, Lübeck und Soest, was eine gewaltige und einzigartige Leistung von ihm war.

Auch in den Jahren nach der Suspendierung erwarteten ihn harte Auseinandersetzungen, abgesehen von den materiellen Sorgen. Zwar war er fortan nicht mehr den Angriffen der Modernisten und des Bischofs ausgesetzt, dafür musste er sich aber gegen Gruppierungen innerhalb der Widerstandsbewegung wenden, wobei er sich gelegentlich auch persönlichen Vorwürfen ihrer Vertreter ausgesetzt sah. Man muß eben bedenken, dass viele in diesem Lager den Problemen, die mit dem Konzil und in der nachkonziliaren Zeit auf sie zukamen, geistig nicht gewachsen aber leider vom Gegenteil dieser Tatsache überzeugt waren. So wundert es nicht, dass sich in dieser Gegenbewegung ein breites Spektrum von Meinungen hinsichtlich der Beurteilung der kirchlichen Lage ausbildete, an dessen einem Ende sich die Halbkonservativen befanden, die dem modernen Rom die Stange hielten und an dessen anderem Ende die Sedisvakantisten standen, die behaupteten, dass der Papst und die Bischöfe im offiziellen Raum der Kirche durch Häresie bzw. Apostasie ihres Amtes verlustig gegangen seien.

F: Sind die spes-unica-Briefe, die er seinerzeit schrieb, heute noch aktuell?

A: Durchaus, Pfarrer Milch war ja eine Anlaufstelle für Repräsentanten der genannten Strömungen und da er die Briefe, die ihn in großer Anzahl erreichten, nicht alle persönlich beantworten konnte, nahm er häufig in seinen spes-unica-Briefen zu den betreffenden Problemen Stellung, weshalb diese auch als ein Spiegel der Vielfalt der Positionen betrachtet werden können, die es nach wie vor gibt.

So gerieten einige seiner Briefe aus dieser dritten Phase zu großen Lehrbriefen. In diesen geht es nicht nur um die Vertiefung des Glaubenswissens und die Analyse der Ursachen der heutigen Kirchenkrise, sondern er versucht auch mit großer Energie und Wortgewalt die Gläubigen zu Gebet und Opfer dafür zu bewegen, dass die von ihm so oft beschworene totale Wende in der Kirche beschleunigt herbeigeführt werde. Höchst eindringlich stellte er dem Einzelnen vor Augen, dass sein Einsatz unverzichtbar sei und er seinem Leben eine ungeahnte Bedeutung geben könne, wenn er sein Dasein gerade jetzt, in dieser existenzbedrohenden Krise der Kirche, für die Belange des Reiches Gottes einsetze.

F: Stand Pfarrer Milch Neuerungen in der Kirche grundsätzlich ablehnend gegenüber?

A: Keineswegs, vielmehr war er dem wahren Fortschritt gegenüber sehr aufgeschlossen und sah darin ein Wesensmerkmal katholischen Denkens. Er versuchte, die Leser seiner spes-unica-Briefe und die Hörer seiner Predigten und Reden davon zu überzeugen, dass es in der Auseinandersetzung mit dem innerkirchlichen Modernismus nicht um den Gegensatz konservativ-progressiv geht, sondern um den Gegensatz katholisch-progressistisch. Zum Katholischen gehört nach seinen Worten sowohl das Bewahren als auch das Entfalten des Glaubens. Bloß bewahrend sein zu wollen und sich Neuem zu versperren, wäre ein unkatholische Haltung. Damit traf er eine Schwachstelle der Widerstandsbewegung gegen die Glaubenszerstörung, da viele ihrer Anhänger sich gern als Traditionalisten bezeichnen und gar nicht merken, dass sie durch diese Bezeichnung, welche Einseitigkeit signalisiert, dem Erscheinungsbild dieser Bewegung schaden. In seinem spes-unica-Brief vom 29. Mai 1977 korrigiert er die Fehlvorstellung, dass die Glaubenstreuen nur die Anwälte des Bewahrens seien, vielmehr seien sie ebenso die Anwälte des wahren Fortschritts in der Kirche. Dies zur Geltung zu bringen ist umso wichtiger, als der Progressismus das Wort „Fortschritt“ auf seine Fahnen geschrieben hat, wo er doch das Gegenteil wahren Fortschritts ist, denn dieser steht im Zeichen des Gewinnes, während jener im Zeichen des Verlustes steht, worüber auch seine am Wesentlichen vorbeigehende Betriebsamkeit nicht hinwegtäuschen kann. Es ist von erstrangiger Bedeutung, dass dem heutigen Erscheinungsbild der Kirche die Maske des Fortschritts vom Gesicht gerissen wird, indem man den wahren Fortschritt dem, was man den Gläubigen fälschlicherweise als Fortschritt verkauft, gegenübergestellt. Pfarrer Milch gebührt das Verdienst, dies in eindrucksvoller Weise getan zu haben. Es wäre doch fatal, wenn sich die Widerstandsbewegung gegen die Glaubenszerstörung auf das Altenteil des Bewahrens setzen ließe und den Zerstörern das Feld des Fortschritts überlassen würde. Keineswegs darf ihnen der Komplex Fortschritt als Spielwiese überlassen werden, vielmehr gilt es, ihr Treiben als antikatholisch zu entlarven und ihm die Maßstäbe wahren Fortschritts entgegenzuhalten.

Der richtig urteilende Katholik wirft dem Rom konziliarer Prägung also keineswegs vor, dass es Neues brachte, sondern dass es Falsches brachte und er wirft mit Pfarrer Milch diesem Rom vor, dass es uns seit vier Jahrzehnten infolge dieser seiner Fehlorientierung um den wahren Fortschritt in der Kirche betrogen hat! Das Bewahren und das Entfalten sind komplementäre Seiten katholischen Denkens. Dieser Priester gab zugleich das richtige Kriterium für die Beurteilung des Neuen an, indem er forderte, dass es das je Gewusste im je gewussten Sinne bestätigt und bekräftigt.

F: Worauf legte dieser Priester bei seiner Unterweisung der Gläubigen über die Kirchenkrise besonderen Wert?

A: Er wollte insbesondere die Erkenntnis vermitteln, dass die mit Sicherheit zu erwartende Wende in der Kirche nicht in Stufen erreicht werden kann, sondern ein unteilbarer Akt ist, dessen Durchsetzung allerdings Prozesscharakter haben wird. Der gegenteiligen Auffassung, die man als Wende-Additismus bezeichnen kann, liegt dieselbe falsche additistische Denkweise zugrunde, mit welcher der konziliare Modernismus seine großen Triumphe errang. Der konziliare Glaubens-Additismus ist sozusagen von oben nach unten gerichtet, indem er irrigerweise annimmt, das unteilbare Ganze der Glaubenswahrheit sei in Teile zerlegbar, während der Wende-Additismus, der die Wende als in Stufen erreichbar wähnt, von unten nach oben gerichtet ist, indem er irrigerweise annimmt, das Glaubensganze sei aus Teilen zusammensetzbar. Hinter der These von der Zerlegbarkeit des Glaubensganzen in Teile steckt also tatsächlich dieselbe falsche Denkweise wie hinter der These von der Zusammensetzbarkeit des Glaubensganzen aus Teilen, nämlich die Fehlvorstellung der Teilbarkeit der Glaubenswahrheit!

F: Warum nannte Pfarrer Milch seine Gebets- und Sühnegemeinschaft spes unica?

A: Die Antwort auf diese Frage hängt eng mit der vorangegangenen zusammen. Er sah mit berechtigter Sorge, dass viele glaubenstreue Katholiken im offiziellen Raum der Kirche ständig nach “Lichtblicken“ Ausschau halten, und er hatte die damit verbundene Gefahr erkannt, dass durch diesen Blick in die Horizontale die wahre Hoffnung unterminiert wird. In seinem Brief vom 25. Juni 1984 geht er mit folgenden Worten auf die Gemütslage jener Katholiken ein:

„Es geht – noch ganz leise – ein Gespenst um. Ein flüsterndes Gespenst. Hören Sie genau hin, was es flüstert! Ich höre es genau: ‘Wir dürfen uns nicht abkapseln. Wir müssen das Positive, das sich im offiziellen Raum der Kirche darstellt, aufgreifen und uns gesprächsbereit halten. Wir dürfen nicht ins Ghetto, ins Abseits, geraten. Wir müssen uns beständig mit dem offiziellen Raum der Kirche in Verbindung halten.’“ Anschließend korrigiert er diese Geisteshaltung:

„Wie bei jedem Irrtum, so steckt auch hinter dieser Wahnvorstellung ein berechtigtes Anliegen. Es ist das Unbehagen angesichts verbreiteter Selbstzufriedenheit, die von der Trauer über die Katastrophe abgekommen ist, welche den Raum der Kirche heimsucht. Wir sind im Widerstand und im Kampf, und unser Lebensatem ist die Hoffnung wider alle Hoffnung. Sie gebiert ihre Erfüllung aus sich selbst, da sie sich bewahrt beim illusionslosen Blick in den Abgrund. Sie ist eins mit der Gotteskraft, die sich in Christus offenbart, durch dessen Opfer die Allmacht Gottes in der scheinbaren Ohnmacht sich vollendet. Diese allmächtige Hoffnung, die spes unica, wirkt unfehlbar in unserem Bekennen und in unserem Beten, in unserem Opfern und Leiden! – Das Abseits ist der einzig legitime Standort der kleinen Herde. Das Abseits ist die Position unseres demütigen Stolzes und unserer gottmenschlichen Souveränität. Vom Ghetto unseres Hochsitzes aus rufen wir der Welt – und die Vertreter der den offiziellen Raum der Kirche in ihrem Bann haltenden Besatzungsmacht samt ihren Mitläufern sind eben auch Welt! – das Wort des Herrn ins Angesicht: ‘Unsere Stunde ist noch nicht gekommen – eure Zeit ist immer da!’ Die sich der verwehenden Zeit verschworen haben, werden mit der Zeit verwehen und vergehen. Ihnen entgegen – eingerammt in die flüchtige Zeit mit ihrem belanglosen Wechsel – steht die Stunde Gottes, unsere Stunde, die das Jetzt der Ewigkeit als haltenden Haft in den hoffnungslosen Fluss zeitlicher Dauer hineinstellt. Und wir rufen dieser armselig-selbstsicheren Welt, die sich fest im Sattel wähnt, auch zu: ‘Wir sind nicht eingeschlossen. Ihr seid – kraft eures verkehrten Willens – ausgeschlossen!’

Im Abseits, auf hohem Berge, sind wir dort, wo der Herr ist, dem Vater zugewandt.“

F: Stärkte Pfarrer Milch die Verbundenheit der Gläubigen mit dem Ewigen Rom?

A: Ganz entschieden, dieser Verbundenheit galt sein unermüdlicher Einsatz. Er kommt zum Ausdruck in seinem Ringen um die Bekehrung Roms zu seiner Tradition, zu dem er die ihm anvertrauten Gläubigen mit der ihm eigenen Überzeugungskraft anfeuerte. Ich habe dies in verschiedenen Zusammenhängen dokumentiert und dieser Problematik einen eigenen Abschnitt gewidmet mit der Überschrift Über die angemessene Einstellung dem modernen Rom gegenüber.

F: Gibt es ein Spezifikum in Predigt, Rede und Schrift bei Pfarrer Milch in methodischer Hinsicht?

A: Ich hatte bereits seine Fähigkeit angesprochen, das je Einzelne vom Prinzip her zu betrachten, dem es zugehört, was seinen Ausführungen eine philosophische Note gab. Ein anderes Spezifikum war seine Fähigkeit, die Gegenposition einnehmen und vom anderen her denken zu können. Für die Predigt bedeutete dies, dass er sich in die Lage des Hörers hineinversetzen und dessen Widerstände, Vorbehalte und geheimen Zweifel zu Wort bringen konnte, die diesem oft nur halb bewußt waren. Kein Wunder, dass der Hörer in der Regel gebannt seinen Ausführungen folgte, fand er sich doch mit der Problematik seiner eigenen Reaktion konfrontiert.

Im Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit dem in den Innenraum der Kirche eingebrochenen Modernismus fand die Fähigkeit von Pfarrer Milch von der Gegenposition her zu denken ihren Ausdruck darin, dass er sie in mehreren in Dialogform verfassten kleinen  Schriften zu Wort kommen ließ, die der Leser im XI. Kapitel abgedruckt findet, in dem ich vor allem seine spes-unica-Briefe auswerte. Übrigens habe ich mir in verschiedenen Zusammenhängen diese Methode zu eigen gemacht, insbesondere bei der Zusammenfassung der Ergebnisse meiner Konzilsanalyse, der ich die Form eines Dialogs gebe, den zwei Konzilsväter am Vorabend des Konzils miteinander führen.

F: Warum lehnte es Pfarrer Milch ab, die Neue Messe zu zelebrieren?

A: Dieser Priester formulierte klare Maßstäbe für eine Messordnung, die Anerkennung finden kann. Seine diesbezüglichen Äußerungen findet der Leser sowohl im I. als auch im XI. Kapitel. Im Sonntagsbrief B11a stellt er die Verklärung Christi auf dem Berge Tabor als vorbildhaft für wahre Liturgie dar und gibt die folgenden fünf Kennzeichen für sie an:

„Erstes Kennzeichen: Abstand und Höhe gegenüber dem Gewöhnlichen, Erhobensein aus den Niederungen des Verständlichen und Alltäglichen.

Zweites Kennzeichen: Überirdische Schönheit, geprägt vom jenseitigen Gesetz.

Drittes Kennzeichen: Unabsehbare Weisheit, die behutsam Einlass gewährt in ihre Tiefen.

Viertes Kennzeichen: Versammlung der Jahrtausende; Begegnung von Vergangenheit und Zukunft.

Fünftes Kennzeichen: Erweckung von Staunen und Ehrfurcht, daraus erwachsend Liebe, die Gemeinschaft formt. – Auf dem Berge Tabor ist das Gesetz der Christus-Liturgie offenbart worden! Messen wir alle Liturgie an diesem ewigen Maßstab.“

Die Neue Messe besitzt keine dieser Eigenschaften. Kardinal Ratzinger bemerkt dazu:

„Was nach dem Konzil weithin geschehen ist, bedeutet etwas ganz anderes: An die Stelle der gewordenen Liturgie hat man die gemachte Liturgie gesetzt. Man ist aus dem lebendigen Prozeß des Wachsens und Werdens heraus umgestiegen in das Machen. Man wollte nicht mehr das organische Werden und Reifen des durch die Jahrhunderte hin Lebendigen fortführen, sondern setzte an dessen Stelle – nach dem Muster technischer Produktion – das Machen, das platte Produkt des Augenblicks. Dieser Verfälschung hat sich Gamber … entgegengestellt …“.5

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F: An welchen konkreten Punkten der Neuen Messe nahm er Anstoß?

Er hob deren Auslassungen, Zwielichtigkeiten und Fehler hervor. Erwähnt seien hier nur, dass er die Umfunktionierung der Opferung zu einer Gabenbereitung und die sinnentstellende Falschübersetzung der Wandlungsworte bei der Konsekration des Weines verurteilte. Bei dieser Falschübersetzung, die einen einzigartigen Skandal darstellt, wird pro multis anstatt mit für viele mit für alle übersetzt. Dabei hatte schon Der römische Katechismus, der nach dem Beschlusse des Konzils von Trient verfaßt wurde, diesen Fehler wohlbegründet mit den Worten zurückgewiesen: „Es ist also mit Recht geschehen, dass nicht gesagt wurde ‘für alle’, da hier bloß von den Früchten des Leidens die Rede war, welches doch nur den Auserwählten die Frucht des Heiles gebracht hat.“6

Die pro-multis-Problematik behandle ich in meinem Werk sehr ausführlich, so dass kein Zweifel mehr an jener sinnentstellenden Falschübersetzung bestehen kann. Übrigens bereitet der Konzilstext die falsche Übersetzung von pro multis mit für alle vor, indem das Missionsdekret Ad gentes in Art. 3 eine Gleichsetzung von pro multis mit pro omnibus vornimmt, wodurch das Konzil jener falschen Übersetzung der Wandlungsworte Vorschub leistete und sich dadurch an dieser mitschuldig machte.

F: Stellen Sie einen Zusammenhang zwischen der Liturgiekonstitution und der Liturgiereform her?

A: Ja, getreu meinem Darstellungsprinzip, die nachkonziliare Entwicklung mit dem Konzilstext in Verbindung zu bringen, schicke ich der Untersuchung der Neuen Messe eine Analyse der Liturgiekonstitution des Konzils, Sacrosanctum concilium, voraus. Dabei zeigt sich, dass diese stark von der Messopferlehre von Odo Casel (Stichwort: Pascha-Mysterium) beeinflusst ist. Den versteckten, folgenschweren Fehler dieser Messopferlehre arbeite ich heraus und schließe an diese Überlegungen eine Reflexion auf die Bedeutung dieser Lehre für den Ökumenismus konziliarer Prägung an.

Wie mit allen meine Ausführungen zum Konzil, so verfolge ich auch mit diesen die Absicht, die These von Pfarrer Milch zu untermauern: „Der Skandal, vergessen Sie es nie, ist das sogenannte Zweite Vatikanische Konzil.“7

F: Welche Vorstellungen hatte Pfarrer Milch von dem Erscheinungsbild der Kirche, wie es in katholischer Zukunft angestrebt werden soll?

A: Er unterschied klar zwischen den Ursachen und den Erfolgsbedingungen des innerkirchlichen Niedergangs in nachkonziliarer Zeit. Während er, wie bereits erwähnt, im Konzil die Hauptursache für den Zerfall des Erscheinungsbildes der Kirche sah, erkannte er in Mängeln des vorkonziliaren Erscheinungsbildes derselben Bedingungen, die den Triumph des Progressismus begünstigten. Er thematisierte diese Mängel vor allem deshalb, damit sie nach der großen Wende nie mehr Einzug in den Innenraum der Kirche halten sollten, und er entwickelte im Hinblick auf diese seine Vorstellungen von einem von ihnen gereinigten Erscheinungsbild der Kirche in katholischer Zukunft. Dabei hob er u. a. hervor:

– Das Auseinanderdriften von Theologie und Seelsorge, was sich schon seit Jahrhunderten negativ auf die Seelsorge ausgewirkt hatte.

– Statt eines inhaltsgebundenen Gehorsams wurde vor dem Konzil weithin ein blinder Gehorsam gelehrt. Infolgedessen hatten die meisten Katholiken nie gelernt, zwischen beiden Arten des Gehorsams zu unter­scheiden. Der Gehorsam, den sie bis zum Konzil dem Papst und den Bischöfen geleistet hatten, war zwar oft nur ein blinder Gehorsam, der aber zugleich an die Glaubensinhalte gebunden war, weil diese Amtsträger glaubenstreu waren. Nach dem Konzil war auf einmal der blinde Gehorsam nicht mehr automatisch inhaltsgebunden, wodurch eine Situation entstand, auf welche die Katholiken denkbar schlecht vorbereitet waren. Sie mussten mit großer Geduld an die Notwendigkeit jener Unterscheidung herangeführt werden, was einer beständigen Wiederholung der Gründe bedurfte. Pfarrer Milch verfasste zu dieser Problematik eigens eine kleine, ausgezeichnete Schrift mit dem Titel: Kleiner Katechismus über den Gehorsam in der katholischen Kirche, die im XI. Kapitel abgedruckt ist.

–  Eine teilweise falsche Prioritätensetzung bezüglich Wahrheit und Moral. Wie schon erwähnt, lautet die richtige Reihenfolge: Erst die Wahrheit, dann die Moral, und zwar im Sinne eines Grund-Folge-Verhältnisses. 

– Eine geringe Wertschätzung des philosophisch-theologischen Denkens. Infolgedessen war die Predigt nicht selten vorschriftenlastig und kreiste schwerpunktmäßig um die Bewährung des Menschen; vielen Predigten fehlte es an geistiger Substanz. Überhaupt wurde das Denken, insbesondere das philosophisch-theologische Denken, im Klerus nicht allseits besonders geschätzt und stand auch bei vielen Gläubigen nicht hoch im Kurs. Diesen Übelstand gab es auch in manchen Priesterseminaren, wo nach den Worten von Pfarrer Milch das Diktum zu hören war: „Aus der Hölle der Philosophie, durch das Fegfeuer der Theologie in den Himmel der Seelsorge.“

– Die Verwechslung änderungsbedürftiger Herkömmlichkeiten mit Tradition. Dazu sagte Pfarrer Milch in seiner Predigt zum Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens 1986 (ZYK34):

„Man muß immer zwischen der wahren Tradition und dem oft schwachen, banalen Herkömmlichen unterscheiden. Bei dem Herkömmlichen ist viel Schund dabei. Wer der wahren Tradition treu sein will, darf um der wahren Tradition willen gar nicht den ganzen Muff und Schund des Herkömmlichen annehmen, sondern er muß ihn loswerden.“ Im I. Kapitel gebe ich Beispiele dazu an.

– Das Vorhandensein von Kitsch im Innenraum der Kirche. Als eine Hypothek, die abzutragen dringend geboten ist, lastet z. B. eine Flut kitschiger Christus- und Marienbilder auf dem Kreis derer, die den Glauben bewahren wollen. In vielen Schotts stecken noch jene süßlichen Christusbilder, auf denen eine Person schmachtenden Blickes, mit sentimentaler Gebärde auf ihr Herz deutet.

– Eine kollektivistische Mentalität, die den Freiraum des Einzelnen einengte. Von herausragender Bedeutung für die Pastoral in katholischer Zukunft war für Pfarrer Milch, dass der Einzelne als Einzelner in den Mittelpunkt der Seelsorge tritt und ihm seine Größe und Macht in Christus vor Augen gestellt wird. Wenn das geschieht, dann setzt die Kirche damit zugleich ein notwendiges und den Menschen beglückendes Gegengewicht gegen die Entwürdigung, die er in der Massengesellschaft erfährt.

F: Kommen wir zur Person von Pfarrer Milch. Wie gab er sich im persönlichen Umgang?

A: Er teilte nicht die Meinung, dass der Priester irgendwie zwischen Gott und den Menschen stehe, wusste er doch klar zu unterscheiden zwischen der Ebene der Privatperson und der Ebene der Amtsperson. Auf der erstgenannten Ebene, also als Hans Milch, verstand er sich nicht als herausgehoben und es kam ihm darauf an, dies den Menschen deutlich zu machen, was ihm infolge seiner lebensfrohen, kontaktfreudigen Art und seines Talents zu unbeschwerter Heiterkeit und Geselligkeit auch bestens gelang. Er war ein hervorragender Erzähler und noch heute schwärmt mein Sohn von seinen spannenden Erzählungen am Lagerfeuer im Ferienlager.

Als Priester verstand er sich natürlich als von Gott herausgehoben, und er brachte in seinen Predigten klar zum Ausdruck, dass er in seinen priesterlichen Funktionen, insbesondere am Altar und im Beichtstuhl, eben nicht als Hans Milch wirkt, sondern dass er dort in persona Christi handelt.

Auf beiden Ebenen gab es für ihn kein Dazwischen. Nicht selten werden diese Ebenen ja vermischt und dann kommt eine Art arithmetisches Mittel heraus, demzufolge der Priester eben irgendwo zwischen Gott und den Menschen steht.

F: Was erhoffen Sie sich für die Aufnahme Ihres Werkes über das priesterliche Wirken von Pfarrer Milch?

A: Es war mir immer klar, dass nur mit einem solchen Werk sein geistiges Vermächtnis auf lange Sicht erhalten werden kann. Ich hoffe, dass es vielen Menschen die Unvergleichlichkeit und Schönheit des katholischen Glaubens vor Augen stellt, was dieser Priester so eindrucksvoll vermochte.

Lassen Sie doch einmal seine Gebete und vor allem seine Hymnen, die im XII. Kapitel abgedruckt sind, auf sich wirken. In ihnen verbinden sich inhaltliche Stärke und seine Liebe zur heiligen katholischen Kirche mit sprachlicher Meisterschaft. Bezeichnenderweise heißt es in einem dieser Hymnen: Ewige katholische Kirche – Du meine einzige Leidenschaft.

Darüber hinaus erhoffe ich mir, dass viele von dem ungeheueren Drama der Glaubenszerstörung, das ich darzustellen versuche, erschüttert und ggf. bekehrt werden, und dass sie darüber hinaus erkennen, dass ihr Leben in gewaltiger Weise aufgewertet würde, wenn sie es gerade jetzt, in der Zeit größter Schmach und Not der Kirche, in den Dienst ihrer Rettung stellen würden.

Außerdem hoffe ich dazu beitragen zu können, dass das Zweite Vatikanische Konzil endlich aus der Tabuzone herausgeholt, auf den Prüfstand gestellt und auf Rechtgläubigkeit hin untersucht wird. Dabei ist selbstverständlich als Maßstab die Lehre der Kirche durch alle christlichen Jahrhunderte anzulegen.

Schließlich hoffe ich, dass die philosophisch-theologisch interessierten Leser meine Argumente sorgfältig prüfen und sich nicht durch Vorurteile und Klischees der Anstrengung des Gedankens entziehen.

Das geistige Vermächtnis dieses großen Priesters, dem ich unendlich viel verdanke, bewahrt zu haben, ist Lohn, der reichlich lohnet. Deshalb war es für mich eine Selbstverständlichkeit auf ein Honorar zu verzichten, so dass das zweibändige Werk mit über 1700 Seiten dem Interessierten für 28,50 € angeboten werden kann.

Weiterführende Links: www.zweites-vatikanum.de,  www.elemente-ekklesiologie.de, www.zweites-vatikanisches-konzil-hoerspiel.de

Siehe auch:


1 Johannes Paul II.: „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“, Hamburg 1994, S. 173f.

2 Documentation catholique, Nr. 1751, vom 5. November 1978, S. 902 f.

3 John L. Allen: „Joseph Ratzinger“, Düsseldorf 2005, S.27.

4 J. Guitton: „Dialog mit Paul VI.“, Wien 1967, S. 215.

5 „Simandron – Der Wachklopfer“, Beitrag von Joseph Kardinal Ratzinger in der Gedenkschrift für Klaus Gamber, Köln 1989, S. 14f.

6 „Der römische Katechismus“, Kirchen/Sieg 1970, S. 170.

7 Pfarrer Milch, spes-unica-Brief vom 9. November 1986.

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