Dienstag, 19. März 2024

Die traditionelle Lehre von der Erbsünde

Der Cathwalk veröffentlicht eine vierteilige Reihe von Heinz-Lothar Barth über die Erbsünde. Jede Woche wird ein Teil veröffentlicht. Teil 2/4:

Zunächst wollen wir nun die traditionelle katholische Lehre zur Erbsünde knapp und doch als ganze inhaltlich möglichst umfassend präsentieren. Dafür greifen wir bewußt auf ein modernes Werk zurück, das aber die klassische Doktrin in dieser Frage einwandfrei und gut verständlich darstellt, nämlich den KKK (Katechismus der Katholischen Kirche): Dieses Kompendium des katholischen Glaubens, das freilich in anderen Artikeln auch manches Problematische, Ergänzungsbedürftige oder direkt Falsche enthält[1], ist immerhin von Papst Johannes Paul II. approbiert worden. Das sollte man im Kopf behalten, wenn wir in der Fortsetzung unserer Serie auch noch manches aus seiner Feder lesen, was problematisch ist.

Die Aussagen des KKK

Schauen wir uns die zentrale Aussagen kurz an: „Die Schrift zeigt die verhängnisvollen Folgen dieses ersten Ungehorsams. Adam und Eva verlieren sogleich die Gnade der ursprünglichen Heiligkeit (vgl. Röm 3,23).“ (KKK Nr. 399) – „Im Anschluß an den hl. Paulus lehrte die Kirche stets, daß das unermeßliche Elend, das auf den Menschen lastet, und ihr Hang zum Bösen und zum Tode nicht verständlich sind ohne den Zusammenhang mit der Sünde Adams und mit dem Umstand, daß dieser uns eine Sünde weitergegeben hat, von der wir alle schon bei der Geburt betroffen sind und ‚die der Tod der Seele’ (vgl. Konzil von Trient: DH 1512) ist. Wegen dieser Glaubensgewißheit spendet die Kirche die Taufe zur Vergebung der Sünden selbst kleinen Kindern, die keine persönliche Sünde begangen haben (Vgl. K. v. Trient: DH 1514).“[2] (KKK Nr. 403) – „Durch die Offenbarung wissen wir aber, daß Adam die ursprüngliche Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht für sich allein erhalten hatte, sondern für die ganze Menschennatur. Indem Adam und Eva dem Versucher nachgeben, begehen sie eine persönliche Sünde, aber diese Sünde trifft die Menschennatur, die sie in der Folge im gefallenen Zustand weitergeben (vgl. K. v. Trient: DH 1511-1512). Sie ist eine Sünde, die durch Fortpflanzung an die ganze Menschheit weitergegeben wird (lateinische Version: „Est peccatum quod toti humanitati per propagationem transmittetur“), nämlich durch die Weitergabe einer menschlichen Natur, die der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit ermangelt. Deswegen ist die Erbsünde ‚Sünde’ in einem übertragenen Sinn:  Sie ist eine Sünde, die man ‚miterhalten’ (im Lateinischen: „contractum“, wörtlich: „sich zugezogen“), nicht aber begangen hat, ein Zustand, keine Tat.“ (KKK Nr. 404) Der Ausdruck ‚Sünde’ in einem übertragenen Sinn in der offiziellen deutschen Übersetzung ist etwas unglücklich gewählt. Denn er könnte auch die Wiedergabe von „sensu metaphorico“, „sensu allegorico“ o. ä. sein. Im Lateinischen steht hingegen: „modo analogico“, also „auf analoge Weise“; in der französischen Version, die merkwürdigerweise als erste erschienen war und nicht etwa die lateinische, heißt es richtig: „de façon analogique“. – „Obwohl ‚einem jeden eigen’ (vgl. K. v. Trient: DH 1513), hat die Erbsünde bei keinem Nachkommen Adams den Charakter einer persönlichen Schuld. Der Mensch ermangelt der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, aber die menschliche Natur ist nicht durch und durch verdorben, wohl aber in ihren natürlichen Kräften verletzt. Sie ist der Verstandesschwäche, dem Leiden und der Herrschaft des Todes unterworfen und zur Sünde geneigt; diese Neigung zum Bösen wird ‚Konkupiszenz’ genannt. Indem die Taufe das Gnadenleben Christi spendet, tilgt sie die Erbsünde und richtet den Menschen wieder auf Gott aus, aber die Folgen für die Natur, die geschwächt und zum Bösen geneigt ist, verbleiben im Menschen und verpflichten ihn zum geistlichen Kampf.“ (KKK Nr. 405)  Es ist wichtig, daß der KKK betont: „Die menschliche Natur ist nicht durch und durch verdorben.“

Die protestantische Position

Letzteres wäre nämlich die Irrlehre der Protestanten, die bei konsequenter Anwendung katastrophale Folgen nach sich zieht. Dann gibt es nämlich keine natürliche Gotteserkenntnis, keine natürlich gute Handlung, kein Naturrecht usw. Der Mensch ist auch in seinem natürlichen Bereich voll und ganz von der göttlichen Offenbarung abhängig. Und selbst wenn diese dem Menschen bekannt geworden ist und er sie angenommen hat, bleibt alles, was er tut, sündhaft. So ist er simul iustus et peccator, zugleich Sünder und doch gerechtfertigt, nämlich ausschließlich durch die göttliche Gnade  (sola gratia) und nicht etwas durch gute Werke der Gottes– und Nächstenliebe.

Johannes Paul II. verkündete auch die traditionelle Erbsündenlehre

Im Verlauf der Serie zur Erbsünde werden wir Texte aus dem konziliaren und nachkonziliaren Magisterium anführen, die gar nicht oder zumindest nur schwer mit der traditionellen katholischen Lehre zu vereinbaren sind. Solche Feststellungen sprengen durchaus nicht den Rahmen dessen, was einem katholischen Christen erlaubt ist. Vielmehr müssen sich die kirchlichen Autoritäten Kritik gefallen lassen, wenn sie von der sicher überlieferten Doktrin abweichen. Hier ihre Stimme zu erheben ist das Recht, ja sogar manchmal die Pflicht nicht nur der Bischöfe und Priester, sondern durchaus auch der Laien. Das hat jüngst Peter Kwasniewski noch einmal nachgewiesen, und zwar in seinem Buch Wahrer Gehorsam in der Kirche. Ein Leitfaden in schwerer Zeit (Os Justi Press, Lincoln/ Nebraska, 2022). Erzbischof Marcel Lefebvre und die von ihm gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. (die der Autor auf S. 32 deshalb positiv erwähnt) hat diese Position bereits seit mehr als 50 Jahren vertreten. Sie ist durch die kirchliche Tradition bestens abgesichert. Vgl. auch mein eigenes Buch Keine Einheit ohne Wahrheit! Teil I, (2Stuttgart 1999, 13-96).  

         Andererseits wollen wir innerhalb unserer Thematik nicht verschweigen, daß es neben dem KKK auch andere Dokumente Johannes Pauls II. gibt, die durchaus korrekt dem überlieferten Dogma gerecht werden. So griff der Papst aus Polen durchaus auch auf die klassische Erbsündenlehre zurück: Bei einer Audienz für die Mitarbei­ter der römischen Rota aus Anlaß des neuen Gerichtsjahres mahnte er Anfang 1995 zu einem behut­samen Umgang mit psychologischen Gutachten bei Ehe-Nichtigkeitsver­fahren. Zugrunde­liegen müsse in jedem Fall ein christliches Menschen­bild: Wenn man übersehe, daß der Mensch eine „verwundete, zum Bösen geneigte Natur hat“, könne das zu schlimmen Irrtümern führen.[3] Immerhin würde sich diese Aussage auch mit der in der Nouvelle théologie entwickelten Konzeption ver­tragen, nach der das Böse unter den Men­schen zwar eine Realität ist, aber nicht auf eine vom Stamm­vater aller Menschen begangene „Ursün­de“ (lat. peccatum originale) zurück­geht, die durch die Zeugung der Nachkommenschaft die gesamte Menschheit infiziert hat.

Doch wurde Johannes Paul II. an anderen Stellen noch deutlicher im Sinne der tradierten Lehre, indem er sich sogar ihrer Terminologie bediente. So sagte er in einer Mittwochsansprache: „Die neue Sakramentenökonomie… wendet sich nicht an den Menschen im Stand der ursprünglichen Gerechtigkeit und Unschuld, sondern an den vom Erbe der Ursünde und vom Stand der Sündhaftigkeit (status naturae lapsae, ‚Stand der gefallenen Natur‘) belasteten Menschen“.[4] In seiner Sozialenzyklika „Centesimus annus“ aus dem Jahre 1991 schärfte der Papst eindringlich die Notwendigkeit ein, die erbsündliche Belastung des Menschen bei der Konzeption der Gesellschaftsordnung nicht außer acht zu lassen. Wörtlich sagte der Heilige Vater, vor allem mit Blick auf totalitäre Regime marxistischer Provenienz: „Der zur Freiheit geschaffene Mensch trägt in sich die Wunde der Ursünde, die ihn ständig zum Bösen treibt und erlösungsbedürftig macht. Diese Leh­re ist nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Offenbarung, sondern sie besitzt auch einen großen hermeneutischen Wert, weil sie die Wirklichkeit des Menschen begreifen hilft. Der Mensch strebt zum Guten, aber er ist auch des Bösen fähig; er kann über sein unmittelbares Interesse hinausgehen und bleibt dennoch daran gebunden. Die Gesellschaftsord­nung wird um so beständiger sein, je mehr sie dieser Tatsache Rechnung trägt. Sie wird nicht das persönliche Interesse dem Gesamtinteresse der Gesellschaft entgegenstellen, sondern nach Möglichkeiten einer fruchtba­ren Zusammenarbeit suchen. Denn wo das Interesse des einzelnen gewalt­sam unterdrückt wird, wird es durch ein drückendes System bürokratischer Kontrolle ersetzt, das die Quellen der Initiative und Kreativität versiegen läßt. Wenn Menschen meinen, sie verfügten über das Geheimnis einer voll­kommenen Gesellschaftsordnung, die das Böse unmöglich macht, dann glauben sie auch, daß sie für deren Verwirklichung jedes Mittel, auch Gewalt und Lüge, einsetzen dürfen. Die Politik wird dann zu einer ‚weltli­chen Religion’, die sich einbildet, das Paradies in dieser Welt zu errichten. Aber niemals wird irgendeine politische Gesellschaft, die ihre eigene Auto­nomie und ihre eigenen Gesetze besitzt, mit dem Reich Gottes verwechselt werden können.“[5]

Aktualität der päpstlichen Warnung

Diese Gedanken des Papstes können nur unsere volle Zustimmung finden. Sie gelten im übrigen nicht nur für jene „Menschheitsbeglücker“, die auf dem Boden der kommunistischen Ideologie stehen, sondern nicht minder für die „Heilsapostel“ der „New One World“, der Konsum-Welt des globalen Kapitalismus ohne ausreichende soziale Komponenten nach den Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität.[6] Sie gelten in jüngster Zeit vor allem auch für die „Menschheitsbeglücker“, die sich an Gottes Stelle setzen und einen neuen, nach seiner Natur und seinen Fähigkeiten „perfekten Menschen“ schaffen wollen. „Transhumanismus“, also ein Zustand jenseits des Humanismus, der sich schon weitgehend von Gott gelöst hatte, nennt man diese furchtbare Ideologie, die nicht einmal vor Genmanipulation an am Menschen zurückschreckt und ihn mit den modernen technischen Geräten verkoppeln möchte. Das Ergebnis dieses „Internet of bodies“ wäre der weltweit voll kontrollierbare Mensch. Das würde zu einer heute noch kaum vorstellbaren Weltdiktatur führen: Jede Demokratie könnte im Keim erstickt werden, der Menschen wäre seiner Freiheit vollständig beraubt. Die weltweit Reichsten und Einflußreichsten würden die Herrenklasse spielen und alle anderen Erdenbürger mehr oder minder zu Sklaven degradieren. In den letzten zwei Jahren sind solche Gedanken, die vor allem im World Economic Forum (WEF) unter Klaus Schwab  ausgebrütet worden sind, explosionsartig verbreitet worden. Die weltweit durch Regierungen und Presse geschürte Panik, die Angst vor Covid 19, soll eine solche „Vierte technische Revolution“, einen solchen „Great reset“, den „großen Neustart“ auslösen und ihn begünstigen. Schwab selbst betonte den Umbruch in drastischer Deutlichkeit: „Es kommen derart radikale Veränderungen auf uns zu, dass manche Experten bereits von der Zeit ‚vor Corona’ (BC) und ‚nach Corona’ (AC) sprechen.“[7] Soll diese neue Zeitrechnung etwa in fast blasphemischer Weise die alte „vor Christus“ (BC, before Christ) und „nach Christus“ (AC, after Christ, oft auch AD = Anno Domini) ersetzen? Jedenfalls ist man über eine solche Aussage doch beunruhigt! Intensiv auseinandergesetzt habe ich mich mit diesem berückenden Thema in: Die Coronakrise, Bd. 2 – Hatten die (vernünftigen) „Verschwörungstheoretiker“ doch recht? (Alverna Verlag, Wil/Schweiz, 16 Euro, u. a. beim Sarto-Verlag in Stuttgart zu beziehen).

Das Buch zum Artikel: „Die Erbsünde – Traditionelle und moderne Lehre“ (Heinz-Lothar Barth)


[1] Wir können auf dieses Thema hier nicht näher eingehen. Genannt seien  beispielsweise nur folgende Artikel: 597, 838-841, 872, 1069, 1261, 1398-1400, 1447, 1571, 1580, 1623, 1636, 1642, 1673.  

[2] Zur Kindertaufe siehe Verf., Zum neuen Kindertaufritus, in: „Nichts soll dem Gottesdienst vorgezogen werden“ (Benediktregel  Kap. 43), Siegburg 2002, 164-199, v. a. Exkurs „Die apostolische Herkunft der Kleinkindertaufe“, 193-198. Vgl. Christoph Schönborn, Die kirchliche Erbsündenlehre im Umriß, in: ds., Albert Görres, Robert Spaemann, Zur kirchlichen Erbsündenlehre, 95 f. In Anm. 30 (S. 96) verweist Schönborn auf die Arbeit von J.- Ch. Didier, Faut-il baptiser les enfants? La réponse de la tradition, Paris 1967.

    [3] Bericht der Deutschen Tagespost vom 16.2.1995. Zur Thematik der Ehenichtigkeitsverfahren s. Verf., „Wer heilig ist, trete hinzu; wer es nicht ist, tue Buße!“ II. Teil, UVK 25,4/1995, 206-213

[4] Nach Osservatore Romano vom 20.10.1982, abgedruckt in: Johannes Paul II., Die Erlösung des Leibes und die Sakra­mentalität der Ehe, Katechesen 1981-1984, hg. von Norbert und Renate Martin, Vallen­dar-Schönstatt 1985, 221.

[5] Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 101, Enzyklika CENTESIMUS ANNUS Seiner Heiligkeit Papst Johannes Pauls II. an die verehrten Mitbrüder im Bischofsamt, den Klerus, die Ordensleute, die Gläubigen der katholischen Kirche und alle Menschen guten Willens zum hundertsten Jahrestag von RERUM NOVARUM, 1. Mai 1991, Nr. 25, S. 29.

[6] Zu diesen zentralen Begriffen der katholischen Soziallehre siehe Verf., Solidarität und Subsidiarität – Zwei Grundprinzipien der christlichen Soziallehre und ihre Mißachtung in der heutigen Politik, CIVITAS Sonderheft 1, 2008. Der Aufsatz ist auch in den Sammelband meiner CIVITAS-Aufsätze aufgenommen worden: „Opus iustitiae pax“ – „Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit“ (Jes. 32, 17, Wahlspruch Papst Pius’ XII.) – Aufsätze zur christlichen Soziallehre, Neunkirchen-Seelscheid 2022, 4-93.

[7]  Klaus Schwab und Thierry Malleret, Covid-19:Der große Umbruch, 2020, S.12.

Teil 3:

Teil 1:

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