{"id":11118,"date":"2017-05-03T13:07:52","date_gmt":"2017-05-03T11:07:52","guid":{"rendered":"https:\/\/www.thecathwalk.de\/?p=11118"},"modified":"2019-07-11T17:01:26","modified_gmt":"2019-07-11T15:01:26","slug":"robert-spaemann-zum-neunzigsten","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.thecathwalk.de\/2017\/05\/03\/robert-spaemann-zum-neunzigsten\/","title":{"rendered":"Robert Spaemann zum Neunzigsten"},"content":{"rendered":"\n
Robert Spaemann hatte eine Wendung vollzogen. Er verstand sich nach dem Zweiten Weltkrieg zun\u00e4chst selbst als Marxist-Leninist, die Ideen des Humanismus und der hegelianischen Dialektik hatten ihn befl\u00fcgelt und lie\u00dfen in ihm die Bereitschaft auch zu direkter politischer Bet\u00e4tigung aufkeimen. Die Chim\u00e4re einer propagierten Menschheitsbefreiung begann sich aufzul\u00f6sen, der Schleier des Idealismus zu l\u00fcften, als der junge Student der Philosophie, Geschichte und Theologie von dem uferlosen Kommunismus in Ru\u00dfland erfuhr. <\/p>\n\n\n\n
Im Dienste einer aus betuchten Elternh\u00e4usern stammenden S\u00f6hnen entwickelten Weltidee, zementiert durch eine vermeintliche Notwendigkeit aus dem postulierten linearen Verlauf der Geschichte wurden Millionen von Menschenleben geopfert. Der junge Spaemann mu\u00df erkannt haben, da\u00df aus der innerweltlichen Heilsverhei\u00dfung mit ihrem Anspruch, einen neuen Menschentypus zu kreieren, die dunkelste Dystopie geworden ist, die man sich nur vorstellen kann. Das Ideal wurde zum Trugbild, die ehemals sch\u00f6pferische Kraft des Geistes zur Zersetzung auf allen Ebenen, der verk\u00fcndete Sinn des Verlaufs der Geschichte zur absoluten Sinnlosigkeit in der Gegenwart.<\/p>\n\n\n\n
Von der Ideologie eines Kulturmarxismus wandte sich Spaemann folglich mit Entschiedenheit ab, um dann aber nicht Kompensation bei einer erneuten, irgendwie andersgearteten Ideologie zu suchen, wie es etwa Horst Mahler getan hat, der als ehemaliges SDS- und RAF-Mitglied zum Rechtsextremen wurde. Nein, Spaemann behielt bei seiner Wendung Ma\u00df und ist auch bis heute ein Denker des Ma\u00dfes geblieben. Seinen f\u00fcr das Denken notwendigen Raum fand er gerade dadurch, da\u00df er fortan zu allen innerweltlichen Verhei\u00dfungen und Versuchungen den gebotenen Abstand hielt. Dem Revolution\u00e4ren setzt er das Evolution\u00e4re, das mit Bedacht Gewordene entgegen. \u2013 \u201eWichtig ist, was immer ist.\u201c \u2013 So brachte er es selbst einmal in einem Interview auf den Punkt. Ihm wird es daran gelegen sein, die anthropologische Grundkonstante freizulegen, die uns nicht auf das Aufgehen im Diesseits weist, sondern auf das Jenseits.<\/p>\n\n\n\n
Im Menschen ist immer mehr angelegt, als er in der ihm gegebenen Lebensspanne zu verwirklichen imstande w\u00e4re. Es ist etwas, das \u00fcber ihn hinausweist und das die Theologie mit dem Begriff der Gottesebenbildlichkeit beschreibt. In dem Bewu\u00dftsein der Notwendigkeit von gewissen Grundkonstanten wurde dann so aus dem einstigen Bef\u00fcrworter der Liturgiereform innerhalb der katholischen Kirche ein Spaemann, der einer vorschnell verordneten Reformierung nunmehr mit Skepsis gegen\u00fcbersteht und dadurch Martin Mosebach zum Verfassen der bis heute kontrovers diskutierten Schrift \u201eH\u00e4resie der Formlosigkeit\u201c inspirierte. Dar\u00fcber hinaus wurde er zu einem Apologeten der bis 1996 verbindlichen Rechtschreibung und Sprachregelungen, die einer politischen Korrektheit dienlich sein sollen erteilte er eine klare Absage. <\/p>\n\n\n\n
Die Sprache ger\u00e4t, so stellt Spaemann fest, in einen infiniten Regress, wenn sie Unsagbarkeiten und alleing\u00fcltige Begrifflichkeiten definieren will, die sich dann abn\u00fctzten, um wiederum als solche unsagbar zu werden. Ihm geht es auch hierbei vielmehr um das rechte Ma\u00df, mit dem wir den Dingen in der Welt begegnen sollten. Durch vorschnelle Eingriffe droht unser vor allem Denken nicht nur sich zu dekontextualisieren, sondern gibt sich einer Banalisierung und Profanierung preis. Was der Philosoph folglich an der heutigen Gesellschaft beklagt, ist ihr Hang zum Aufgehen im Konsumrausch, den Theodor W. Adorno als \u201eKulturindustrie\u201c zusammen mit Nationalsozialismus und Kommunismus als weltliche H\u00f6lle bezeichnete.<\/p>\n\n\n\n
Robert Spaemann ist dabei kein Philosoph, der sich im Wehklagen oder in der Auseinandersetzung mit einzelnen Sachfragen verliert. Sein Werk reicht thematisch weit, fast weiter als die nun vollbrachte Lebensspanne von neun Jahrzehnten. Mit der Moralphilosophie und der Ethik befasste er sich ebenso wie mit der Soziologie oder der politischen Theorie. Es sind mit ihm Werke entstanden, die uns zu wahrhaftig zu denken geben sollten, so etwa der 2011 erschienene vielsagende Titel \u201eNach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter\u201c. Immer wieder haben ihn Fragestellungen angeleitet wie diese: Was ist der Mensch? Wie tritt er in Erscheinung? Wie ist sein Verh\u00e4ltnis zu den philosophischen Fragen, insbesondere zu den sogenannten \u201eletzten Fragen\u201c bestimmt? \u2013 Die Kunst der Philosophie besteht f\u00fcr Spaemann bereits darin, die treffenden Fragen zu formulieren, um so sonst im Verborgenen bleibende Strukturen aufzudecken. <\/p>\n\n\n\n
So ist er ein Mann der offenen Worte, einer, der die Debatte keineswegs scheut und es f\u00fcr eminent bedeutsam erachtet, da\u00df die Philosophie ihre Fragen in die Gesellschaft hineintr\u00e4gt \u2013 als Korrektiv und als retardierendes Moment. Die technische Entwicklung verl\u00e4uft derma\u00dfen rasant, da\u00df das Menschliche und die Beziehungen unter den Menschen dabei allzu oft auf der Strecke zu bleiben drohen. Spaemann erhob seine gewichtige Stimme immer dann, wenn er diese Bedrohung im Begriffe zu sehen meinte, wahr zu werden: bei der Frage der Euthanisie, beim Schutz des ungeborenen Lebens, aber auch beim Umweltschutz und bei der Tierethik. Den homo mensura-Satz versteht er nicht etwa so, da\u00df der Mensch \u00fcber alles erhaben sei, sondern, da\u00df er sich auch das notwendige Ma\u00df an Vernunft und Selbstgen\u00fcgsamkeit bewahren mu\u00df, um langfristig fortzubestehen. <\/p>\n\n\n\n
Es leitet sich daraus f\u00fcr ihn auch die folgende Frage ab: Machen wir den Menschen dadurch besser oder gl\u00fccklicher, indem wir seine Gegebenheiten best\u00e4ndig dem technischen Fortschreiten anpassen? Spaemann hat die Mythen erkannt, die von der Moderne heraufbeschworen worden sind. Der Mensch mu\u00df nicht schritthalten k\u00f6nnen mit hochgreifenden Gl\u00fccksutopien, um tats\u00e4chlich und wahrhaftig gl\u00fccklich zu werden. Allzu oft haben sich diese Gl\u00fccksutopien von selbst als eine ins Leere laufende Nichtigkeit entlarvt.<\/p>\n\n\n\n