Es sind lohnende fast 1100 Seiten, die mit dem Journalisten Peter Seewald einer der profundesten deutschen Kenner des Lebens und Wirkens Joseph Ratzingers produziert hat. Seine Biographie vermag es, eine umfassende Geschichte des Lebens und Wirkens Benedikts XVI. zu zeichnen, die spannend und anspruchsvoll zugleich geschrieben ist.<\/p>\n\n\n\n
Durch die historische Kontextualisierung der Ratzinger pr\u00e4genden Ereignisse wird der Leser in die Zeit gef\u00fchrt und kann die Denkweisen und Pr\u00e4gungen sehr gut nachvollziehen.<\/p>\n\n\n\n
Allein die Umst\u00e4nde seiner Geburt, sein famili\u00e4res Umfeld und seine fr\u00fchen Begegnungen mit wichtigen Geistlichen seiner Zeit wie Kardinal Faulhaber im oberbayerischen Raum lassen das Leben Joseph Ratzingers als pr\u00e4destiniert f\u00fcr h\u00f6chste kirchliche Weihen erscheinen. Dass Joseph an in einer Nacht zum Ostersonntag geboren wurde und seine Eltern Maria und Joseph hie\u00dfen, passt zur Geschichte Benedikts ebenso wie die Fr\u00f6mmigkeit des Hauses, aus dem er entstammte. <\/p>\n\n\n\n
Sein Traum, Priester zu werden, entwickelte sich genauso fr\u00fchzeitig wie sein gro\u00dfes Interesse an der katholischen Tradition, Liturgie und intellektuellen Glaubensfragen. Der Heilige Benedikt, nach dem er sein Pontifikat benannte, begegnete ihm ebenfalls in jungen Jahren. Dieser Heilige begr\u00fcndete das M\u00f6nchstum und die Verbreitung von Bildung f\u00fcr breitere Bev\u00f6lkerungsschichten. Fr\u00fch stellte sich sein Interesse f\u00fcr die Theologie und sein herausragendes intellektuelles und sprachliches Verm\u00f6gen heraus. Kriegserfahrungen und der politische und geistliche Neuaufbau des Landes waren gro\u00dfe Herausforderungen f\u00fcr Ratzinger, die er f\u00fcr eine theologische Erneuerung der Kirche im II. Vatikanum nutzte.<\/p>\n\n\n\n
Ein Streit zwischen konkurrierenden Professoren h\u00e4tte Ratzingers akademische Karriere nahezu beendet. Und dass, obwohl seine Dissertationsschrift \u00fcber Volk und Haus in Augustins Lehre von der Kirche <\/em>nicht nur fachlich h\u00f6chste Anerkennung gefunden hatte, sondern auch sein Kirchenbild massiv in die Arbeit einfloss damit sukzessive in das Selbstverst\u00e4ndnis der r\u00f6misch-katholischen Kirche insgesamt.<\/p>\n\n\n\n Seewald zeigt, dass Ratzingers in Freising verfasste Habilitationsschrift Die Offenbarung und Heilsgeschichte in der Lehre des Heiligen Bonaventura<\/em>, vorgeschlagen von seinem Mentor und Doktorvater Gottlieb S\u00f6hngen, auf den heftigen Widerstand des Zweitkorrektors Professor Schmaus traf. Die Arbeit, so Schmaus, gen\u00fcge formal und inhaltlich nicht den erwarteten Anspr\u00fcchen. <\/p>\n\n\n\n Es hielt sich das Ger\u00fccht auf dem Domberg, dass S\u00f6hngen in seiner Auseinandersetzung mit Schmaus Ratzinger bewusst in diese riskante Lage gebracht habe. Letztlich wurde dessen Arbeit massiv gek\u00fcrzt und \u201etrotz massiver St\u00f6rfeuer von Schmaus wurde Ratzinger am 1. Januar 1958 zum au\u00dferordentlichen Professor f\u00fcr Dogmatik und Fundamentaltheologie … ernannt\u201c (S. 312). Die restlichen Teile seiner Habilitationsschrift wurden erst im neuen Jahrtausend ver\u00f6ffentlicht und von Ratzingers fr\u00fcherem Mitarbeiter Hans-J\u00fcrgen Verweyen kommentiert.[1]<\/a> Sie enth\u00e4lt den Kern seines theologischen Denkens und erweist sich als theologisch \u00e4u\u00dferst modern.<\/p>\n\n\n\n Eines der lehrreichsten Lektionen aus der Biographie ist f\u00fcr den Rezensenten das Paradoxon, dass Ratzinger, der heute als Erzkonservativer, wenn nicht gar als Revolution\u00e4r eingeordnet wird, in den sechziger Jahren den Ruf eines intellektuellen Modernisten der Theologie inne hatte. <\/p>\n\n\n\n Sein Einfluss auf dem Vatikanischen Konzil, in welchem er eng mit dem K\u00f6lner Kardinal Frings zusammenarbeitete, war enorm. Mit der deutschen und franz\u00f6sischen Delegation und in Kooperation mit dem Theologen Karl Rahner wandte sich der sp\u00e4tere Papst gegen Kardinal Ottaviani. Deshalb wurde in konservativen r\u00f6mischen Kreisen kolportiert, er habe eine Art Verschw\u00f6rung gegen den ehrw\u00fcrdigen Kardinal angezettelt (S. 403). <\/p>\n\n\n\n Papst Johannes XXIII. aber begr\u00fc\u00dfte in eher stillschweigender Form diesen von Ratzinger initiierten Aufbruch in die Moderne. Ratzinger lernte auf dem Konzil auch Karol Wojty\u0142a kennen, den sp\u00e4teren Papst Johannes Paul II., dem er als Leiter der Glaubenskongregation dienen sollte und dessen Wahl im Konklave er nachhaltig mit organisierte. Johannes Paul II. vertraute den theologischen Ansichten Ratzingers voll und ganz.<\/p>\n\n\n\n In T\u00fcbingen hatte Ratzinger Hans K\u00fcng kennen- und sch\u00e4tzen gelernt. Obwohl sich der sp\u00e4tere Papst sehr f\u00fcr das Fortkommen des liberal, um nicht zu sagen, weltlich denkenden Popstars der deutschen Theologie bem\u00fcht hatte, fiel ihm K\u00fcng des \u00d6fteren in den R\u00fccken. Der sp\u00e4tere Begr\u00fcnder des Dialogs zwischen den Religionen im Sinne eines Weltethos nutzte eine Gelegenheit nach der anderen, um Ratzinger als Reaktion\u00e4r dastehen zu lassen. Der sp\u00e4tere Papst jedoch verhinderte durch seinen Einsatz kirchenrechtliche Ma\u00dfnahmen gegen K\u00fcng und erwies sich als souver\u00e4ner, gn\u00e4diger Amtstr\u00e4ger und Mensch.<\/p>\n\n\n\n Die Wahl Papst Benedikts XVI. war eine Sensation, da seit \u00fcber 500 Jahren zum ersten Mal wieder ein deutscher Pontifex gew\u00e4hlt worden war. Er galt von vornherein als \u00dcbergangspapst, der nach dem \u201epolitischen Papst\u201c aus Polen die theologischen Grundlagen konsolidieren sollte. Selbst im kritischen Deutschland wurde er positiv wahrgenommen wie auf dem Weltjugendtag in K\u00f6ln kurz nach seiner Amts\u00fcbernahme im Jahre 2005. <\/p>\n\n\n\n Zu einem Bruch mit der deutschen \u00d6ffentlichkeit und Angela Merkel kam es, als Benedikt XVI. die Exkommunikation des Holocaustleugners Williamson von der Piusbr\u00fcderschaft aufhob. Das war eine offensichtliche Panne. Zur R\u00fccknahme der Exkommunikation kam es, weil alle vier Bisch\u00f6fe der Piusbruderschaft darum inst\u00e4ndig gebeten hatte und bereit waren, das Konzil im Geist der Tradition anzuerkennen. Diese Entscheidung war ein Akt der Gnade und geschah ohne zu wissen, dass Wiliamson ein Holocautleugner ist. <\/p>\n\n\n\n Die Piusbruderschaft wurde durch die R\u00fccknahme der Exkommmunikation auch nicht kirchlich anerkannt. Es ging darum, den Weg zur\u00fcck in die kirchliche Anerkennung zu beginnen und den Zugang zu den Sakramenten zu erm\u00f6glichen. Der Bischof und die Bruderschaft haben nach wie vor keine kirchenrechtliche Anerkennung in der Kirche. Mittlerweile hat sich Bischof Williamson von der Bruderschaft getrennt und sich noch mehr radikalisiert.<\/p>\n\n\n\n Doch dieser Zusammenhang wurde von deutschen Presseorganen wie der S\u00fcddeutschen Zeitung <\/em>bewusst verdreht dargestellt; auch Kanzlerin Merkel lie\u00df sich von dieser manipulativen Form der Darstellung beeinflussen. Vorher hatte es schon Kritik an seiner Regensburger Rede gegeben, in welcher er durch ein indirektes Zitat auf die Gewaltzentriertheit des politischen Islam verwiesen hatte. <\/p>\n\n\n\n F\u00fcr \u201eprogressive\u201c Kr\u00e4fte in Deutschland kam diese Gelegenheit wie gerufen, mit dem ungeliebten Papst zu brechen, der den postmodernen Zeitgeist hart kritisierte und den westlichen Vernunftbegriff und das Christentum gegen seine Kritiker vehement verteidigte. Sein Kampf gegen die Wertebeliebigkeit der Gegenwart wird naturgem\u00e4\u00df von Kulturrelativisten nicht gern gesehen. Dass er den Missbrauchsskandal nicht entschieden bek\u00e4mpft hat, entspricht ebenfalls nicht den Tatsachen, wie Seewald ausf\u00fchrlich darlegt.<\/p>\n\n\n\n Als zweiter Pontifex in der Geschichte trat er vor seinem Tod zur\u00fcck. Der erste Papst war Coelestin V. im Jahre 1294 gewesen, der mit seinem Amt \u00fcberfordert war. Einige Beobachter bringen als Ratzingers Motiv vatikaninterne Skandale in Spiel. In einem Interview als Anhang innerhalb der Biographie verneint Benedikt XVI. diese Gr\u00fcnde. Er zeigt, dass die f\u00fcr Bisch\u00f6fe zul\u00e4ssige kirchenrechtliche Figur des R\u00fccktritts auch auf den Pontifex beziehbar sei. Ihn verletze jedoch die Tatsache, dass manche ihn als Kritiker seines Nachfolgers Franziskus zeichneten. Diese Annahme wird an einer Schrift Ratzingers zur Judenfrage aus dem Jahre 2018 festgemacht, deren Aussagen Franziskus angeblich nicht geteilt habe.<\/p>\n\n\n\n Das hohe Ma\u00df an Bewunderung des Journalisten und Biographen f\u00fcr seinen Protagonisten begleitet den Leser auf dieser langen Reise durch das Werk. Das Buch ist spannend geschrieben, zeigt historische Kontexte auf und f\u00fchrt auch den theologischen Laien mit Behutsamkeit durch schwieriges Terrain. Dass Seewald Ratzinger gegen teilweise ungerechtfertigte Kritik zu verteidigen gedenkt, ist ein legitimes Anliegen. <\/p>\n\n\n\n Dennoch h\u00e4tte er hier eigene begr\u00fcndete Kritik zum Beispiel an der Kommunikationsstrategie Benedikts formulieren k\u00f6nnen. Seewald bel\u00e4sst es dabei, Ratzingers mangelnde Entschlossenheit im Umgang mit unfairen Kritikern zu kritisieren. Trotz dieser kleinen Lacunae ist die Biographie ein gewaltiges Werk, das vielen Menschen helfen sollte, ihr Bild von diesem theologischen Jahrhundertintellektuellen zu verfeinern. Denn neben der intellektuellen Leistung Benedikts stellt Seewald den pers\u00f6nlichen, von Demut getriebenen Glaubens des geb\u00fcrtigen Bayern hervor, der f\u00fcr wirkliche Gl\u00e4ubige eine Inspiration sein muss.<\/p>\n\n\n\n [1]<\/a> Hans-J\u00fcrgen Verweyen: Ein unbekannter Ratzinger: Die Habilitationsschrift von 1955 als Schl\u00fcssel zu seiner Theologie. Regensburg 2010: Pustet Verlag.<\/p>\n\n\n\n Das Buch ist hier zu erwerben: https:\/\/www.st-stephani-verlag.de\/<\/a><\/p>\n\n\n\nDer Modernist im II. Vatikanischen Konzil<\/h2>\n\n\n\n
Barmherzig gegen\u00fcber Hans K\u00fcng<\/h2>\n\n\n\n
Die Aff\u00e4re um die Aufhebung der Exkommunikation Williamsons<\/h2>\n\n\n\n
Ein wenig mehr Kritik h\u00e4tte nicht geschadet<\/h2>\n\n\n\n
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