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Man mag dies verneinen – wenn das Internet nur aus „sozialen Netzwerken“ besteht

Es ist immer wieder und seit einigen Monaten häufiger zu lesen. Ich werde hier jetzt keine Linksammlung anheften, denn jeder wird es – insbesondere aus dem Munde der analogen, einstmals führenden Quantitätsmedien – vernommen haben: die Verrohung des Diskurses, insbesondere des gesellschaftlich-politischen, sei auch dem Siegeszug des Internets zu verdanken. Der Wegfall von Klarnamen, der Schutz der Identität, „Shitstorms“ und was da alles an Argumenten fällt.

Ich möchte dieser Deutung widersprechen.

Im Gegensatz zu den vielen selbsternannten Experten und auch Medienschaffenden, die erst über Twitter und Facebook in die Weiten des Internets vorstießen, bin ich schon ein paar Jährchen länger in dieser Parallelwelt mit all ihren Abgründen und all ihren Möglichkeiten unterwegs. Ansatzweise seit 1999, verstärkt und richtig vernetzt ab 2003. Und das noch zu 56k-Modem-Zeiten. In die Genüsse von DSL kam ich erst 2006.

Mein Eindruck ist vielmehr, dass diejenigen, die bereits vor dem Web 2.0 unterwegs waren, dazumal eine eher kleine, aber gut organisierte Avantgarde darstellten. Der Meinungsaustausch fand vornehmlich per Email, Chat oder Diskussionsforen statt. YouTube erschien als interessantes Kuriosum, dessen Auswüchse man nicht absehen konnte. Jeder brauchte plötzlich so ca. ab 2005 ein Blog. WhatsApp gab es nicht, das Instant Messenger Programm hieß ICQ, Trillian oder AOL-Telegramm (AIM).

Und dennoch existierten einige sehr spezifische Unterschiede. Gefühlt änderte sich die Netzkultur radikal etwa ab 2007/2008 durch das Aufkommen der klassischen sozialen Netzwerke – allen voran Facebook, in Deutschland zuvor aber StudiVZ.

Zuerst muss man begreifen, dass – wenn man nicht gerade im größten Abschaum unterwegs war – die Diskussionsforen spezifische Themen hatten. Die ansässigen Mitglieder waren meistens „Experten“ auf ihrem Gebiet, ob es nun um Bücher, Spiele, Filme, Rollenspiele oder anderes ging. Es gab natürlich auch politische Foren, aber dort war das Publikum kaum repräsentativ, da sich im Internet eben nicht der Bevölkerungsdurchschnitt tummelte, sondern meist eher etwas spezielle Personalien. Im Guten wie im Schlechten.

Es ist dabei bemerkenswert, dass auch dazumal ein oftmals sehr direkter, ehrlicher Austausch stattfand – Respektlosigkeiten waren schon damals Teil der Internetkultur. Nur, sie verhielt sich anders. „Trollen“ zeichnete sich durch ein gewisses Maß an Intelligenz aus. Um Leute wirklich zu verärgern, brauchte es eben mehr als einen Verweis mit vielen Ausrufezeichen und irgendeinem blöden Youtube-Video. Insbesondere seriöse Diskussionen waren dafür anfällig. Das aber machte nicht selten auch den Reiz aus.

Obwohl der Ton politisch unkorrekt, manchmal auch hart an der Ehrverletzung sein konnte – es existierte ein Grundrespekt vor den Personen. Das hatte eine bestimmte Bewandtnis: in Foren schreibt man lange, viel und über einen längeren Zeitraum mit denselben Leuten. Foren funktionieren wie Schulhöfe: man prügelt sich, aber über lange Sicht muss man einander aushalten, weil man jahrelang zusammenhängt. Es sei dabei natürlich auch angemerkt, dass schon damals der Männeranteil erstickend hoch war, weit höher noch als heute. Insofern galten auch „männliche“ Regeln: wir schlagen uns, aber Ehrverletzung, das geht nicht.

Was ich damit meine: trotz allem waren die Leute fähig, in verständlichen Worten zu schreiben. Sätze beinhalteten mehr als zehn Worte. Auf Rechtschreibung und Grammatik wurde Wert gelegt. Das Schriftbild war lesbar. Man pöbelte nicht, sondern legte auf Spitzen, auf Subtilität, oder zumindest Kreativität wert, wenn man sich schon mit jemanden anlegte. Und vor allem: wer eine niveauvolle Tirade schreibt, der kommt auch um Argumente nicht herum, weil letztendlich Argumente auch die umstehende Forengemeinschaft eher überzeugen. Der Vorteil der Forenkultur bestand daraus, dass die Gemeinschaft groß genug war, um eine bedeutende Anzahl von Leuten zusammenzubekommen, aber immer noch klein genug, damit jeder jeden kannte, und trotz der Namensanonymität keine Unbekanntheit zwischen den Mitgliedern herrschte. Paradoxerweise entstanden dadurch Gruppengefühle, trotz möglicher Animositäten.

Um wirklich ausfallend und beleidigend zu werden, braucht es aber Anarchie, bzw. das überbewertete Individuum, das sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Foren bildeten Gegengewichte, weil die etablierte Gemeinschaft sich über solche Narzissten lustig machte. Es gab also auch ein Regulativ gegen „Pöbler“, und zwar kein administratives-moderatives, sondern ein soziales.

Noch etwas zur Form. Lange Texte waren normal. Man schrieb briefähnliche Emails. Man textete in Foren lange Beschreibungen. Youtube steckte in den Kinderschuhen, selbst Wikipedia war mit Commons noch im Aufbau, die meisten Bilder waren einfach nicht hochgeladen. Weil man einen Sketch von Monty Python nicht verlinken konnte, musste man ihn beschreiben. Ohne Googlebooks konnte man nicht zu Büchern verlinken, sondern musste sie zusammenfassen. Wenn jemand ein Konzept nicht verstand, musste man es erklären, statt auf Wikipedia zu verlinken. So simpel ist die Wahrheit.

Kurz: Das Internet war eine Schreibmaschine. Was ich nicht schreiben, bzw. beschreiben kann, ist zuerst einmal nicht existent. Das Internet nötigte einem mehr Hirnschmalz ab als heute, wo wir auf alles gemütlich verlinken können. Und man nahm sich Zeit; man antwortete Leuten ausführlich, man versuchte auf lange Texte gleichermaßen lang zu antworten. Es existierten Foren oder Forenbereiche, in denen Einzeiler verboten waren. Wie im realen Leben war die Neigung größer, auf den Gegenüber einzugehen.

Heute dagegen dominiert ein Nachrichtendienst das Netzwerk, bei dem man alles in 140 Zeichen zusammenfassen soll. Und das bei einem Service, der für die kompakt-angelsächsische, und nicht die verschachtelt-germanische Sprache ausgelegt wurde. Zu viel schreiben ist out. Je weniger, desto besser.

Insofern ist weniger das Internet als solches, als vielmehr die Entwicklung ab 2007 (für Europa) als Zäsur anzusehen. Denn es geschah eine „Facebookisierung“ des Internets.

Dabei spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Zuerst einmal war Facebook nun eine gewaltige Sammelstelle für alle möglichen Themen. Weil auch Unternehmen das erkannten, verlagerte bald jeder seinen Diskussionsschwerpunkt auf Facebook, weil „alle auf Facebook“ waren. Der Teufelskreis ging damit erst richtig los: die traditionelle Forenkultur starb aus, weil immer weniger Leute dort und stattdessen bei Facebook waren; schließlich hatte man alles und jeden auf Facebook. Spiele wurden jetzt nicht in einem Spieleforum besprochen, sondern in einer Spielesektion auf Facebook. Der Umbau eines regionalistischen Internets zugunsten eines zentralistischen nahm seinen Lauf, bei dem die reine Masse eine Rolle spielte.

In der Masse geht aber nahezu immer die Qualität unter. Der gewaltige Zuzug von „Neuländern“, die aus dem Alltagsleben ins Internet kamen, ließen oftmals den Duktus fehlen, den man gewöhnt war. Früher konnte man an Stil und Fehlern erkennen, dass man einen Jugendlichen vor sich hatte. Nunmehr traten selbst 30- oder 40jährigen auf, welche von Zeichensetzungsregeln ebenso wenig hielten wie von anständiger Orthographie. Und wenn die Sache erst einmal ins Rollen kommt – ist sie kaum aufzuhalten. In der Masse spielt nicht mehr das Argument oder die Intelligenz per se eine Rolle, sondern das Auffallen um jeden Preis. Laut, schrill, bündig, emotional. Das ist nicht nur beim Internet ein Phänomen, das sich nun zu einem Massennetzwerk wandelte. Und es ist doch kein Wunder, dass der größte Kommentarmorast sich auf Facebook, Twitter und Youtube erstreckt.

Wie gesagt: das ist nicht dem Internet als Solchem, sondern der Masse anzulasten. Es entbehrt nicht der Ironie, dass in dieser Zeit zum ersten Mal immer wieder der Begriff der „Schwarmintelligenz“ auftauchte, die freilich davon ausginge, eine Masse von Menschen sei klüger als ein einzelner. Historiker, die sich nur etwas mit ihrem Fach auskennen, wissen, dass es eigentlich nichts Gefährlicheres als die Masse gibt, eben weil sie unkontrollierbar ist; und wenn, dann nur durch eine starke Hand und mit einfachen, verständlichen Worten formbar. Intellektueller Tiefgang: den kann man dagegen vergessen.

Bleiben wir einen Moment bei den langen Texten. Man muss kein Sprachphilosoph sein, um zu verstehen, dass das Schreiben von essaylangen Diskursen das Schreib- und Denkvermögen schult, und dass es eine wechselseitige Beziehung mit dem gibt, was ich denke, und dem, was ich schreibe. Orwell hat das ausführlich in 1984 beschrieben. Die Sprache ist die Grenze unserer Welt. Wer viel liest und viel schreibt, der hat prinzipiell einen weiteren geistigen Horizont, einfach, weil er seinen Kopf schult wie ein anderer seine Muskeln. Es geht leichter von der Hand, 2.000 Worte täglich zu schreiben, wenn man dies seit Jahren tut. Jemand, der außerhalb der allernötigsten Anforderungen nie schreibt und nur selten liest, wird damit logischerweise größere Schwierigkeiten haben und es bei kleineren, einfacheren Botschaften bleiben lassen.

Demnach habe ich auch eine ziemlich voreingenommene Meinung dazu, wenn Leute auf 140 Zeichen getrimmt werden sollen. Italo hat es auf den Punkt gebracht.Wir amputieren unser geistiges Vermögen. Bei ICQ habe ich niveauvollere und eloquentere Dispute in den Jahren 2003-2007 gehalten als sie mancher Facebook „Habe Hunger. Was soll ich essen?“-Kommentator jemals erleben wird. Statt Diskussionen beherrschen Smileys, Links und Einzeiler mit ungesund vielen Ausrufezeichen oder mannigfaltigen Pünktchen das Schriftbild, ergänzt um belanglose Links zu noch belangloseren Tönen oder Videos. Das Smartphone bringt ein weiteres Unglück dazu: auf einem Smartphone gibt sich nämlich kaum jemand die Mühe, mal nachzudenken und einen stichhaltigen Text zu verfassen; stattdessen glauben viele, der Internetschriftverkehr sei eine Art bebilderte SMS.

Für mich war das Internet auch immer ein Glück, weil man Zeit hatte, sich seine Antwort genau zurechtzulegen und zu überdenken. Man ist allein durch die Tastatur dazu gezwungen. Andere dagegen sehen diese Barriere nicht, und tippen das einfach ein, was sie auch sagen würden. Man sehe sich nur einmal die Tweets und Facebook-Einträge von Persönlichkeiten wie Klaus Kleber, Til Schweiger und Co. an, deren Beiträge oft auf Grundschulniveau daherkommen. Da werden Worte nicht einmal mit Punkt abgekürzt, manchmal steht dort nur ein einzelner Buchstabe. Aber Hauptsache: ich kann mich der Welt mitteilen!

Und da kommen wir zum nächsten Problem der Unhöflichkeit. Höflichkeit entsteht primär aus dem Umgang mit anderen Personen. Diskussionsforen hatten ihren Namen, weil es zumindest meistens um die Sache, das Thema ging, also eben: die Diskussion. Facebook und Twitter funktionieren jedoch per se anders: sie sind Plattformen des Individuums, einsame Inseln im Meer der Masse, wo jeder Schiffbrüchige um Aufmerksamkeit schreit. Es existiert nicht „das“ vorgegebene Thema. Das Thema ist man selbst. Wer aber sich selbst gewissermaßen als der Grund ansieht, um auf diese Dienste zurückzugreifen, sieht die anderen natürlicherweise nur als Publikum, als graue Masse an, die das eigene Leben beklatschen soll. Diskurs setzt Respekt voraus, Austausch von Meinungen führen zwangsläufig dazu, dass ich mich mit meinem Diskussionsteilnehmer auseinandersetze; bei FB & Co. geht aber das Gespräch nur in eine Richtung. Es ist ein Treppenwitz der Internetgeschichte, dass diese Plattformen als Soziale Netzwerke bezeichnet werden, obwohl sie in ihrer klassischen Sender-Empfänger-Funktion eher den Namen a-soziale Netzwerke verdient hätten.

Wenn der Narzisst die Welt nur um sich selbst kreisen sieht, ist es doch völlig logisch, dass er die Welt für belanglos, ja, sogar von sich selbst abhängig sieht. Menschen sind schwach, verführbar, eitel, und neigen dazu, sich abheben und selbstdarstellen zu müssen. Das ist bei vielen veranlagt. Und die fehlende Gruppe, die der totalen Individualität weicht, die schiere Größe und Weite dieser Plattformen mit ihrer Grenzenlosigkeit verführen dazu, sich selbst auf seiner Insel als Nonplusultra anzusehen.

Der Vorwurf der Medien führt daher auch deswegen ins Leere, weil 90% dieser Journalisten gar kein Internet außerhalb dieser Netzwerke kennt. In den verbliebenen Foren, in Blogs, per Email und auch auf diesem Diarium hier habe ich mir zumindest einen kleinen Teil jener Welt von 2003 gerettet, wo man noch angenehm miteinander parlieren kann. Dass ich im allgegenwärtigen Du dieser Welt immer noch das Sie pflege, bis mir andere das Du angeboten haben, ist für mich eine Form von Höflichkeit und Respekt; und nicht zuletzt macht sie klar, dass ich mit FB & Co. so wenig wie möglich zu tun haben will, weil solche Dienste korrumpieren können. Daneben existiert noch eine Vielzahl anderer Seiten, wo sich ich in den Leserkommentaren immer wieder Restspuren eines solchen Gefühls wiederfinden lassen.

Nur, weil die Quantitätspresse sich auf dem Sklavenmarkt in der miesesten Ecke der Hafenstadt Facebook herumtreibt, heißt das ja nicht, dass dies das Problem der restlichen Netzgemeinde ist, die weiterhin in ihren Refugien lebt.

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Einsamkeit im kommunikativen Gebrabbel https://www.thecathwalk.de/2016/07/04/einsamkeit-im-kommunikativen-gebrabbel/?pk_campaign=feed&pk_kwd=einsamkeit-im-kommunikativen-gebrabbel https://www.thecathwalk.de/2016/07/04/einsamkeit-im-kommunikativen-gebrabbel/?pk_campaign=feed&pk_kwd=einsamkeit-im-kommunikativen-gebrabbel#comments Mon, 04 Jul 2016 05:30:32 +0000 http://thecathwalk.de/?p=5564 Alle sind wir vernetzt, alle sind wir immer erreichbar, und alle haben jemanden zum reden. Wieso aber fühlen sich dann manche einsamer denn je? Ein Lob des Schweigens und der Liebe. Mir liegt nun nicht viel daran, den hundertsten Sermon über die digitale Kultur und ihre Ausläufer kundzutun; dennoch kann ich als jemand, der nicht […]

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Alle sind wir vernetzt, alle sind wir immer erreichbar, und alle haben jemanden zum reden. Wieso aber fühlen sich dann manche einsamer denn je? Ein Lob des Schweigens und der Liebe.

Mir liegt nun nicht viel daran, den hundertsten Sermon über die digitale Kultur und ihre Ausläufer kundzutun; dennoch kann ich als jemand, der nicht einmal ein Smartphone besitzt, mit gewissen Erkenntnissen nicht hinter dem Berg bleiben. Wohl nicht zuletzt deswegen, weil mir beim Spaziergang kein Display vor der Nase sitzt.

Aber gemach. Mir gehen bereits seit einiger Zeit Gedanken durch den Kopf, die mal wieder um das Thema „Kommunikation“ kreisen. An erster Stelle steht dabei eine männliche Tugend, die immer mehr in Vergessenheit gerät – und im Zuge der Einführung gleich mehrerer neuer Geschlechter wohl bald völlig vergessen sein wird. Eine Kunst, für die es (zu meinem völligen Unverständnis) bisher keinerlei Diplom; kein Studium; nicht einmal einer Lehre oder eines Schulbesuches bedarf, aber die es allein durch die Weisheit des gemeinen Volkes zu Berühmtheit und Ehre schaffte.

Ich spreche von der erhabenen Kunst des Schweigens. Auf Dieter Nuhrisch: Fresse halten.

Für Bekannte meinerseits wohl eher überraschend: aber ich bin durchaus jemand, der ungerne spricht. Jedenfalls, wenn ich nichts zu sagen habe. Kommunikation entspricht meinerseits zu ca. 1% aus Emotion und zu 99% Information. Wenn ich etwas sagen will, dann ist es mir wichtig. Wenn man wissen will, wie ich mich fühle, muss man mich danach fragen. Ich behaupte mal, dass die Mehrzahl der wenigen noch verbliebenen Männer in Deutschland, die noch nicht kommunikativ umerzogen wurden, ganz ähnlich ticken.

Beispiel: wenn jemand am Tisch genau das sagt, was ich denke, dann stimme ich zu. Vielleicht füge ich noch eine zweite Sicht hinzu. Aber ich werde einen Teufel tun, dasselbe zu wiederholen, und sei es nur mit anderen Worten. Gar von mir gemachte Aussagen zu wiederholen, halte ich darüber hinaus für äußerst nervig.

Eine Beobachtung meinerseits geht dahin, dass eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Menschen einfach nur redet. Nun existieren belanglose Gespräche seit dem Zeitpunkt, als die ersten Ackerbauern aufs Feld gingen, ihre Hirse aussäten, und die gelangweilten Damen daheim über die abwesenden Ehegatten schwatzten oder über das völlig angeberische Leopardenfell von Frau Gronz aus der Kieselsteinallee lästerten. Ganz zu schweigen von den ausstaffierten Brustbinden der Frau des Dorfhäuptlings.

Verlassen wir diesen pseudo-wissenschaftlichen Blick historischerseits auf die Entstehung des Dorftratsches. Es könnte mich zu sehr amüsieren.

Mir scheint mittlerweile, dass dieses „Gerede“ unserer Zeit nicht selten seinen Ausgang aus dem paradoxen Phänomen nimmt, dass wir im Zeitalter des globalisierten Dorfes, der ständigen Online-Chat-Community, von Facebook und WhatsApp („WhatsApp? Was ist daran so toll?“ „Das ist ein Instant-Messenger!“ „Also wie ICQ?“ [Pause] „Was ist ICQ?“), von Tinder, Parship und sonstigen Portalen – nicht mehr reden. Damit ist nicht die direkte, flache Sprachkommunikation gemeint – wäre dies der Fall, so bräuchte es diesen Eintrag ja eben nicht! – sondern eine weitaus tiefere Ebene. Mir geht es um Form und Inhalt, nicht um den Austausch per se. Lippen bewegen können auch Wesen ohne Sprachfähigkeiten.

Ein Symptom der neurotischen Gesellschaft der Jahrtausendwende ist das Gefühl der Einsamkeit. Meines Erachtens hat das kein Autor bisher präziser dargestellt als Michel Houellebecq, dessen Hauptcharakter(e) in den Sog der modernen Konsumgesellschaft so hineingeschlungen worden sind, dass ihnen jedwede Identität, jedweder Lebenssinn und zuletzt jedwede Empfindung fehlt; allen voran die Liebe. Der Teufelskreis schließt sich dadurch, dass alles zusammen zum Symptom der großen Einsamkeit führt; die führt zur Suche nach Sein, Sinn und Liebe, endet jedoch fast immer wieder im erneuten Rausch, den unseren Konsumgesellschaft bietet. Ein kurzer Reiz ist aber eben nur Opium, das für eine gewisse Zeit den Geist zu vernebeln vermag, löst aber nicht die tiefgründigen Probleme. Endstation: Einsamkeit.

Warum nun dieser Einschub? Stimmen verschaffen uns das Gefühl, nicht einsam zu sein. Kleine Kinder reden in der Dunkelheit mit sich selbst, um sich zu beruhigen. Ähnlich ergeht es jenen, die sich für erwachsen halten, und ihre innere Leere mit dem Sammelsurium der modernen Kommunikationswelt bekämpfen. Das belanglose Gespräch wird zum Wundheilmittel. Das geschriebene Wort, das früher in langen Briefen ausformuliert wurde, und Seiten füllte, verkommt zu den 140 Zeichen des „Ich tippe, also bin ich (und du auch!)“.

Das große Gebrabbel ist also nichts weiter als: die große Ablenkung.

Wie konnte es dazu kommen? Bereits weit vor dem digitalen Zeitalter entstand die Vorstellung, dass der Mensch ein inhärent kommunikatives Wesen sein müsse. Einzelgänger galten (und gelten) als merkwürdig, als ausgeschlossen. Leute, die wenig sprachen, sowieso. Introvertiertheit ist insbesondere in einer Gesellschaft, die vom schönen Schein lebt, ein Todesurteil. Ruhige, gewissenhafte Arbeit, wie sie im Mittelalter als anständig galt – aus dieser allzu finsteren Zeit der Intoleranz kommt nicht nur unsere Vorstellung davon, dass „Schweigen Gold“ ist, sondern auch die verschiedenen Orden mit Schweigegelübden – ist daher in doppelter Hinsicht überflüssig geworden. Rufen wir uns in Erinnerung, wie alt die Soziologie ist. Und rufen wir uns in Erinnerung, dass, obwohl der „Single“ als das Symbol unserer Zeit gilt, dieser eben nicht gleichbedeutend mit dem Einzelgänger ist. Der moderne Single ist hipp, weltoffen, hat sexuellen Kontakt mit wechselnden Partnern, geht auf Partys und ist immer „up-to-date“.

In der Tat ist der klassische Einzelgänger das genaue Gegenteil des Singles. Der Einzelgänger hat nämlich kein Problem mit der Einsamkeit. Ja, womöglich ist ihm das „Alleinsein“ sogar ziemlich egal. Damit ist der Einzelgänger auch wirklich „frei“, denn er sitzt nicht abends allein, hilflos, depressiv und „einsam“ zu hause, sondern er genießt die Ruhe, er genießt die Stille, er sammelt Energie. Womöglich hat er einen alten Schreibtisch aus dem 18. Jahrhundert, an dem er sitzt, von dem er nur aus dem Fenster blickt und sinniert; er kann aber auch ein Jugendlicher sein, der möglicherweise stundenlang Musik hört, bis am Morgen die Sonne aufgeht, völlig unbeeindruckt von allen Vorgängen draußen in der Welt. Einsamkeit ist subjektiv.

Im Nebenzimmer dagegen könnte der moderne Mensch vor sich hinvegetieren; er geht auf und ab, weil er gerne etwas tun möchte, es aber aus eigenem Unvermögen nicht kann. Er ist Sklave der Umstände seiner Zeit. Bin ich normal? Bin ich schön? Bin ich erfolgreich? Habe ich (genug) Freunde? Er ist mit all den Fragen belastet, die in der sozialen Gemeinschaft eine Rolle spielen, kurz: er ist unfrei, weil er sich vom Zeitgeist erdrücken lässt. Auf dem Sklavenmarkt der Hafenstadt von Facebook sieht er all die anderen Angebote, wie sie sich herausstellen und schick machen. Seht her! 20 neue Selfies von Fabia. Schaut und „liked“ die tollen Erfahrungen, die Balbus macht. Mein spannendes Leben ist so wunderbar, die ganze Welt muss dran teilhaben, auch, wenn ich gerade in der S-Bahn sitze und nichts zu erzählen habe. Ich habe nichts, rein gar nichts, und selbst das preise ich an!

Lob des Schweigens und der Liebe

Damit will ich nicht jene gutheißen, die schweigen, weil sie etwas zu verbergen haben; Menschen, die aus ihrem Herzen eine Mördergrube machen, weil sie nicht wollen, dass man dort die Lügen entdeckt, die ihnen peinlich werden könnten. Jene, die sich im Vagen halten, nicht anecken wollen, aus denen man auch im Gespräch nicht eine Emotion, nicht eine Antwort, oder eine klare Aussage holen kann; ja, die man schütteln möchte, weil sie sich dagegen verwehren sind damit nicht gemeint.

Die Kunst besteht darin, nicht offensiv, sondern defensiv zu schweigen. Man kann anregende Diskussionen führen, ohne in die Verlegenheit zu kommen, auch nur ein einziges Mal nach dem Privatleben zu fragen, oder selbst einen Hinweis darauf zu geben.

Schweigende Menschen können sehr direkt sein, wenn sie Vertrauen fassen und beginnen zu reden. Man muss sich das Vertrauen verdienen; und bekommt erst dann etwas zurück. Auch das steht im Kontrast zur heutigen Kultur der Millionen Freunde, die man per Klick bekommt. Und es ist genau diese Beziehungskultur, die dadurch noch umso mehr gefährdet ist, da sie durch diese Kommunikationsform, welche der Zeitgeist predigt, umso mehr in Verruf kommt.

Mir imponieren jene Menschen der Stille, die, wenn sie sprechen, umso präziser und ehrlicher in ihrer Wortwahl sind… mehr als alle anderen. Ich glaube, ich kann einige davon zu meinen Freunden zählen. Erstaunlicherweise können solche Personen dann durchaus in einen Redefluss übergehen. Vermutlich, weil ihnen die Themen genauso wichtig sind wie mir; weil der Einheitssmalltalk zu lang ist für ein kurzes Leben. Und weil eine unsichtbare Mauer bricht, die erst das gegenseitige Vertrauen zum Bröckeln brachte.

Oft sind es dieselben Menschen, die erst nachdenken, bevor sie sprechen oder handeln. Eben jene, die heute, in dieser Epoche der Hochkommunikation, mit Unverständnis beobachten, dass „Reden an sich“ ein Wert geworden ist. Bei meinen Spaziergängen habe ich bereits einiges an Konversationen am Rande mitbekommen, die nahezu keinerlei Gehalt aufwiesen, sondern einzig der Kundgabe und dem Austausch von Emotionen dienten. Es ist kein Zufall, dass solche Gespräche eher von Lauten geprägt sind als von tatsächlichen Worten.

An dieser Stelle komme ich natürlich nicht um den Eisberg am Horizont dieser Schiffsreise herum, der eines der Minenfelder der menschlichen Kommunikation einschließt: der Konversation zwischen den Geschlechtern.

Ein weitaus größerer Meister hat dazu bereits wissenschaftliche Expertisen vorgelegt. Diese kann ich kaum toppen; und wer Vorarbeit leistet, den zitiere ich, aber den wiederhole ich nicht. Das Grundproblem lässt sich auf die simple Erkenntnis zusammenschweißen: sie will, sie muss reden. Er könnte, muss aber nicht.

Auch in der Beziehung spielt das Gerede eine wichtige Rolle: es übertüncht die wahren Probleme. Viele Dinge werden im wahrsten Sinne „zerredet“. Konversation gilt als Bestätigung des Bandes, auch, wenn es nur Selbstbestätigung ist. Paare sollen miteinander reden; das ist aber – nach meinen Erfahrungen im eigenen Umfeld – selten der Fall, weil Geschwafel nun einmal nichts mit Liebe zu tun hat. Ketzerisch gefragt: muss denn ein Paar wirklich miteinander kommunizieren, wenn es sich wortlos versteht?

Natürlich bin auch ich jemand, der einen Partner zum Reden braucht. Aber viel wichtiger ist doch ein Partner, der schweigen kann. Momente der Stille erfordern Ruhe; Worte zerstören sie. Das klingt in einer Welt, in der Radio oder Fernsehen im Hintergrund laufen müssen, nahezu absurd. Aber so etwas existiert; und man kann nur dankbar dafür sein, dass sich in diesen Menschheit die Schönheit und die Ordnung des Universums offenbaren, die in dem selbstgeschaffenen Chaos unmöglich erscheinen.

Wenn Beethovens Pathétique spielt, dann will ich nur diese absoluten Klänge im Vordergrund wahrnehmen. Ich will, dass die Stille immanent wird, und der Klang des Pianos nicht bloßer Schall, sondern Herzschlag und Geist bestimmt. Selbst der eigene Atem verkommt zur Illusion. Den Blick übernimmt nur noch das geistige Auge.
Wenn sich dann als einziger Eindruck nur noch ihr Atem sich symphonisch dazumischt; ich diesen meine Wangen streifen spüre; ihr Kopf auf meiner Brust liegt; und ich ihren Duft einatme… was brauche ich dann mehr? Und wichtiger: was ist denn Liebe im tiefsten Sinne als Seelenzuhören? Ruhig dazuliegen und zuzuhören… das ist die Vereinigung von Schweigen und Liebe.

Mir kommt der Traum in Erinnerung, den ich vor wenigen Tagen hatte; vielmehr eine Erinnerung an eine Person aus meinem Leben, die vieles inspiriert hat, was ich seitdem getan habe. Es ist nicht viel davon übrig, was in meinem Gedächtnis verblieben ist. Es existierten nur wenige Dialoge, recht bedacht, vielleicht gar keine. Mir bleibt nur ein Satz, ein einziger in Erinnerung, der immer noch nachhallt:

Ich bin froh, dass du da bist.

Mehr braucht es nicht, um meine Seele gesund zu machen. Alles andere ist Gerede.

Marco Fausto Gallina studierte Politik- und Geschichtswissenschaften in Verona und Bonn. Geboren am Gardasee, sozialisiert im Rheinland, sucht der Historiker das Zeitlose im Zeitgeistigen und findet es nicht nur in der Malerei oder Musik, sondern auch in der traditionellen italienischen Küche. Katholische Identität und europäische Ästhetik hängen für ihn dabei unzertrennlich zusammen. Unter den Schwingen des venezianischen Markuslöwen betreibt er seit 2013 sein Diarium, den Löwenblog.

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