Kommunismus Archive - cathwalk.de https://www.thecathwalk.de/tag/kommunismus/ Abendland & Alte Messe Thu, 09 Dec 2021 11:20:58 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.5.2 https://www.thecathwalk.de/wp-content/uploads/sites/2/2017/04/cropped-Logo-The-Cathwalk-transparenter-Hintergrund-150x150.png Kommunismus Archive - cathwalk.de https://www.thecathwalk.de/tag/kommunismus/ 32 32 Robert Spaemann zum Neunzigsten https://www.thecathwalk.de/2017/05/03/robert-spaemann-zum-neunzigsten/?pk_campaign=feed&pk_kwd=robert-spaemann-zum-neunzigsten https://www.thecathwalk.de/2017/05/03/robert-spaemann-zum-neunzigsten/?pk_campaign=feed&pk_kwd=robert-spaemann-zum-neunzigsten#respond Wed, 03 May 2017 11:07:52 +0000 https://www.thecathwalk.de/?p=11118 Eine Hommage von Hannes Kirmse Robert Spaemann hatte eine Wendung vollzogen. Er verstand sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst selbst als Marxist-Leninist, die Ideen des Humanismus und der hegelianischen Dialektik hatten ihn beflügelt und ließen in ihm die Bereitschaft auch zu direkter politischer Betätigung aufkeimen. Die Chimäre einer propagierten Menschheitsbefreiung begann sich aufzulösen, der Schleier […]

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Eine Hommage von Hannes Kirmse

Robert Spaemann hatte eine Wendung vollzogen. Er verstand sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst selbst als Marxist-Leninist, die Ideen des Humanismus und der hegelianischen Dialektik hatten ihn beflügelt und ließen in ihm die Bereitschaft auch zu direkter politischer Betätigung aufkeimen. Die Chimäre einer propagierten Menschheitsbefreiung begann sich aufzulösen, der Schleier des Idealismus zu lüften, als der junge Student der Philosophie, Geschichte und Theologie von dem uferlosen Kommunismus in Rußland erfuhr.

Im Dienste einer aus betuchten Elternhäusern stammenden Söhnen entwickelten Weltidee, zementiert durch eine vermeintliche Notwendigkeit aus dem postulierten linearen Verlauf der Geschichte wurden Millionen von Menschenleben geopfert. Der junge Spaemann muß erkannt haben, daß aus der innerweltlichen Heilsverheißung mit ihrem Anspruch, einen neuen Menschentypus zu kreieren, die dunkelste Dystopie geworden ist, die man sich nur vorstellen kann. Das Ideal wurde zum Trugbild, die ehemals schöpferische Kraft des Geistes zur Zersetzung auf allen Ebenen, der verkündete Sinn des Verlaufs der Geschichte zur absoluten Sinnlosigkeit in der Gegenwart.

Von der Ideologie eines Kulturmarxismus wandte sich Spaemann folglich mit Entschiedenheit ab, um dann aber nicht Kompensation bei einer erneuten, irgendwie andersgearteten Ideologie zu suchen, wie es etwa Horst Mahler getan hat, der als ehemaliges SDS- und RAF-Mitglied zum Rechtsextremen wurde. Nein, Spaemann behielt bei seiner Wendung Maß und ist auch bis heute ein Denker des Maßes geblieben. Seinen für das Denken notwendigen Raum fand er gerade dadurch, daß er fortan zu allen innerweltlichen Verheißungen und Versuchungen den gebotenen Abstand hielt. Dem Revolutionären setzt er das Evolutionäre, das mit Bedacht Gewordene entgegen. – „Wichtig ist, was immer ist.“ – So brachte er es selbst einmal in einem Interview auf den Punkt. Ihm wird es daran gelegen sein, die anthropologische Grundkonstante freizulegen, die uns nicht auf das Aufgehen im Diesseits weist, sondern auf das Jenseits.

Im Menschen ist immer mehr angelegt, als er in der ihm gegebenen Lebensspanne zu verwirklichen imstande wäre. Es ist etwas, das über ihn hinausweist und das die Theologie mit dem Begriff der Gottesebenbildlichkeit beschreibt. In dem Bewußtsein der Notwendigkeit von gewissen Grundkonstanten wurde dann so aus dem einstigen Befürworter der Liturgiereform innerhalb der katholischen Kirche ein Spaemann, der einer vorschnell verordneten Reformierung nunmehr mit Skepsis gegenübersteht und dadurch Martin Mosebach zum Verfassen der bis heute kontrovers diskutierten Schrift „Häresie der Formlosigkeit“ inspirierte. Darüber hinaus wurde er zu einem Apologeten der bis 1996 verbindlichen Rechtschreibung und Sprachregelungen, die einer politischen Korrektheit dienlich sein sollen erteilte er eine klare Absage.

Die Sprache gerät, so stellt Spaemann fest, in einen infiniten Regress, wenn sie Unsagbarkeiten und alleingültige Begrifflichkeiten definieren will, die sich dann abnützten, um wiederum als solche unsagbar zu werden. Ihm geht es auch hierbei vielmehr um das rechte Maß, mit dem wir den Dingen in der Welt begegnen sollten. Durch vorschnelle Eingriffe droht unser vor allem Denken nicht nur sich zu dekontextualisieren, sondern gibt sich einer Banalisierung und Profanierung preis. Was der Philosoph folglich an der heutigen Gesellschaft beklagt, ist ihr Hang zum Aufgehen im Konsumrausch, den Theodor W. Adorno als „Kulturindustrie“ zusammen mit Nationalsozialismus und Kommunismus als weltliche Hölle bezeichnete.

Robert Spaemann ist dabei kein Philosoph, der sich im Wehklagen oder in der Auseinandersetzung mit einzelnen Sachfragen verliert. Sein Werk reicht thematisch weit, fast weiter als die nun vollbrachte Lebensspanne von neun Jahrzehnten. Mit der Moralphilosophie und der Ethik befasste er sich ebenso wie mit der Soziologie oder der politischen Theorie. Es sind mit ihm Werke entstanden, die uns zu wahrhaftig zu denken geben sollten, so etwa der 2011 erschienene vielsagende Titel „Nach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter“. Immer wieder haben ihn Fragestellungen angeleitet wie diese: Was ist der Mensch? Wie tritt er in Erscheinung? Wie ist sein Verhältnis zu den philosophischen Fragen, insbesondere zu den sogenannten „letzten Fragen“ bestimmt? – Die Kunst der Philosophie besteht für Spaemann bereits darin, die treffenden Fragen zu formulieren, um so sonst im Verborgenen bleibende Strukturen aufzudecken.

So ist er ein Mann der offenen Worte, einer, der die Debatte keineswegs scheut und es für eminent bedeutsam erachtet, daß die Philosophie ihre Fragen in die Gesellschaft hineinträgt – als Korrektiv und als retardierendes Moment. Die technische Entwicklung verläuft dermaßen rasant, daß das Menschliche und die Beziehungen unter den Menschen dabei allzu oft auf der Strecke zu bleiben drohen. Spaemann erhob seine gewichtige Stimme immer dann, wenn er diese Bedrohung im Begriffe zu sehen meinte, wahr zu werden: bei der Frage der Euthanisie, beim Schutz des ungeborenen Lebens, aber auch beim Umweltschutz und bei der Tierethik. Den homo mensura-Satz versteht er nicht etwa so, daß der Mensch über alles erhaben sei, sondern, daß er sich auch das notwendige Maß an Vernunft und Selbstgenügsamkeit bewahren muß, um langfristig fortzubestehen.

Es leitet sich daraus für ihn auch die folgende Frage ab: Machen wir den Menschen dadurch besser oder glücklicher, indem wir seine Gegebenheiten beständig dem technischen Fortschreiten anpassen? Spaemann hat die Mythen erkannt, die von der Moderne heraufbeschworen worden sind. Der Mensch muß nicht schritthalten können mit hochgreifenden Glücksutopien, um tatsächlich und wahrhaftig glücklich zu werden. Allzu oft haben sich diese Glücksutopien von selbst als eine ins Leere laufende Nichtigkeit entlarvt.

Bei alledem ist und bleibt das Christentum das tragende Leitmotiv in der Fülle seiner Gedankenwelt, das ihm Rückkopplung und Hoffnung zugleich ist, was u.a. aus seiner durchgängigen Betonung des Naturrechts und der Wahrheitsfähigkeit im Menschen hervorgeht. Er ist aus tiefer Überzeugung Katholik, denn keine andere Institution hat über die Jahrhunderte hinweg eine umfassendere Kenntnis des menschlichen Wesens erlangen können als die katholische Kirche.

Robert Spaemann, der nach Lehrtätigkeit an den Universitäten Stuttgart, Heidelberg und München 1992 emeritiert wurde, ist in der Folge keinesfalls untätig geblieben. Er hat weiter gearbeitet, weiter ersonnen und weitere Fragen angetroffen und angesprochen. Es bleibt zu hoffen, das vielleicht noch die ein oder andere Schrift von ihm folgen und in sein Alterswerk einfließen wird. Doch erscheint er wie bereits einst Heidegger und später auch Gadamer wie ein eherner Erzengel mit dem erforderlichen Maß an Distanz gegenüber dem unmittelbaren Treiben in der Welt. Sein profunder Geist weht in die Welt hinein.

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Das große Missverständnis der Romantik https://www.thecathwalk.de/2017/02/03/das-grosse-missverstaendnis-der-romantik/?pk_campaign=feed&pk_kwd=das-grosse-missverstaendnis-der-romantik https://www.thecathwalk.de/2017/02/03/das-grosse-missverstaendnis-der-romantik/?pk_campaign=feed&pk_kwd=das-grosse-missverstaendnis-der-romantik#comments Fri, 03 Feb 2017 11:00:28 +0000 http://thecathwalk.de/?p=5492 Wollte man die romantische Lyrik des beginnenden 19. Jahrhunderts zusammenfassen und ihr ein Gesicht geben, dann käme der junge Mendelssohn-Bartholdy dem recht nahe. Goethe lernte den Jungen bereits früh kennen, und glaubte darin ein neues Wunderkind vom Schlage Mozarts kennenzulernen. Bereits mit 15 Jahren (!) komponierte Mendelssohn seine erste Sinfonie, die in ihrer Vitalität, ihrem Ungestüm […]

Der Beitrag Das große Missverständnis der Romantik erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Marco Gallina verfasst.

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Wollte man die romantische Lyrik des beginnenden 19. Jahrhunderts zusammenfassen und ihr ein Gesicht geben, dann käme der junge Mendelssohn-Bartholdy dem recht nahe. Goethe lernte den Jungen bereits früh kennen, und glaubte darin ein neues Wunderkind vom Schlage Mozarts kennenzulernen. Bereits mit 15 Jahren (!) komponierte Mendelssohn seine erste Sinfonie, die in ihrer Vitalität, ihrem Ungestüm und purer Energie so einiges davonfegt, was man sonst aus der Romantik kennt. Da braust und stürmt ein Wind durch, wie man ihn vorher nur von Beethoven kannte, vereint mit mozartesquer Leichtigkeit und Heiterkeit.

Schon in den frühen Werken wird jener stürmische Geist deutlich, der sich in ihrer Ruhelosigkeit in Richtung Romantik aufmacht, und dasselbe rastlose Suchen aufweist wie die Sinfonien Beethovens, in denen man stets das Verlangen und den Kampf des Komponisten selbst fühlt; aber Mendelssohn kämpft nicht mit den Noten, er ringt nicht mit der Musik, sondern sie fließt ihm leicht aus der Feder auf das Papier, eben in jener Leichtigkeit, die Mozart auszeichnete. Mendelssohn steht damit einerseits an der Schwelle zwischen den beiden großen musikalischen Epochen, schafft einen individuellen Klang, und ist doch wieder ganz Sinnbild jener deutschen Romantik, mit der man den Vormärz, den Rhein, den deutschen Wald, Eichendorff und die Sehnsucht nach der Natur verbindet. Denn neben dieser aufbrausenden Romantik stehen auch die lyrischen, langsamen, besinnlichen – und rein-heiteren Momente (ohne Schwermut!), die man bei der späteren deutschen Romantik vergeblich sucht. Das Violinkonzert greift diese Elemente auf und vereint sie.

Nicht nur deswegen sind Wagner und Mendelssohn Antipoden jenes faustischen Deutschtums, das heute beinahe vergessen ist. Sie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille, eben zwei Seelen in der Brust der deutschen Musikkultur. Bei Wagner erscheint das Pathos, das Bombastische, das Melancholische, das Tragische in voller Gänze; aber es scheint zugleich, dass keine Wagner-Figur irgendetwas sagen kann, ohne dass es tiefdeutschen Ernst verlangt. Selbst eine Szene beim Bäcker hätte Wagner wohl mit teuflisch-infernalen Klängen unterlegt, zusammen mit einer ausgewalzten Arie über die vielen Gedanken, die den Helden in der Schlange verzweifeln lassen; über den Kummer über das Geld, das er bereits im Kopf vorher zusammenzählt, da er die Preise zusammenrechnet; und zuletzt die heldenhafte Tat – untermalt von Posaunen, Hörnern und brachial-männlicher Stimme – als der Käufer nunmehr an der Reihe ist, „den gar lieblichen Laybe Broth“ verlangt, und dann im Todeskampf ringend wieder aus der Bäckerei auf einem Pferd herausreitet.

Viele sehen Wagner in der Nachfolge Beethovens, Mendelssohn dagegen in der Nachfolge Mozarts. Das ist grundfalsch. Beethoven hatte als Rheinländer Humor. Zumindest ist mir keine Wagner-Ouvertüre oder Wagner-Arie bekannt, in der die Wut über einen verlorenen Groschen eine Rolle spielt.

Aber mit dieser mythisch-deutschen Ernsthaftigkeit, mit diesem tiefen Sinnieren über alle Kummer und Plagen (meist, bevor sie entstehen), und dem Hang zum Großen und Ganzen, „dem Prinzip“ um das es geht, versinnbildlicht Wagner eben jene deutsche Seite, die auch heute über Umwege immer noch das typisch deutsche Bild zeichnen. Dieses Denken „im Prinzip“ drückt sich in handwerklicher deutscher Genauigkeit, beamtendeutscher Paragraphenreiterei, und deutscher Konsequenz aus – letzteres kann zu bahnbrechenden wissenschaftlichen, musischen und technischen Leistungen enden, oder der effizienten Ausrottung ganzer Völker. Das muss man leider mal ganz offen sagen. Was der Deutsche macht, macht er ganz und vollkommen.

Schlimm wäre es, wenn nicht. Jedes Volk hat seine Mentalität und seine höhere Aufgabe. Für die Heiterkeit kann man immer noch ein paar Iren, und für den Humor ein paar Engländer engagieren. Aber bitte nicht beide zusammen.

Was ist nun die Rolle Mendelssohns? Die späteren Romantiker – allen voran der erwähnte Wagner – hatten als Deutsche natürlich ganz genaue Vorstellungen, wie Romantik sein und funktionieren müsste. Mendelssohn passte ihnen da nicht ins Konzept. Der heitere, aller Schwermut entkoppelte Mendelssohn, in dessen Musik das Leben selbst pulsierte (aber eben kein Gedanke daran) erschien seinen Nachfolgern als zu flach. Richtig heiß wurde die Sache, als Wagner die Sache aufs Völkische runterbrach, und Mendelssohn als Vertreter des Judenthums in der deutschen Musik ansah. Jüdische Musik könne nur eine Kopie sein, und eben nicht die Tiefe oder den Gedanken des Ideals fassen, wie es die Deutsche Musik täte.

Da kommen wir wieder an eine typisch deutsche Angelegenheit, die sich quer durch die eigene Geschichte zieht: der Idealismus. Von Luther, der seine eigene Vorstellung vom Christentum hatte („so muss das sein! Und nicht anders!“) über die Weimarer Klassiker und ihren idealistisch-antiken Vorstellungen bis hin zum deutschen Idealismus der Philosophie spielt hier wieder das „Prinzip“ (oder: Prinzipienreiterei?) eine Rolle. Paradoxerweise ist selbst der Materialismus von Marx und Engels ein Idealismus, obwohl er sich im Grunde als genaues Gegenteil verstand – denn auch die Theorie eines „idealen Staates“, der sich am Ende im Kommunismus zeige, ist nun einmal nichts anderes als ein höheres Ideal. Auch hier wieder die faustische Seite des Deutschtums: einerseits brachte dieser Idealismus die Dramen Schillers, Goethes Werke, Beethovens Sinfonien und Kants Geistesflüge hervor; zugleich ist er Urheber des Protestantismus und des Dreißigjährigen Krieges, eines übersteigerten Nationalchauvinismus und letztendlich des Marxismus (einschließlich aller seiner roten und braunen, sozialistischen Nuancen mit ihren jeweiligen Diktaturen). Wie immer haben die Deutschen die Welt mit dem Schönsten, Wahrsten und Besten, sowie der Hölle auf Erden beehrt.

So begingen die späteren Generationen den größten Fehler der Kulturgeschichte, indem sie Mendelssohn von einem Deutschen in einen Juden ummünzten – nichts ist falscher! Denn ebenso wie Heine eben mit seinem Spott, und mit seiner Kritik an Deutschland, den Deutschen und der ewigen Frage, was deutsch sei, das Deutschtum geradezu plastisch auf den Punkt bringt – ist auch Mendelssohn allein in seiner Person ein Sinnbild jenes alten, verwunschenen Deutschlands der Wälder, der Küstennebel, der violettroten Bergsonne am Abend, der Grimm’schen Märchen und der Loreley. Es ist jene Unschuld, jenes Bilderbuchdeutschland, das man als Kind am Abendbett als Geschichte vorgelesen bekommt. In Mendelssohns Musik hört man etwas Reines, Unbefangenes, Unverdorbenes. Das ist jenes geträumte Deutschland, das fern von Fabriken, fern von Ideologie, fern von der Welt ist und das nur in der Sprache seiner Kunst lebt. Die Lieder ohne Worte erinnern daran, dass Deutschlands Musik Deutschlands Seele ist. Sie sind das deutsche Gefühl der Innigkeit.

Kommen wir zu Mendelssohn-Bartholdys Leben, das nichts anderes ist, als das Ideal eines Romantikers aus jener Zeit: geboren in Hamburg am 3. Februar 1809, mit einem berühmten Philosophen als Großvater. Aus jüdischer Familie stammend, aber völlig im christlich-reformierten Glauben aufgewachsen. Sein Talent als Pianist ist bereits früh offenkundig, mit 9 Jahren tritt er zum ersten Mal öffentlich auf, es folgen erste Werke mit 12 Jahren. Der wohlsituierte Hintergrund der eigenen Familie – es handelt sich um Kaufleute und Bankiers – erlaubt ihm diese künstlerische Freiheit. Und er tut das, was alle deutschen Romantiker tun: er reist und besucht Europa, darunter Schottland, das ihm mit seiner wundersamen Erscheinung besonders im Gedächtnis bleibt. Seine berühmte Hebriden-Ouvertüre und seine Schottische Sinfonie sind klangvolle Nachlässe dieser Inspiration, die bis heute das Publikum begeistern. Nach der Aufführung meint Johannes Brahms in schwermütigem Ton: »Alle meine Werke gäbe ich drum, wenn ich eine Ouvertüre wie die Hebriden von Mendelssohn hätte schreiben können.«

Hier wird auch ganz deutlich, wo das Trennende zu Wagner und das Verbindende zu Beethoven liegt; letzterer fand in der Natur ebenso die Vollkommenheit wie die damaligen Romantiker, indes Wagner eher den Sagenstoffen zugeneigt war. Wenn Wagner die Loreley besingt, so ist Mendelssohn der Rhein wichtiger. Da sind sie, die beiden Seiten der Medaille. Und während Wagners Interesse für Italien sich in Grenzen hält, ist der junge Komponist ganz und gar von der Italienromantik gefangen, macht eine Reise nach Florenz auf seiner Grand Tour, und schafft die Italienische Sinfonie, einen Glanzpunkt des sinfonischen Schaffens überhaupt! Die Sehnsucht nach Italien, die ein prägendes Element der deutschen Seele ist, kommt hier stärker denn je zum Ausdruck – für Wagner spielt das Mittelalter seine glänzende Rolle, aber der Romzug, dieses Ritual, das die deutschen Kaiser über Jahrhunderte pflegten, hat für Wagner ebenso wenig Bedeutung wie die Bildungsreisen der Gelehrten.

In seinen späten Jahren ist Mendelssohn-Bartholdy besonders die Pflege der Musik ein Anliegen. Er ist es, der Bach wieder aus den Schubladen hervorkramt, und nach Jahrzehnten des Vergessens wieder salonfähig macht. In Leipzig gründet er das erste deutsche Konservatorium. Er hält Kontakt zu den Größen seiner Zeit – so mit Liszt und Chopin. Alles in allem wird er aber als „Konservativer“ in der Szene beäugt. Seine Freunde sehen ihn daher in Kontinuität zu Beethoven und Mozart; andere halten ihn für einen unoriginellen Komponisten – so eben auch der als „Revolutionär“ geltende Wagner.

Dann, am 4. November 1847, stirbt Mendelssohn mit nur 38 Jahren in Leipzig. Nachdem er wenige Monate zuvor die Nachricht vom Tod seiner geliebten Schwester Fanny erhalten hatte, erlitt er zum ersten Mal einen Schlaganfall, kurze Zeit später einen weiteren. Was mag die Empfindsamkeit, jenes Kernelement der deutschen Romantik, besser repräsentieren, als dieser tragische Tod?

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