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Von Dr. Michael Kunze

Wer Reform will, erneuert das Bestehende mehr oder weniger behutsam. Martin Luther aber stürzte Kirche, Politik und Gesellschaft seiner Zeit um – mit langanhaltenden Folgen, die auch im Jahr des Reformationsgedenkens nachwirken.

Die einen widmeten ihm Denkmäler, die andern sahen dunkle Wolken mit dem Wittenberger aufkommen: Martin Luther wurde und wird für vieles instrumentalisiert, legte dafür aber selbst die Grundlagen. Foto: Michael Kunze

DRESDEN. Martin Luther wollte keine Spaltung der Kirche, sondern sie reformieren. So lautet der Tenor bei Kirchenvertretern oder Politikern im Jahr des Reformationsgedenkens. Auch katholische Theologen wie Dirk Ansorge von der Hochschule Sankt Georgen sind von der Reformabsicht des Wittenbergers überzeugt. Die Wirklichkeit vor 500 Jahren legt aber einen anderen Schluss nahe: Luthers Wunsch nach Kirchenreform war bald nach Veröffentlichung seiner 95 Thesen wider den Ablasshandel erschöpft. Dann betrieb er so aus- wie tiefgreifend Spaltung und Revolution statt Wandel und Erneuerung des Bestehenden. Bei Luthers Tod 1546 war das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ geteilt in ein evangelisches, sich konfessionell weiter zerfaserndes und in ein katholisches Lager. Unzählige hatten den Streit mit ihrem Leben bezahlt – lange vor dem Gemetzel des Dreißigjährigen Krieges.

Der antirömische Affekt lebt weiter

Die religiösen und gesellschaftlichen Konsequenzen bis in Familien hinein währten Jahrhunderte. Ältere kennen noch die mitunter dramatischen Umstände, wenn vor 60, 70 Jahren zum Beispiel eine gemischtkonfessionelle Eheschließung zur Debatte stand. Da haben Eltern Kinder enterbt, sich Familien zerstritten, wurde einander verstoßen. Die Spaltung, die Luther mit Fürstenhilfe einleitete, stellte sich als derart gravierend und nachhaltig heraus, dass es bald 500 Jahre brauchte, um sich Luthers und der Ereignisse des Herbstes 1517 ohne Siegesfeier wider die Altgläubigen in Rom zu erinnern, bei der das katholische Deutschland stets als unsicherer Geselle in nationaler Sache abqualifiziert worden war.

Auch Bismarck hielt das noch so; er ließ wenig unversucht, Katholiken zu unterdrücken – im Kampf gegen Zentrumspartei, Konfessionsschulen, kirchliche Ehe. Der antirömische Affekt hielt sich bis weit ins 20. Jahrhundert. Für eine Vielzahl von Katholiken wirkt er abgeschwächt noch immer, wenn sie sich den Umgang deutscher Medien oder Politiker wie der evangelischen Bundeskanzlerin mit Papst Benedikt XVI. im Zusammenhang mit Holocaustleugner und Ex-Piusbruder Richard Williamson in Erinnerung rufen.

Die politischen Auswirkungen von Deutschlands weltweit einmaliger Spaltung sind das eine, das andere die religiösen. Luther hat die Kirche nicht reformiert; er zwang andere, dies zu tun, nachdem er ihr den Rücken gekehrt hatte und schuf parallel dazu eine neue, die das Gegenteil der katholischen sein sollte. Das wird im Verhältnis zum Papstamt offenbar, das Luther anfangs als Ausdruck menschlichen, nicht aber göttlichen Rechts noch akzeptierte. Es zeigt sich auch darin, welche Rolle Kirche als Institution für Lutheraner spielt. Diese unterscheidet sich grundsätzlich von dem, was sie für Katholiken darstellt. Während sie letzteren als Gottes Werkzeug gilt, mit dem er jetzt, direkt, sichtbar in der Welt handelt, ist sie für Lutheraner organisatorisches Mittel zum Zweck.

Die Katholische Kirche beruft sich für die herausgehobene Stellung des Papstes als Nachfolger des Apostels Petrus auf das Matthäus-Evangelium. Dort stehen Jesu Worte: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.

Weihe verändert das Amt

Alles, was sich daraus ergibt, deutet der Form nach auf Dauer hin, dazu auf hohe Autorität. Darauf fußt die katholische Hierarchie. Diese leitet die Stellung der Bischöfe, deren erster der von Rom ist, aus dem Handeln in direkter Nachfolge der Apostel ab. Jesus selbst hat sie in die Welt gesandt. Durch Handauflegen wurde diese besondere Würde von den Aposteln, dem Zwölfer-Kreis um Jesus, an die Bischöfe weitergegeben. Lutheraner hingegen kennen kein Weiheamt; die Abfolge des Handauflegens ist bei ihnen unterbrochen. Denn Luther ging vom Priestertum aller Gläubigen aus, zu dem jeder Getaufte berufen ist. Die Landesbischöfe sind eine junge Notlösung, entstanden nach Untergang der Monarchien in Deutschland. Bis dahin waren die Fürsten Oberhäupter der Landeskirchen, dazu gab es als deren „Aufseher“ Superintendenten, Bischöfe hingegen nicht.

Der evangelische Pfarrer wiederum leitet eine Gemeinde mit dem aus Laien bestehenden Kirchenvorstand gemeinsam. Er ist durch sein Theologiestudium zwar religiös besonders gebildet, erhält aber keine Weihe (aus der sich weitreichende Rechte und Pflichten ableiten) wie sein katholischer Amtsbruder. Lutheraner ordinieren ihre Pfarrer. Das heißt, sie werden gesegnet und ausgesandt, um Gottes Wort zu verkünden und die Sakramente zu verwalten. Luther war der Überzeugung, dass es vor Gott nicht auf Leistung ankommt, da Erlösung nur als dessen Gnadenakt denkbar ist (dem schließen sich Katholiken heute weitgehend an). So verbiete sich ein Priesterstand, der durch Weihe, Gelübde, Lebensform über anderen Gemeindegliedern steht.

Während das lutherische „ecclesia semper reformanda“ betont, dass sich „Kirche immerfort wandeln“ muss, um Jesu Botschaft zeitgemäß zu verkünden, hebt die Katholische Kirche Kontinuität hervor. Sie fürchtet den Bruch mit der Tradition wie der Teufel das Weihwasser. Immer geht es darum, die große Linie aus der Zeit Jesu bis in die Gegenwart weiter zu zeichnen – auch mal kurvig, doch ohne Unterbrechung. Dem Zeitgeist wird mit Skepsis begegnet. Nicht allein die Schrift, Luthers „sola scriptura“ – nur das, was in der Bibel steht –, dient als Richtschnur katholischen Christseins. Die Bibel ist vielmehr einer von weiteren, wenn auch ein wichtiger Stein des Hauses Kirche. Ihre Entstehung ist dabei selbst Folge eines kirchlichen Traditionsprozesses: beispielsweise von Konzilsbeschlüssen oder Glaubensprüfungen und Erkenntnisprozessen der Kirchenväter, die die Aufnahme der vier Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes ins Neue Testament nach sich zogen, während andere Schriften außen vor blieben (die sogenannten Apokryphen).

Kirchenverständnis gilt als Haupthinderungsgrund für weitere Annäherung

Luther war im Wortsinne Fundamentalist; er warf der Kirche vor, sie habe sich zu weit von ihren Wurzeln entfernt, führende Vertreter hätten sich zu sehr diesseitigen Zwecken ausgeliefert und die Gläubigen gleich mit. Was er am Ablass kritisierte, war die Verknüpfung von weltlicher Leistung, klingender Münze, mit jenseitigem Lohn – getreu dem Motto des Pirnaer Predigers Johann Tetzel: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“ Viele Missstände hat die Katholische Kirche nach und nach abgestellt. Schon auf dem Konzil von Trient (1545-1563), das allerdings Jahrzehnte zu spät kam, wurden grundlegende Reformen eingeleitet.

Diese konnten das sich aus dem unterschiedlichen Kirchen- ergebende abweichende Amtsverständnis bei Katholiken und Protestanten nicht mehr zusammenführen, das heute als Haupthinderungsgrund weiterer Annäherung gilt. Es gibt aber zusätzliche Unterschiede wie die Anzahl der Sakramente. Katholiken kennen sieben dieser sichtbaren Zeichen, die die unsichtbare Wirklichkeit Gottes vergegenwärtigen und die die, denen sie gespendet werden, an dieser Wirklichkeit teilhaben lassen: Taufe, Eucharistie (Kommunion/Abendmahl), Beichte, Firmung, Ehe, Krankensalbung, Priesterweihe. Luther hat nur zwei akzeptiert: Taufe und Abendmahl, auch wenn er die Krankensalbung für einen guten Brauch hielt und die Beichte schätzte. Was beim Abendmahl passiert, deutete er teils abweichend vom katholischen Verständnis.

Was das in der Konsequenz bedeutet, mag eine Begebenheit illustrieren, von der im Januar 2007 der „Wiesbadener Kurier“ berichtete: Dem Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz war seinerzeit in der Heiligen Messe aufgefallen, dass jemand eine konsekrierte Hostie stehlen wollte. Zu Eltz suchte dies zu verhindern. Der Zeitung gegenüber gab er an, den Leib Christi, denn darum handelt es sich nach katholischem Verständnis, notfalls mit seinem Leben zu verteidigen. Währenddessen berichtet der Ökumenebeauftragte der als sehr konservativ geltenden Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Peter Meis, gegenüber dem Autor, dass es in seinem Kirchensprengel den Pfarrern überlassen sei, wie sie etwa mit Wein umgehen, der beim Abendmahl übrigbleibt. „In der Regel wird er weggeschüttet“, sagt er. Nur solche Pastoren, die dem katholischen Verständnis sehr nahe stünden, hielten es anders.

Sakrament, ja oder nein, maß Luther jedenfalls daran, ob ein Zeichen von Jesus selbst eingesetzt worden ist und davon die Bibel entsprechend berichtet. Für ihn galt das nur für die genannten beiden. Auch wenn Meis in der Rückschau von einem „erstaunlichen Reformweg“ der Katholiken spricht, nicht erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, sondern seit Trient, bleiben die genannten großen, maßgeblich von Luther inspirierten Unterschiede, die auch dazu führen, dass es Katholiken beispielsweise (anders als in einem Gottesdienst der Orthodoxen) auf Geheiß der eigenen Kirchenführung nicht gestattet ist, am lutherischen Abendmahl teilzunehmen. Während zudem seit einiger Zeit Frauen in immer mehr lutherischen Kirchen auch jenseits Deutschlands Pfarrer werden können, ist ihnen dies in der Katholischen Kirche verwehrt. Maßstab dafür ist, dass Jesus in den Kreis seiner Apostel nur Männer berufen hat, was die Katholische Kirche gerade nicht als Ausdruck zeitbedingter Benachteiligung von Frauen interpretiert.

Auch wenn in diesem Jahr die Errungenschaften Luthers gewürdigt werden – als Bibelübersetzer, Hochdeutsch-Entwickler, Streiter fürs Selberlesen und Kämpfer wider Korruption in der Kirche –, ändert dies nichts daran, dass er die Kirche („weg von Rom“) und Deutschland selbst gespalten hat. Ausgerechnet letzteres wird selten beachtet, gilt er doch gerade jenen als Leumund, die die nationale Einheit in Abgrenzung zum Anderen entgegen dem allumfassenden, katholischen Prinzip besonders beschwören. Dabei scheiterte Luther mit seinem Ansinnen, eine deutsche Nationalkirche zu schaffen und ein Nationalkonzil einzuberufen. Die Bauernmassen, die sich auf die von ihm proklamierte Gewissensfreiheit beriefen, um auch ihre vielfach prekäre politisch-wirtschaftliche Stellung zu verbessern, ließ er mithilfe seiner fürstlichen Unterstützer totschlagen. Er hielt die Aufrührer für vom Teufel besessen.

Innerkirchliche Reformen trieben statt Luther andere voran

Reformen in der Kirche wollten aber andere, Luthers Zeitgenosse Erasmus von Rotterdam etwa, den Luther beschimpfte. Dabei hatte der sich wortgewaltig mit dem Zustand der Klöster oder der aus dem Ruder gelaufenen Heiligenverehrung auseinandergesetzt: „Wir küssen die Schuhe der Heiligen und ihre schmutzigen Schweißtücher“, schrieb er, „ihre heiligsten und wirksamsten Reliquien aber, nämlich ihre Bücher, lassen wir achtlos liegen.“ Doch der Humanist blieb katholisch, obwohl einige seiner Schriften auf dem Index landeten: „In Luthers Kirche hätte ich eine der Koryphäen werden können“, sagte er, „aber ich wollte lieber den Hass ganz Deutschlands auf mich ziehen, als mich von der Gemeinschaft der Kirche zu trennen.“ Während Erasmus außerdem für die menschliche Willensfreiheit eintrat, verwarf Luther diese. Es kommt so nicht von ungefähr, dass der Wittenberger heute manchen Historikern stärker als Exponent mittelalterlichen Denkens gilt, das er eher fortschrieb, denn als Neuerer – was paradox anmutet angesichts all der Veränderungen, die er bewirkte.

Deutlich wird das zum Beispiel im Teufels- und Dämonenglauben, „dem Luther eine Buchstäblichkeit beließ, die seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr selbstverständlich war“, schrieb der Mittelalter-Historiker Kurt Flasch. Außerdem fordere uns die Luther-Verehrung auf, Doctor Martinus aus seiner Zeit heraus zu verstehen, so Flasch, was als bewährtes Prinzip moderner historiografischer Forschung gilt. Es führt aber mit Blick auf Luther zu zweierlei Maß. Während man ihm oder Begleitern einiges als „mittelalterlich“ oder zeitgebunden („die wussten es nicht besser, das muss man verstehen“) durchgehen lässt, zeigt sich der kritische Betrachter gegenüber (katholischen) Zeitgenossen vielfach weniger nachsichtig. Dass Luther die Doppelehe des wichtigen Verbündeten und Landgrafen Philipp von Hessen rechtfertigte – „diese wüssten wir nicht zu verurteilen“ –, taugt oft nur als Fußnote. Aus theologischer Sicht war das unglaublich. Aber die Zustände in Rom!

Doch Luther wollte den nachhaltigen Bruch mit der „alten“ Kirche, dafür brauchte er Verbündete. Und nur wer sich von Gott persönlich beauftragt wähnt, konnte, wie er im Jahre 1522, sagen: „Wer meine Lehre nicht annimmt, der möge nicht selig werden.“ Das lässt sich nicht auf einen Nenner bringen mit dem „Alle sollen eins sein“, das Jesus selbst im Johannes-Evangelium forderte. Nur Abweichler in den eigenen Reihen verurteilte er rigider als Römisch-Katholisches: Die „Irrtümer“ des Wegbereiters der Reformierten Kirche, Ulrich Zwingli, hielt Luther für siebenmal schlimmer als die der „Papisten“. Dabei hatte auch der Apostel Paulus, den Luther verehrte, einst an die Gemeinde in Korinth geschrieben: „Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, … duldet keine Spaltungen unter euch.“ Vielleicht nicht in erster Absicht, doch in der Konsequenz hatte Luther sein halbes Leben lang an nichts anderem gearbeitet.

Bild: Jakob Gleisberg

Dr. Michael Kunze (*1982) ist Journalist, Autor, Blogger, Zeitzeuge. Beiträge für Hörfunk und Zeitung (u.a. FAZ, FAS sowie Die Tagespost) zu Politik, Kultur/Feuilleton, Wirtschafts- und Wissenschaftsthemen, Lokalem. Interesse an Kunst, Literatur und Mode, klassischer Gitarrenmusik von Hans Neusidler bis John Dowland, Politik, Sakralarchitektur und (katholischer) Theologie. Zuletzt erschien: „Sigmund Neumann – Demokratielehrer im Zeitalter des internationalen Bürgerkriegs“, Berlin 2015.

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Der Ablass – Den gibt’s doch gar nicht mehr! https://www.thecathwalk.de/2016/10/31/der-ablass/?pk_campaign=feed&pk_kwd=der-ablass https://www.thecathwalk.de/2016/10/31/der-ablass/?pk_campaign=feed&pk_kwd=der-ablass#comments Mon, 31 Oct 2016 08:21:18 +0000 http://thecathwalk.de/?p=8513 Von Monsignore Florian Kolfhaus ROM, (CNA Deutsch).- Galileo Galilei habe aus Protest gegenüber der Zensur seiner These, die Erde kreise um die Sonne und nicht umgekehrt, ausgerufen: „Und sie bewegt sich doch!“ Am Ende des Heiligen Jahres, in dem es Papst Franziskus gelungen ist, den Ablass wieder „salonfähig zu machen“, möchte man sagen: „Es gibt ihn […]

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Von Monsignore Florian Kolfhaus

ROM, (CNA Deutsch).- Galileo Galilei habe aus Protest gegenüber der Zensur seiner These, die Erde kreise um die Sonne und nicht umgekehrt, ausgerufen: „Und sie bewegt sich doch!“ Am Ende des Heiligen Jahres, in dem es Papst Franziskus gelungen ist, den Ablass wieder „salonfähig zu machen“, möchte man sagen: „Es gibt ihn doch! Den Nachlass zeitlicher Sündenstrafen.“

Wie in keinem anderen Heiligen Jahr zuvor hat der Heilige Vater nicht nur die Bedeutung der Beichte, sondern auch des Ablasses hervorgehoben, der nicht nur an den Heiligen Pforten Roms, sondern an unzähligen Orten der Welt gewonnen werden konnte. So viele Türen, deren frommes Durchschreiten den Gläubigen Nachlass ihrer zeitlichen Sündenstrafen gewährte. Nie zuvor gab es das in dieser Form! Selbst Sträflinge, denen es ja unmöglich ist, das Gefängnis zu verlassen, erhielten – wiederum dank einer großherzigen Entscheidung des Papstes – beim Überschreiten ihrer Zellentür einen Ablass.

Heute gedenken Protestanten in aller Welt des berühmten, wohl eher legendären Thesenanschlag Martin Luthers. Die heilige Pforte evangelischer Christen ist die Tür der Schloßkirche von Wittenberg. An ihr begann die Reformation, die im kommenden Jahr groß gefeiert werden wird. Und so steht auch in den kommenden Monaten wieder der Ablass im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit vieler Christen und Nicht-Christen.

Der Wittenberger Mönch wollte sich gegen den Missbrauch dieser biblisch fundierten und frühkirchlichen Praxis wenden, beginnt aber schon im Jahr 1517 – später wird das noch viel deutlicher werden – die Mittlerrolle der Kirche zwischen Gott und den Menschen zu kritisieren.

Wieso braucht es eine Gemeinschaft, durch die ich Vergebung finde? Genügt es nicht, dass ich Gott um Verzeihung bitte? Ja, ist es nicht sogar schädlich für meine Freundschaft mit Christus, wenn ich Papst und Priester als Mittler seines Heils brauche? Mit Luthers Kritik am Missbrauch des Ablass hebt seine Zurückweisung der sakramentalen Beichte an, als einzigem ordentlichen Weg der Sündenvergebung und der Kirche als „heilsnotwendige“ Gesellschaft, in die ich durch die Taufe und den Glauben eingegliedert werde.

Jedes Schulkind hört von dem reißerischen Werbespruch der damaligen Ablassprediger: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ Zweifellos war das ein Missbrauch und Ärgernis, das auch von hohen Würdenträgern, etwa dem berühmten Kardinal Cajetan, schon damals kritisiert wurde.

Der Missbrauch einer guten Sache stellt sie selbst nicht in Frage. Niemand würde scharfe Küchenmesser verbieten, obwohl nicht selten damit scheußliche Morde verübt werden. Es kommt auf den rechten und achtsamen Gebrauch an – bei Schneidewerkzeugen nicht weniger als beim Ablass, der ein großartiges Geschenk der Kirche an uns Christen ist.

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“

Wir stehen inmitten zweier Jahre, die uns mit dem Thema Ablass – in seiner katholischen Renaissance während der vergangenen Monate und in seiner bekannten Kritik in den kommenden – konfrontieren werden. Was ist aber eigentlich der „Ablass“, diese scheinbar mittelalterliche Frömmigkeitsform, die längst überwunden schien und doch durch Papst Franziskus in ungeahnter Weise gefördert wurde? Das erste, bereits angedeutete Missverständnis ist die Meinung, ein Katholik könnte durch den Ablass, und das heißt in der Vorstellung vieler Menschen, durch eine bestimmte Summe Geld, die Verzeihung seiner Sünden „erkaufen“. Manche denken sogar, er erhalte dann, falls sein Portemonnaie dick genug ist, einen Freibrief zu sündigen, da er ja immer wieder die Münzen im Kasten klingen lassen kann. Ja in manchen Köpfen herrscht die Vorstellung als könne man sich dann geradezu den Preis ausrechnen, der zu begleichen sei, wenn man dreimal nicht in die Kirche geht, einmal den Ehepartner betrügt und immer wieder mal die Kartoffeln aus Nachbars Acker klaut. – „Macht 89,50 Euro. Als guter Kunde bekommen sie beim nächsten Mal eine schwere Sünde gratis erlassen.“ – So ein Blödsinn!  Eine solche Praxis gab es in der Kirche nie! Vergebung der Sünde geschieht – abgesehen von Notsituationen wie etwa Krieg, Seuche oder auch ein persönlicher Unfall – nur im Sakrament der Beichte. Dazu braucht es aber immer Reue und Bekenntnis. Vergebung gegen Barzahlung – nein, das gibt es nicht.

Ablass? – Was ist denn das?

Leider teilen nicht alle die offensichtliche Euphorie des Papstes, die heilige Pforten, und damit „Tore zum Nachlass zeitlicher Sündenstrafe“, wie Pilze aus dem Boden hat sprießen lassen. Es fehlt an Katechesen und Predigten, in denen man versucht,  Katholiken den Ablass zu erklären und ihnen Möglichkeiten zu geben, ihn häufig und gerne zu empfangen. Die meisten Katholiken haben nur vage, oft auch falsche Vorstellungen von dieser Wirklichkeit. Selbst gute Christen, die oft beichten, fragen sich, warum denn Reue, Bekenntnis nicht genügen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Ein einfaches Beispiel erklärt, warum der Ablass nicht unwichtig und nebensächlich, geschweige denn falsch und überholt ist.

„Und wer bitte bezahlt die Rechnung?“

Peter und Franz sind Freunde, aber eines Tages kommen sie doch in Streit. Erst beleidigen sich die Jungen, dann beginnen sie zu raufen, wälzen sich über den Boden und schlagen zu. Dabei trifft Peter den Franz so unglücklich, dass er ihm einen Zahn ausschlägt. Autsch! Schlagartig endet der Streit und die beiden laufen verärgert nach Hause. Daheim angekommen, bereut Peter seinen üblen Schlag in das Gesicht des Freundes. Er fährt zu seiner Wohnung und bittet um Verzeihung. Er erkennt ohne lange Diskussion an, dass er zu weit gegangen ist, und dass alles schon damit begann, dass er sich wegen einer Kleinigkeit über den Freund geärgert und ihn darum beleidigt habe. Franz lässt sich von diesem Bekenntnis rühren und erkennt die Reue des Freundes an. Mit blutendem Taschentuch vor dem Mund, stammelt er: „Ist schon wieder gut. Freunde?“ – „Freunde!“

Das, was hier zwischen Peter und Franz geschieht, das ereignet sich in der Beichte. Aus Feinden werden wieder die alten Freunde. Gott vergibt. Immer und immer wieder. Freilich bleibt der Schaden, die Folge der Sünde – in unserem Fall – der ausgeschlagene Zahn. Peter begleitet seinen neu gewonnenen, alten Freund zum Arzt, der die Sache recht schnell in Ordnung bringt.

Wer bezahlt aber nun für die medizinische Hilfe? Eigentlich muss Peter dafür bezahlen, aber so viel Geld bringt er nur bei monatelangem Sparen seines Taschengeldes zusammen. Nehmen wir an, er erzählt die Geschichte ehrlich seiner Mutter, die – als sie sieht, dass Peter schon „gebeichtet“ hat und ehrlich bereut, was er getan hat – sofort bereit ist, die Rechnung zu übernehmen und den Schaden im Namen ihres Sohnes wieder gut zu machen. Freilich stellt sie eine kleine Bedingung: Peter muss als Strafe – er soll ja doch auch irgendwie spüren, dass das kein harmloser Vorfall war, bei dem man mal ein Auge zudrücken kann – einen Monat lang den Müll raustragen. Peter atmet erleichtert auf: „Gerne mach ich das! Das hätte viel schlimmer für mich ausgehen können.“

Sünden provozieren kein schlechtes Karma, aber haben Konsequenzen

Was hier beschrieben wird, ist der Ablass, der Nachlass zeitlicher Sündenstrafen. Alles, was wir tun, hat Folgen – für die schlechten müssen wir geradestehen. Weil wir das aber oft nicht schaffen, greift „Mutter Kirche“ ein. Sie bezahlt für uns aus dem „Schatz der guten Werke Christi und der Heiligen“. Das Bankkonto dieser Frau ist voll – wieder einmal scheint sich alles „nur“ um’s Geld zu drehen! – weil sie so viel von Christus, Maria, den Aposteln und allen Heiligen bis heute geerbt hat mit dem Auftrag, damit Gutes zu tun. Die Kirche, das heißt in der Regel der Papst, verfügt über dieses Konto und teilt davon an alle aus, die darum bitten, das heißt einen Ablass gewinnen wollen. Freilich erwartet sie eine geradezu symbolische Gegenleistung, ein „kleines“ gutes Werk, einen Pfennigbetrag, den wir auf ihr Konto – man könnte auch sagen das Solidaritätskonto – aller Christen einzahlt. Einen vollkommen Ablass, also die volle Übernahme der Folgen meiner Sünde, gibt es daher nur unter fünf Bedingungen:

  1. Beichte – und das bedeutet, wie schon gesagt, Reue und Bekenntnis.
  2. Kommunion – ich muss zu Jesus laufen bzw. ihn zu mir einladen, damit die alte Freundschaft neu und vielleicht sogar noch stärker wieder auflebt.
  3. Freiheit von der Anhänglichkeit an jede Sünde – selbst einer lässlichen. Der Ablass begleicht meine Schulden. Jetzt darf ich keine kleinmütigen Kompromisse machen. Selbst 50 Cent einem Millionär aus dem Geldbeutel zustehlen – sicherlich keine schwere, aber doch eine kleine, lässliche Sünde – muss ich radikal ablehnen. Das ist der schwerste Punkt, an dem besonders deutlich wird, dass der Ablass keine billige Gnade, sondern tiefgreifende Aussöhnung und Wiedergutmachung bedeutet.
  4. Gebet nach Meinung des Heiligen Vaters – Der Papst verwaltet das „Bankkonto der Heiligen“. Er teilt im Ablass davon aus und bittet, gleichsam als kleine Gegenleistung, dass man, in der Regel ein Vater unser und ein Ave Maria, in seinen monatlich bekanntgegeben Anliegen betet. Diese muss man nicht kennen, sondern es genügt „in der Meinung des Heiligen Vaters“ zu beten)
  5. Ein gutes Werk – Das ist die kleine „Strafe“, die die Mutter zur Besserung auferlegt). Solche Werke sind zum Beispiel den Rosenkranz in Gemeinschaft beten, eine halbe Stunde Bibellesen, eine halbe Stunde Anbetung, etc. Oder wie im Heiligen Jahr das Durchschreiten einer Heiligen Pforte. An Allerseelen und den folgenden acht Tagen kann ein Ablass, allerdings nur für die Verstorbenen, gewonnen werden, wenn man als „gutes Werk“ einen Friedhof besucht, und dort für die Seelen der Verstorbenen betet.

Weder Hölle, noch Himmel – ein „Vorzimmer“ zur ewigen Seligkeit

Der Ablass ist die Vergebung zeitlicher Sündenstrafen. Was heißt das? Die Folge der schweren Sünde ist die ewige Trennung von Gott. Das nennen wir „Hölle“. Die Beichte befreit uns von der schweren Schuld und dieser entsetzlichen Konsequenz, das heißt mit der Absolution erlischt auch die ewige Strafe. Es bleibt eine zeitliche Strafe, das heißt eine Folge der Sünde, die irgendwann wieder gut gemacht ist; sei es in diesem Leben, in dem ich mich bemühe als guter Christ zu leben; oder im anderen, das heißt im Fegefeuer. Dort freilich kann der Mensch aktiv nichts mehr für sich tun. Er wird gereinigt. Die Lebenden können aber, so glauben wir Katholiken, den Seelen der Verstorbenen durch unser Gebet und auch durch den Ablass helfen. Wir sind nicht völlig von unseren Lieben getrennt, denn der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, so Jesus selbst, ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten.

Katholiken können singen „We are family“

Für Martin Luther steht der Mensch allein vor Gott. Für uns Katholiken stehen neben uns die Engel und Heiligen im Himmel aber auch die Menschen auf Erden, die für uns beten. Die „Freiheit eines Christenmenschen“ von allen Mittlern, ist nur schwer durchzustehen und kann manchmal zur schmerzhaften Einsamkeit werden. Die Kirche aber ist eine Familie, deren Mitglieder füreinander einstehen. Sie ist eine Solidargemeinschaft, ein Leib, wie der heilige Paulus sagt, in dem alle leiden, wenn einer leidet; alle sich freuen, wenn einer sich freut. Unsere Gebete sind oft im Plural, weil wir immer mit und für unsere Brüder und Schwestern vor Gott stehen. Diese Dimension wird im Ablass deutlich. Er ist die Versicherung, in die alle einzahlen, und diejenigen davon profitieren, die aufgrund ihrer Sünden und Fehler in Not geraten.

Was ein Ferrari in der Waschstraße mit dem Fegefeuer zu tun hat

Der heutige Reformationstag – Luther wählte bewusst den Vorabend des Allerheiligenfestes, an dem zahlreiche Menschen zum Gottesdienst strömten und damit an der Kirchentüre Halt machten, um seine Thesen zu lesen –  mehr aber noch der 2. November als der Gedenktat „Allerseelen“, das heißt all jener, die sicher in den Himmel kommen werden und dann zu allen Heiligen gehören, jetzt aber noch im Fegefeuer leidvoll erkennen, erinnern uns an den Ablass. Er ist das große Geschenk der Kirche an ihre Kinder, die sie um Hilfe bitten. Wir müssen es nicht alleine schaffen, wieder alles in Ordnung zu bringen. Freilich versteht man ihn nur, wenn man an die Realität des Fegefeuers glaubt, in dem die Seelen schmerzvoll leiden, weil sie angesichts der Schönheit Gottes, all die vielen Flecken erkennen, die sie noch beschmutzen. Das tut weh.

Stellen Sie sich vor, ihr kostbares Auto, ein prächtiger Ferrari, der vollkommen verdreckt ist und daher unmöglich als „Hochzeitswagen“ genutzt werden kann; nein, besser noch – ein Auto empfindet keinen Schmerz – Sie selbst wären voller Ölflecken. Unmöglich, so zu seiner eigenen Hochzeit zu gehen. Kein Wasser, keine Seife, nichts in Sicht. Sie „müssen“ selbst in die Autowaschanlage, in der die harten Bürsten und die brennende Seife sie sauber reibt. Ein hinkender Vergleich, aber es geht darum, dass diese Reinigung im Fegefeuer notwendig (wie sollte man sonst zum Fest gehen?), leidvoll und passiv ist, das heißt die Seele nichts mehr für sich selbst tun kann. Sie kann sich nicht selbst waschen, aber doch erträgt Sie „gerne“ die schmerzhafte Prozedur, um endlich sauber zum Hochzeitsmahl gehen zu können. Sie werden „gefegt“, besser gesagt, gereinigt.

Wir können den Seelen der Verstorbenen helfen. Die „armen Seelen“ können nichts mehr für sich selbst tun. Sie sind Bettler, die von unseren Gebeten profitieren. Sie werden gerettet, wie der heilige Paulus über das Fegefeuer sagt, aber nur wie durch Feuer hindurch (vgl. 1 Kor 3, 12).

Beten wir für die armen Seelen in diesen Tagen, damit sie – die sicher in den Himmel kommen werden – auch für uns vor Gott eintreten. „We are family“ – eine große Familie, die auf Erden streitet, im Fegefeuer leidet und im Himmel triumphiert und feiert.

 

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Das Konzil zu Calzedonia (1/2) https://www.thecathwalk.de/2016/06/13/das-konzil-zu-calzedonia-12/?pk_campaign=feed&pk_kwd=das-konzil-zu-calzedonia-12 https://www.thecathwalk.de/2016/06/13/das-konzil-zu-calzedonia-12/?pk_campaign=feed&pk_kwd=das-konzil-zu-calzedonia-12#respond Mon, 13 Jun 2016 14:00:05 +0000 http://thecathwalk.de/?p=5151 Die ikonoklastische Hypermoralisierung Deutschlands im Sommer 2015 (revisited) – Teil 1 Der Sommer 2015 wird in die Geschichte eingehen; ebenso wie der „summer of love 1967“ und das „Sommermärchen“ von 2006. Und so wie im blutigen Fanal des Rock-Konzerts von Altermont 1969 die Flower-Power-Träume von 67 wie Seifenblasen platzten und sich 2006 – passend zur […]

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Die ikonoklastische Hypermoralisierung Deutschlands im Sommer 2015 (revisited) – Teil 1

Der Sommer 2015 wird in die Geschichte eingehen; ebenso wie der „summer of love 1967“ und das „Sommermärchen“ von 2006. Und so wie im blutigen Fanal des Rock-Konzerts von Altermont 1969 die Flower-Power-Träume von 67 wie Seifenblasen platzten und sich 2006 – passend zur UEFA-Euro – gerade als FIFA-Märchenstunde entpuppt, tut man gut daran, die Verheißungen und Konfliktlinien des Sommers 2015 aus der saisonal naherückenden Distanz von einem Jahr noch einmal in den Blick zu nehmen; wir werden noch länger mit ihnen zu tun haben. Be sure to wear some memories in your head… .

Katalog-Calzedonia-Badeanzüge-2015
Quelle: Caledonia Beachwear 2015

von Martina Rettul

2015 war ein Sommer unter mehr oder weniger offen erkennbaren eminent moral-theologischen Vorzeichen, die, teils banal, teils hochpolitisch, noch einmal zu dechiffrieren sind. Wir unterlassen an dieser Stelle Betrachtungen zur „heilsgeschichtlichen Mission der Kanzlerin“ (Christian Geyer, FAZ), zur willkommens-kulturellen Ebene (dazu an anderer Stelle mehr), sondern wenden uns vermeintlich Banalem zu, dem nichtsdestotrotz in nuce alles Wesentliche eingeschrieben ist.

Zu besichtigen ist in beiden Fällen die Hypermoralisierung der deutschen Gesellschaft auf der Zielgerade der Lutherdekade. Nicht von ungefähr: denn das Erbe der Reformation ist Moral; war es von Anfang an, obwohl sich Luther ja eigentlich aller Moral (der guten Werke) entledigen wollte. Man könnte auch sagen: „dumm gelaufen“.

Eine Bewegung, die die „Freiheit des Christenmenschen“ „allein im Glauben“ predigte, dann aber recht umstandslos u.a. auch ein kulturelles Massaker an liturgischen Bildern verübte und ein Verbot von Musik und Tanz in Calvins Genf auf die Zeitschiene setzte, sollte man heute nicht mit der schaumsprachigen Rede von der „Kirche der Freiheit“ durchkommen lassen, auch nicht mit den hehren „Anliegen“ und „guten Absichten“ der reformatorischen Trotzköpfe, sondern sie zum Nennwert nehmen: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, heißt es; an ihrer „öffentlichen Theologie“ (EKD), vulgo: ihrer Moralisierungskompetenz, wäre heute hinzuzufügen.

These: Nur das Dogma hat Ermöglichungs-Potential, nur Dogmatik setzt frei. Kein Dogmatiker ist Moralist und umgekehrt. Auch Nietzsche wußte das. Nur der Moralist verurteilt, der Dogmatiker nie (wenn er seinen grenzgängerisch-normativen Job kann). Ein Blick in das lesenswerte Buch von Christoph Möllers über Die Möglichkeit der Normen könnte das hier gemeinte vertiefen, wobei dann deutlich würde, daß die protestantische Rede von der „katholischen Doppelmoral“ intellektuell noch nie besonders tiefschürfend gewesen ist. „Denn nur da wo Normen gebrochen werden können, bewahren sie ihre Normativität. Und nur da, wo Normen operieren, können wir über das hinauskommen, was wir ohnehin sind.“ (Möllers S.456)

Da das protestantische Paradigma tief ins katholische Selbstverständnis eingedrungen ist, sind die hier angesprochenen Konfliktlinien natürlich nicht mehr entlang von Konfessionsgrenzen zu verorten sondern nurmehr an einer Mentalität, die entweder eine lateinisch zivilisierte ist oder eine im Kern differenzfeindliche – eine barbarische; ihr ist ihre gute Gesinnung alles.

Die vermeintlich banale Ebene: Die Calzedonia-Plakate hängen wieder. Andere auch. Wie jedes Jahr. Noch. Der deutsche Justizminister Heiko Maas wird ihnen wahrscheinlich bis 2017 von Amts wegen den anti-sexistischen, ikonoklastischen Garaus gemacht haben und sich u.a. auch damit als Exekutor der „öffentlichen Theologie“ der EKD erwiesen haben. Interessant daran: Heiko Maas 2016 ist der Widergänger des Psychiaters und Buchautors Manfred Lütz 2015. Maas: der neue – weitaus besser angezogene – Lütz.

Wir erinnern uns in einem theologisch-ästhetischen Rückblick auf den Sommer 2015 an das dogmatische Potential von Hotpants, Thigh-Gaps und Veggie-Würstchen und den hochsommerlichen, ikonodulen Triumph von Heidi Klum über den grillenden Bilderstürmer Manfred Lütz; an einen Sieg der ästhetisch-dogmatisierenden Hierarchie, der mit dem zeitgleichen Triumph der politisch-moralisierenden Obrigkeit – der Entgrenzungs-Agenda Angela Merkels 2015 – allerdings teuer bezahlt wird.

Vorab grundsätzlich: Was ist ein Modediktat, ein Must Have? Was sind Stilvorgaben, Essentials, Dresscodes, Key Pieces, oder auch der Bodymass-Index (BMI) eigentlich anderes als dogmatische Entscheidungen über Maßstäbe und Grenzen? Getroffen von Hohen Priestern und Priesterinnen des Metiers, die allesamt eine gleichsam apostolische Sorge tragen für den guten Geschmack, den festen Glauben an die saisonalen Farben und Schnitte und die ihr Leben weihen der verzehrenden Suche nach einer Ikonographie des schönen Scheins, der uns allen zur ästhetischen Orientierung dienen soll.

Welche andere Mentalität als eine zutiefst dogmatische – also katholische – sollte Verständnis aufbringen für diese Art der geistlichen Leitung? Fashion-Victims sind also „anonyme Katholiken“. Man sollte ruhig öfter bei Karl Rahner nachschlagen.

Alles Geschmackssache? Keinesfalls! Mode ist nur im protestantischen Kontext Geschmacksache, eine Frage der individuellen Gesinnung. Zumeist mit der textilen Maßgabe: praktisch, tragbar, schick. Auch gerne bei der Arbeit im Büro. Das katholische Kontrastprogramm hingegen lautet: unpraktisch, untragbar, unschicklich. Wenn´s sein muss auch gerne im Büro. Hier wäre Max Scheler hinzuzuziehen, der die Heiligung der Arbeit als den eigentlichen protestantischen Gottesdienst zu diskreditieren verstand und das katholische „gute Leben“ wesentlich als ein after-work-Geschehen avant la lettre zu beschwören wusste; ein Leben, das zu feiern ist, gerade weil es endlich ist.

Es liegen einfach Welten zwischen dem mündigen, auf Autonomie pochenden „hab ich alleine selber ausgesucht“, (wohl auch alleine an-gezogen) „und ich fühl mich wohl darin“ im Geiste der reformatorischen „soli“ und Luthers „pro me“ und der Nachfolge einer dogmatisierten Idee von Fleischwerdung, im Spannungsfeld von Verhüllung und Enthüllung, von Vergebung und Verführung: einem gerne-aus-gezogen-werden – durch und für andere.

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Sexistische Werbung? „So müsst Ihr nicht aussehen!“ Unbekannte beschmieren Calzedonia-Plakate in Köln

Sich in die Nachfolge eines Modediktates zu begeben bedeutet immer, Anteil nehmen an der saisonalen Objektivierung von Ideen, die nicht die eigenen sind, die sich aber anverwandeln lassen. Dies ist der katholische Glut-Kern einer jeden Mode: Raffinesse, Differenzierung, Ambivalenz und Tradition machen ein Angebot des Aufgehobenseins im überzeitlichen Strom des Schönen-Scheins, der zu feiern ist – mit Haltung und Stil. Es ist das „Geheimnis des Glaubens“ an überzogene Ideale, die verkörpert werden können. Ein katholisches Mode-Verständnis bedeutet, um dieses Überzogene zu wissen, es schön zu finden und die eigene, individuelle Abweichung damit augenzwinkernd in Einklang zu bringen. Was im Mode-Diskurs oft fehlt, ist dieses augenzwinkernd paradoxale, bei aller Ernsthaftigkeit immer auch distanzierte Verständnis. Nichtdistanz ist evangelisch. Mode geht im Grunde nur katholisch. Ansonsten droht eine Moral der Kleiderordnung, ein Terror der Authentizität mit dem Zwang zu fair gehandelte Klamotten, Sackleinen und Übergrößen, gerne auch zu Outdoor-Textilien. Gott, bewahre!

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Fortsetzung folgt.

Der Beitrag Das Konzil zu Calzedonia (1/2) erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von The Cathwalk verfasst.

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Der Mantilla-Wahn (1/3) https://www.thecathwalk.de/2016/05/25/der-mantilla-wahn-13/?pk_campaign=feed&pk_kwd=der-mantilla-wahn-13 https://www.thecathwalk.de/2016/05/25/der-mantilla-wahn-13/?pk_campaign=feed&pk_kwd=der-mantilla-wahn-13#comments Wed, 25 May 2016 06:00:33 +0000 http://thecathwalk.de/?p=4672 Warum Kopftücher zu einem katholischen Life- und Faithstyle gehören, war im Beitrag "Die Mantilla - Einfach Spitze" zu lesen. Als Debattenmagazin holen wir nun in einer dreiteiligen Serie zum fundierten Gegenschlag aus. Ist die Frau kein Ebenbild Gottes? Von Hanna Maria Jüngling In den letzten Jahren tobt auf dem Traditionalisten-Schlachtfeld der Kampf um einen speziellen […]

Der Beitrag Der Mantilla-Wahn (1/3) erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Cathwalk verfasst.

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Warum Kopftücher zu einem katholischen Life- und Faithstyle gehören, war im Beitrag "Die Mantilla - Einfach Spitze" zu lesen. Als Debattenmagazin holen wir nun in einer dreiteiligen Serie zum fundierten Gegenschlag aus.

Ist die Frau kein Ebenbild Gottes?

Von Hanna Maria Jüngling

In den letzten Jahren tobt auf dem Traditionalisten-Schlachtfeld der Kampf um einen speziellen Kommunion-Schleier für katholische Frauen, die „Mantilla“.

Ich muss sagen, dass ich, bevor ich mit Traditionalisten in Berührung kam, noch nie von einer „Mantilla“ gehört habe. Dieses Accessoire gab es hierzulande noch niemals, wurde von niemandem verlangt und auch niemals offiziell vorgeschrieben. Ich habe diesbezüglich viele einheimische hochbetagte Katholiken, darunter auch Priester, befragt. Es ist definitiv niemals „Tradition“ gewesen.

Fast alle betagten, keineswegs progressiven Frauen reagierten mit dem Satz „Mantilla – was ist das?“

Und auf die Beschreibung hin, dass es sich um durchsichtiges Spitzentuch handle, das Frauen in der Hl. Messe tragen sollten, um eine besondere Frömmigkeit zur Schau zu stellen, schüttelten sie den Kopf und sagten, davon hätten sie noch nie gehört. Allenfalls könne es sein, dass solche Bräuche in Südeuropa üblich seien und bei Papstmessen vielleicht, aber hier in Deutschland? Eine weit über Achtzigjährige wusste, dass das die „Lefebvristen“ eingeführt hätten, dass man das aber in ihrer Kindheit unter Pius XI. und XII. niemals so gehandhabt hätte.

Nun wird aber in den letzten beiden Jahren eine so penetrante Propaganda für dieses Tuch gemacht, als sei das eine “Tradition“, die „immer“ und überall gegolten habe und vorgeschrieben gewesen sei und aus „feministischen“ Gründen verweigert werde. Es ist auffallend, dass derselbe Kampf prinzipiell auch im Islam und verschiedenen protestantischen Sekten und evangelikalen Freikirchen tobt. Als Bestätigung für die Richtigkeit dieses Tuchs verweist man auf die orthodoxe Praxis – als ob uns die schismatische Orthodoxie hier etwas zu sagen hätte oder gar der ohnehin aus katholischer Sicht häretische Protestantismus! Ganz zu schweigen vom Islam.

Ein Thema, das seit Jahrhunderten die katholische Kirche nicht berührt hat, soll nun plötzlich eine solche Wichtigkeit haben?

Angesichts einer solchen neuen Mode, die nun zur Tradition erkoren wird, sollten doch jedem nüchtern denkenden Menschen alle Alarmglocken schrillen.

Die Mantilla-Fraktion führt einen penetranten Stellvertreterkrieg auf ungezählten Internetforen, auf Blogs und in informellen Gesprächen, und fährt die verrücktesten und zweifelhaftesten Argumente auf, um Frauen einzuflößen, ihre bisherige Aufmachung in der Hl. Messe sei nicht „traditionell“ genug. Tatsache ist und bleibt jedoch, dass in den letzten Jahrhunderten diese Angelegenheit in der Gesamtkirche kein Thema war. Regionale Gebräuche mag es gegeben haben, aber sie können niemals als Forderung an alle erhoben werden, wenn das Lehramt niemals eine solche spezielle Forderung erhoben hat und auch mit den allgemeineren Kleidervorschriften nicht all zu streng umgegangen war.

Ich will mich zunächst mit der immer wieder aufgestellten Behauptung, der Apostel Paulus habe das Gebetstuch vorgeschrieben, befassen und danach einige der haarsträubendsten Begründungen für die „Mantilla für alle“ näher ansehen. Ein besonderes Augenmerk soll auf das mittelalterliche Decretum Gratiani gelegt werden, denn Gratian behauptet in diesem kirchenrechtlichen Werk doch tatsächlich, die Frau solle ihren Kopf bedecken, weil sie kein Ebenbild Gottes sei, und er geht dabei so weit, eine Stelle aus einem Paulusbrief regelrecht zu fälschen, indem er einige Worte des Vulgata-Textes austauscht.

Der heilige Paulus habe angeblich den Schleier für die Frauen vorgeschrieben, wenn sie beten.

Hier stellt sich sofort die Frage, wieso dann, wenn das so sein sollte, das Lehramt seit Jahrhunderten darauf keinen gesteigerten Wert gelegt habe? Diese Frage wird in aller Regel damit beantwortet, dass Papst Linus, der zweite Papst, in einem Schreiben, dessen Echtheit umstritten ist, den Frauen einen Gebetsschleier vorgeschrieben habe.

Abgesehen von der Umstrittenheit der Echtheit kommt mir unweigerlich die Frage hoch, seit wann für uns maßgeblich ist, was ein Papst von Anno dazumal vorgeschrieben hat, handelt es sich dabei doch weder um eine Glaubens- noch um eine echte Sittenfrage…ich dachte, niemand dürfe alte Verordnungen („proxima-Regeln“) von Päpsten gegen neuere Gepflogenheiten ausspielen? Ist die „Tradition“ hier etwa anti-traditionell und macht es wie die Progressiven und Protestanten und zieht aus den Tiefen der Kirchengeschichte nebensächliche oder inzwischen aufgegeben Ansichten, die für den Glauben selbst keine Bedeutung haben, oder nicht weiter verfolgte Bräuche aus den Truhe, erklärt sie zu „urchristlichen“ Wahrheiten und will damit die jüngste Tradition (die regula fidei proxima) stürzen?

Ich sehe mir die Stelle im 1. Korintherbrief an und muss gestehen, selten eine auf den ersten Blick so verworrene und in sich unlogische Schriftstelle gelesen zu haben – wenn man sie rein normativ und nicht als eine erörternde Darlegung liest.

Man findet diese einzige themengebundene Schriftstelle (alleine das verweist schon auf die relative Bedeutungslosigkeit des Themas) im Korintherbrief (1. Kor. 11, 2 ff). Ich markiere den Text bereits so farbig, wie ich ihn als eine Erörterung verstehe und werde das genau begründen:

  • 2.[Vers] Ich lobe euch, dass ihr in allem an mich denkt und an den Überlieferungen festhaltet, wie ich sie euch übergeben habe.

  • 3. Ihr sollt aber wissen, dass Christus das Haupt des Mannes ist, der Mann das Haupt der Frau und Gott das Haupt Christi.

  • 4. Wenn ein Mann betet oder prophetisch redet und dabei sein Haupt bedeckt hat, entehrt er sein Haupt.

  • 5. Eine Frau aber entehrt ihr Haupt, wenn sie betet oder prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt. Sie unterscheidet sich dann in keiner Weise von einer Geschorenen.

  • 6. Wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen.

  • 7. Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes.

  • 8. Denn der Mann stammt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann.

  • 9. Der Mann wurde auch nicht für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann.

  • 10. Deswegen soll die Frau mit Rücksicht auf die Engel das Zeichen ihrer Vollmacht auf dem Kopf tragen.1

  • 11. Doch im Herrn gibt es weder die Frau ohne den Mann noch den Mann ohne die Frau.

  • 12. Denn wie die Frau vom Mann stammt, so kommt der Mann durch die Frau zur Welt; alles aber stammt von Gott.

  • 13. Urteilt selber! Gehört es sich, dass eine Frau unverhüllt zu Gott betet?

  • 14. Lehrt euch nicht schon die Natur, dass es für den Mann eine Schande,

  • 15. für die Frau aber eine Ehre ist, lange Haare zu tragen? Denn der Frau ist das Haar als Hülle gegeben.

  • 16. Wenn aber einer meint, er müsse darüber streiten: Wir und auch die Gemeinden Gottes kennen einen solchen Brauch nicht.

Diese Stelle ist in der Argumentation, wenn man sie nicht strukturiert liest, mehrfach gebrochen und unlogisch und stünde außerdem im krassen Widerspruch zu allem, was wir über israelitische Normen aus dem Alten Testament wissen – und das kann man gerade beim heiligen Paulus nicht annehmen, denn er war ein Schriftgelehrter:

Die markierten Verse 2+3 kann man als Einleitung verstehen. Der Apostel lobt die korinthische Gemeinde für ihren Eifer, beginnt aber gleich mit dem Thema, das er behandeln will, einer Reihenfolge. Auf den ersten Blick erscheint sie wie eine Hierarchie, auf den zweiten Blick aber muss man innehalten und zugeben, dass in Vers 3 ein Stolperstein steckt, den niemand, ohne häretisch zu argumentieren, außer acht lassen darf (s.u.).

Schon Vers 4 ist merkwürdig und mutet absurd an, wenn man sich vergegenwärtigt, was im damaligen Judentum üblich war und was die Schrift uns im Alten Testament über den Mann und seine Kopfbedeckungen überliefert:

Es war nach jüdischer Auffassung eben gerade KEINE Schande für den Mann, verhüllt zu beten, sondern sogar üblich, dies zu tun – bis heute ist das im Judentum so.

Wir finden durchweg die Kopfverhüllung gerade der heiligsten Männer in Israel, wenn sie mit Gott reden:

Moses muss beim brennenden Dornbusch zwar seine Schuhe ausziehen, aber sein Gesicht verhüllen:

Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.“ (Ex. 3, 5f)

Auch der Prophet Elias verhüllt in der Gottesbegegnung sein Gesicht:

Er verhüllte sein Gesicht mit dem Mantel, ging zum Eingang der Höhle zurück und blieb dort stehen. Und noch einmal wurde er gefragt: Elia, was tust du hier? Wieder antwortete Elia: Ach Herr, du großer und allmächtiger Gott…“ (1. Könige 19, 13f)

Es ist also vollkommen abwegig, zu glauben, der heilige Paulus, der doch ein Schriftgelehrter und Gesetzeslehrer war, könnte entgegen den Vorschriften und Phänomenen so argumentiert haben, wie er es in diesem Vers 4 referiert!

Da die besagte Stelle häufig auch so verstanden wurde, als dürfe der Mann keine langen Haare tragen, möchte ich auch darauf eingehen:

Mehrfach wird im Alten Testament über bartlose und geschorene Männer unter den Heiden ein hartes Urteil gesprochen. Im Gesetz des Moses ist das Abscheren der Haare rundum sogar verboten (daher die sehr langen Schläfenlocken der gläubigen Juden) und der Bart darf nicht gestutzt werden!

Weiterhin war es sogar das Zeichen des Gottgeweihten (Nasiräer), dass er besonders lange Haare trug – als Mann! Und auch von Paulus selbst wird uns berichtet, dass er aufgrund einer solchen zeitlichen Weihe sein Haar lang wachsen ließ (Apg. 18, 18) und es nach dem Ende des Gelübdes in einem rituellen Opfer abscheren und verbrennen ließ. Wohlgemerkt tat er das bereits als Christ.

Die Weihe des Mannes war also nach biblischem Brauch mit langem Haar verbunden. So kennen wir es auch vom Richter Simson und anderen alttestamentlichen Gestalten.

Nun war es im Abendland über Jahrhunderte weg üblich, längere Haare zu tragen und alle möglichen Kopfbedeckungen zu erfinden – für Männer nicht anders als für Frauen. Im Orient, vor allem bei den Arabern, aber auch den Indern, finden wir Schleier auch bei Männern.

Auf dem Grabtuch von Turin, das nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen echt sein muss, sehen wir das Antlitz des Gekreuzigten … mit mindestens schulterlangen Haaren!

Es war dagegen bei den Römern und Griechen, also den Heiden, nicht Sitte, dass Männer lange Haare trugen oder ihren Kopf bedeckten. Eine Auswertung antiker Texte ergab, dass das griechisch-römische Heidentum weitgehend ohne männliche Kopfbedeckung und ohne Langhaarigkeit auskommt, wohingegen Kopfbedeckungen bei Frauen deren hohen sozialen Staus anzeigten, wenn sie überhaupt welche trug. Kopfbedeckung war also hier ein Ausdruck weiblicher Eitelkeit und eine Demonstration des Reichtums, kombiniert mit Haarschmuck und Frisurenkult. Letzteres erfährt an anderer Stelle beim heiligen Petrus eine Absage (1. Petrus 3,3).

Wir können also schon hier fragen, ob der heilige Paulus nicht auch eine heidnische Position referieren könnte, etwa so, wie auch der heilige Thomas von Aquin Meinungen vorträgt, denen er aber nicht zustimmt, sondern nach ihrer Darstellung mit triftigen Gründen etwas entgegenhält. Immerhin ist die Korinthergemeinde eine Gemeinde im Gebiet des Heiden mit einer überspannten charismatisch-esoterischen Schlagseite!

Auch die folgenden Verse (Verse 5 – 10) scheinen wie aus einer anderen Denkwelt zu kommen. Im Judentum war und ist es, wie gesagt, für den Mann üblich, beim Beten das Haupt zu verhüllen. Die Frau dagegen war in der öffentlichen Synagogenversammlung erst gar nicht zum Beten oder Prophetischreden zugelassen… sollte aber auch ihr Haupt verhüllen – nicht anders als der Mann.

Bemerkenswert ist hier bei Paulus eher, dass überhaupt die Frau ganz selbstverständlich öffentlich in der Kirche beten und weissagen darf wie ein Mann! Es wird der Frau gerade nicht abverlangt, dass sie in der Kirche zu schweigen habe.

Es findet sich aber im gesamten Gesetz des Moses nicht eine einzige Anweisung über eine Kopfbedeckung der Frau.

Schleier werden in durchaus zweifelhaften Umständen erzählt. So wird z.B. berichtet, dass Prostituierte an ihrer Verschleierung erkennbar waren. Über Jakobs Sohn Juda wird in der Begegnung mit Tamar berichtet:

Juda sah sie und hielt sie für eine Dirne; sie hatte nämlich ihr Gesicht verhüllt.“ (Gen. 38, 15)

Eine alltägliche Bekleidung der Frauen und Männer mit Tüchern war ansonsten sicher nicht unüblich (was bis heute im Orient gilt), etwa so wie auch heute noch in Indien, allerdings ohne „Ideologie“, sondern als variantionsreicher Brauch.

Die Argumentation hinsichtlich der unverschleierten Frau ist ins sich verworren: eine Frau, die sich nicht verschleiert, soll die Haare abschneiden, weil sie „wie“ eine Frau mit geschorenen Haaren sei?

Viele Theorien über die Entehrung der Frau durch Abscheren der Haare in der Antike wurden schon vorgebracht – keine davon ist je eindeutig bewiesen worden. Aber selbst wenn es so wäre, müsste man fragen, wie es kommt, dass die hartnäckigen Schleierverfechter offenbar kein Problem damit haben, wenn die Katholikin sich seit 1950 das Haar abschert, obwohl weibliche Kurzhaarfrisuren nun tatsächlich in älterer Zeit überall in der Kirche undenkbar waren?! Nicht der Schleier, sondern langes Haar der Laiin ist wirklich „Tradition“ in der gesamten Kirche gewesen!

Der rigide Satz aus Vers 5 „Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen“ ist beim besten Willen nicht logisch verstehbar. Wieso folgt aus der Tatsache, dass es eine Schande für die Frau sei, sich die Haare zu schneiden, logisch, dass sie sich dann zusätzlich noch einmal verhüllen soll? Ist das Haarescheren ein Zeichen der Unehrenhaftigkeit – was bedeutet es, wenn die Frau doch ohnehin einen Schleier trägt und niemand sehen kann, ob sie Haare hat oder keine? Wenn aber der Schleier nach alttestamentlicher Sitte die Prostituierte anzeigen sollte, wieso soll die Frau, wenn sie sich die Haare nicht abgeschnitten hat, also nicht entehrt ist, dann dieses Zeichen der Entehrung tragen?

Der Satz klingt in der Sache wirr und überspannt und man muss esoterische Denkwelten bemühen, um hier einen Sinn zu kreieren. Das aber passt nicht zum nüchternen Duktus der Heiligen Schrift… Und dies immer vor dem Hintergrund, dass das gesamte Alte Testament nicht ein Wort zu dieser Frage vermeldet, also objektiv keine von Gott gebotene Norm vorliegt.

Der heilige Paulus, der sonst so klar und plausibel, so tief und logisch argumentiert, und sich vor allem nie mit solch eher magischen und nebensächlichen Themen beschäftigt, soll einen solchen Satz als seine Position vorgetragen haben?

Ich vermag das nicht zu glauben. Eher nehme ich an, dass er hier, wie bei Vers 4, eine Position aufgreift, die in der ohnehin schwärmerischen und geistlich hochmütigen charismatischen Korinthergemeinde für Wirbel gesorgt haben könnte. Die überspannte Kopftuchdebatte passte gut in einen charismatischen Kontext.

Besonders krass wirken die aufgelisteten Sätze von Vers 7-10. Diese Sätze besagen, das Kopftuch müsse der Engelwelt beweisen, dass die Frau die Vollmacht habe, überhaupt – wie der Mann – öffentlich zu beten und zu weissagen. Und das alles sei ja auch richtig so, weil die Frau schließlich als Zweite und für den Mann geschaffen worden sei. Diese Sätze sind von der reinen Natur her gedacht und scheinen keinerlei Bewusstsein dafür zu haben, dass der Gnadenstand dem Menschen nicht aufgrund seiner Natur gegeben wird, sondern alleine aufgrund der Liebe Gottes. Denn die Legitimation zum öffentlichen Gebet in der Kirche hat die Frau nicht durch ein Kleidungsstück oder entgegen einer minderwertigen  „nachrangigen Natur“, sondern durch Gott alleine, der sie erlöst hat. Da im Alten Bund sich auch der Mann verhüllt hat, greift die Argumentation ohnehin nicht. Hinzu kommt, dass im Alten Testament auch Frauen mit Gott reden, ohne dass dies in irgendeiner Weise problematisiert oder mit anderen äußeren Reaktionen verbunden wäre als beim Mann. Es ist immer eine Gnade, wenn Gott sich dem Menschen zuwendet, unverdient und nicht einer natürlichen Ausstattung geschuldet!

Der Bezug auf die Engel ist unverständlich. Es gibt keine kanonische Tradition, die den Bezug erklären könnte. Man muss daher diese Argumentation als in der Tendenz abergläubische, magische Denkart auffassen, was wiederum gut zum Charismatismus dieser Gemeinde passen dürfte.

Wir erinnern uns: der heilige Paulus hat oben in Vers 3 gewissermaßen eine Überschrift über das, was folgt, gesetzt:

Ihr sollt aber wissen, dass Christus das Haupt des Mannes ist, der Mann das Haupt der Frau und Gott das Haupt Christi..“

Nur ein oberflächlicher, esoterisch denkender und frauenkritischer Leser kann darin eine Rangfolge („Emanation“) erkennen, wie sie dann in den Versen 7-10 dargelegt wird. Der Völkerapostel referiert zu Beginn die wahre Lehre und danach ihre Verzerrung und falsche Schlussfolgerungen.

Ich will den Lesefehler der Korinther aufzeigen, den er wahrscheinlich meint. Seine Argumentation später ab Vers 11 unterstützt meine Interpretation, dass er einen Lesefehler aufzeigen will. Ich werde darauf zurückkommen.

Lesen wir den Vers 3 einmal von hinten:

Gott (der Vater) ist das Haupt Christi (des Sohnes).

Christus ist das Haupt des Mannes.

Der Mann ist das Haupt der Frau.

Kann man aus dieser Reihenfolge eine Rangfolge (Emanation) immer weiter subordinierter Wesen ableiten? Also in dem Sinn:

Die Frau ist dem Mann subordiniert.

Der Mann ist Christus subordiniert.

Christus ist dem Vater subordiniert.“?

Jedem echten und nüchternen Katholiken muss hier der Atem stocken – nein!

Es ist häretisch und blasphemisch, so etwas auch nur im Ansatz in Erwägung zu ziehen!

Man würde einer arianischen Position folgen!

Wenn aber Christus dem Vater nicht subordiniert ist, was heißt dann, dass Gott das „Haupt Christi“ sei? Es heißt einfach nur, dass der Vater das Prinzip des Sohnes ist, weil der Sohn aus dem Vater geboren ist. Aber er steht nicht „unter“ ihm! Folgt man dieser Reihe weiter, ergibt sich, dass der Mann (als der erste der beiden Ur-Menschen) durch Christus geschaffen wurde bei der Schöpfung, denn es heißt, durch Christus sei alles geschaffen worden. Die Frau als zweite wiederum wurde aus dem Mann genommen, dies allerdings durch Gott und nicht durch den Mann selbst. Insofern ist zwar die Frau ebenfalls im Ursprung durch Christus geschaffen, aber nicht unmittelbar, sondern mittelbar wiederum aus dem Prinzip des Mannes, das zuvor schon geschaffen war, jedoch ohne dessen Zutun oder Macht über die Frau.

Das Haupt-Sein kann hier um Christi willen keine Subordination bedeuten. Denn andernfalls müsste man behaupten, er sei dem Vater als seinem Haupt„untergeordnet“, was wie gesagt eine Lästerung wäre. Und da man in dieser Reihenfolge einen identischen und nicht wankelmütigen Gebrauch des Begriffes „Haupt“ annehmen muss, kann er nicht beinhalten, dass die Frau dem Mann subordiniert ist, ja, sogar eine Subordination des Mannes unter Christus wird hier nicht ausgesprochen, sondern im Gegenteil die „Vergöttlichung“ des Menschen, die Christus uns möglich gemacht hat, wird hier dargelegt. Welch eine Gnade für uns alle!

Volo autem vos scire…“, schreibt der heilige Paulus zu Beginn: „Ich will, dass ihr das wisst…“ Und „das“, das zu Wissende, ist die Herkunft aller aus dem Vater und nicht, wie er in Vers 7-9 suggeriert, der rein natürlich behauptete und überspannte „Vorrang“ des Mannes vor der Frau!

Gegen die These des Verses 7 spricht auch, dass in der Genesis die Frau eindeutig als Ebenbild Gottes bezeichnet wird, und dies ohne irgendeinen Abstrich. Das Decretum Gratiani hat diese Stelle nämlich insofern missbraucht, als es behauptet, die Frau sei nicht Ebenbild Gottes und müsse sich darum verschleiern. Wir müssen erkennen, dass auch die pseudokatholische Schleierdebatte sehr wohl der Intention des islamischen Schleiers entspricht, was aber deren Verfechter immer empört bestreiten. Man darf ihnen hier Unwissenheit unterstellen. Mit dieser Argumentation stellt sich Gratian in Widerspruch zur Genesis und legt somit eine häretische Äußerung dar, die später stillschweigend irgendwann unter den Tisch gefallen ist.

Das Decretum Gratiani macht aber andererseits verständlich, auf welche häretische und verzerrte Sicht sich schon der Apostel Paulus damals bezogen haben könnte – nämlich eine arianische Deutung des Geschlechterverhältnisses, das dem heidnischen, aber auch dem jüdischen Menschen so selbstverständlich erschien, dass selbst bei den Kirchenvätern Anleihen an dieses Denken auffindbar sind. Der antike Mensch konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass die Frau NICHT nur ein schwacher Abglanz des Mannes sein könnte!

Erst die Reflexion über die Gottesmutter und ihre alle Menschen, sogar die Apostel, überragende Stellung, hat allmählich und sehr langsam diese Herabwürdigung der Frau aufbrechen und teilweise heilen können.

Und nun hören wir den Völkerapostel doch einmal aus dieser Sicht, die ich vorgetragen habe, an. Wie ein Befreiungsschlag klingt seine nun folgende Gedankenführung in Vers 11+12:

Doch im Herrn gibt es weder die Frau ohne den Mann noch den Mann ohne die Frau.

Denn wie die Frau vom Mann stammt, so kommt der Mann durch die Frau zur Welt; alles aber stammt von Gott.“

Hören wir es nicht? Mit der angeblichen Schöpfungshierarchie kann man doch ausdrücklich laut Paulus eben nicht argumentieren! Nichts anderes sagt uns doch der Apostel: Im Herrn – und sind wir denn nicht „im Herrn“? sind wir noch Heiden? oder Juden? – im Herrn sind wir allesamt nichts ohne einander! Und kommen nicht alle Menschen vornehmlich aus der Frau und nur in schwächerer Weise (aufgrund der fehlenden leiblichen Einheit mit dem Kind) aus dem Mann? Kam nicht sogar, will man hinzusetzen, sogar der Sohn durch eine Frau und eben nicht aus dem Willen des Mannes oder seines Fleisches ins Menschsein?

Vers 13 klingt auf Lateinisch anders als in der Einheitsübersetzung:

In vobis ipsi iudicate: Decet mulierem non velatam orare Deum?“

Deutsch übersetzt heißt das: „Urteilt in euch selbst: darf eine Frau unverhüllt zu Gott beten?“

Der heilige Paulus gibt auf diese Frage keine Antwort!

Und weiter der Vers 14 auf Lateinisch:

Nec ipsa natura docet vos quod vir quidem, si comam nutriat, ignominia est illi; mulier vero, si comam nutriat, gloria est illi?»

Deutsch und wörtlich: «Und lehrt euch denn die Natur selbst, dass dem Mann, der sein Haar bedeckt, dies zur Schande gereicht; dass aber der Frau, die ihr Haar bedeckt, dies zum Ruhm gereicht?“

Vielfach wird übersehen, dass der heilige Paulus hier nicht etwa ein göttliches Gesetz bemüht, oder gar das Gesetz des Moses, sondern die „Natur“. „Natura docet“, die Natur lehrt? fragt er.

Wenn wir nüchtern denken, müssen wir zugeben, dass die „Natur“ hier gar nichts „lehrt“, zumal gerade, wie ganz oben nachgewiesen, der Mann nach dem jüdischen Gesetz sogar die Vorschrift hat, sich beim öffentlichen Beten zu bedecken.

Uns bleibt nichts, als festzustellen, dass es in Israel eine gesetzliche Vorschrift für den Mann gab. Die Frau betet ohnehin nicht in der Synagoge oder im Tempel öffentlich. Das ist bis heute so, und die liberalen Jüdinnen, die sich inzwischen das Recht erkämpft haben, an der Klagemauer doch öffentlich zu beten, benutzen dazu denselben Gebetsschleier, den sonst nur die Männer benutzen dürfen.

Die „Natur lehrt“ über solche Ordnungen nichts, was man objektiv nachvollziehen könnte – zu unterschiedlich sind die Sitten der Völker, zu unterschiedlich die klimatischen Bedingungen, als dass man hier etwas Verlässliches sagen dürfte. Es wäre unnüchterne und magische Denkart.

Bleibt nur ein Schluss: Es gibt das jüdische Gesetz und Bräuche, die hier so und anderswo wieder anders sind. Die Natur sagt uns dazu schlicht nichts Verbindliches.

Der heilige Paulus fragt und antwortet nicht, überlässt dem Leser, nachzudenken und eine Antwort zu finden.

Am Ende von Vers 15, der über eine angebliche, „natürliche“ Notwendigkeit der Frau zur Verschleierung beim Beten spricht, lässt er diese ganze abwegige und magische Natur-Frage wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen, denn ihn „lehrt“ die „Natur“ offenbar nur eines:

Quoniam coma pro velamine ei data est.“ Deutsch und wörtlich: „Das Haar ist ihr doch als Schleier (besser: „Hülle“ oder „Decke“) gegeben!“

Und hat er nicht recht?

Ist der Frau nicht im Allgemeinen „von der Natur“ („Natura docet…“) besonders reiches Haupthaar gegeben, das sie tatsächlich weltweit fast durchweg, egal in welcher Kultur, lang trägt? Wenn die „Natur“ irgendetwas „lehrt“, dann eben dieses Faktum.

Ich möchte noch einmal fragen, wie es kommen kann, dass all diese ach so traditionalistischen Frauen (und ihre männlichen Antreiber) sich wacker diese reiche, gottgegebene „Decke“ abschneiden, dafür aber umso mehr nun den heidnischen Schleier propagieren und daran auch noch ihre zur Schau gestellte, so fromm zur Schau gestellte „Subordination“ knüpfen, der doch der Apostel eine Absage erteilt in seinen Ausführungen! Der heilige Paulus spricht zwar an anderen Stellen von Unterordnung, dies aber nie einseitig zu Lasten der Frau! Sein Tenor ist nach Epheser 5 die gegenseitige Unterordnung aller! Er setzt die Stärke und Würdigung der Frau bei all seinen Aussagen voraus. Vielleicht sogar ihre besondere Stärke, die sie um des Mannes willen gelegentlich doch zurücknehmen soll, um ihn nicht im Glauben zu behindern – dies aber freiwillig und ohne verbissenen Druck von außen.

Feste Kleidervorschriften kennt das Alte Testament und ebenso die Kirche nur im Bezug auf liturgische, priesterliche Gewänder bzw. Ordenskleidung. Alltägliche Kleiderordnungen des Volkes sind dagegen wandelbare Konventionen und Gebräuche. Der Schlusssatz der Stelle spricht davon, dass der Apostel das Thema offenbar nicht für wert hält, so überspannt zu werden:

Si quis autem videtur contentiosus esse, nos talem consuetudinem non habemus, neque ecclesiae Dei.»

Deutsch und wörtlich: «Wenn einer deswegen meint, streiten zu sollen : wir haben einen solchen Brauch nicht, auch nicht die Kirche Gottes.“

Es ist übrigens abwegig, das „Um etwas streiten“ für den „Brauch“ zu halten, von dem der Apostel spricht:

church-450
Andächtig geht auch ohne Spitze auf dem Kopf

Erstens hat die Kirche von Anfang an eine Diskussionskultur gehabt und zweitens würde man eine solche nicht einen „Brauch“ nennen.

Mit dem „Brauch“ kann hier sinnvoll nur eines gemeint sein: überspannte Bräuche über Schleier, männliche Barhäupte und andere rein äußerliche Gepflogenheiten, die mit einer geradezu esoterischen Bedeutung versehen werden – das ist dem katholischen Denken nicht nur fremd, sondern sogar untersagt. Wir sollen nicht magisch denken!

Und das passt auch wieder zu Paulus: Wir haben keine Kleiderbräuche, außer die, dass wir sittsam gekleidet sind, Mann wie Frau. Zwar schrieb der CIC von 1917 der Frau und dem Mann sittsame Kleidung und ihr dabei auch irgendeine Kopfbedeckung vor, dem Mann dagegen Barhäuptigkeit, schränkte dies aber ein, falls eine andere Sitte vorliegen sollte.

Fortsetzung folgt.

Teil 2:

  • Das Decretum Gratiani, die Aberkennung der Gottebenbildlichkeit der Frau und der Schleier

  • Haar“sträubende Gründe für die „Mantilla“

Teil 3:

  • Die Mantilla führt zu einer unguten und pseudo-liturgischen Beschäftigung der Frau mit sich selbst

  • Der heilige Paulus und die heilige Agnes

Hanna Maria Jüngling ist Musikerin (Geigerin), Schriftstellerin/Publizistin und Künstlerin. Sie ist im Bereich der Experimentalmusik, der freien Improvisation und der Avantgarde-Musik tätig. Unter ihren Kompositionen ist für Katholiken die „Via crucis“ interessant, 14 Improvisationen vor den einzelnen Kreuzwegstationen. Die Texte auf ihrem Blog, sind Ausschnitte aus einem umfangreichen Manuskript zur Frauenfrage in der Kirche und im Abendland. Das Buchprojekt behandelt in historischer, philosophischer und theologischer Perspektive das Geheimnis des „Ebenbildes Gottes“; ein Mysterium, wie es in der Heilsgeschichte tiefer nicht sein könnte und welches sich nicht zu letzt in der in der Problematik „der Frau“ (in Wahrheit des Menschen insgesamt) manifestiert. 

Der Beitrag Der Mantilla-Wahn (1/3) erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Cathwalk verfasst.

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