Ästhetik Archive - cathwalk.de https://www.thecathwalk.de/tag/aesthetik/ Abendland & Alte Messe Thu, 09 Dec 2021 11:22:00 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.5.2 https://www.thecathwalk.de/wp-content/uploads/sites/2/2017/04/cropped-Logo-The-Cathwalk-transparenter-Hintergrund-150x150.png Ästhetik Archive - cathwalk.de https://www.thecathwalk.de/tag/aesthetik/ 32 32 Die Geburt der christlichen Kunst https://www.thecathwalk.de/2017/02/24/10091/?pk_campaign=feed&pk_kwd=10091 https://www.thecathwalk.de/2017/02/24/10091/?pk_campaign=feed&pk_kwd=10091#comments Fri, 24 Feb 2017 09:05:16 +0000 http://thecathwalk.de/?p=10091 Im entferntesten Winkel Syriens liegt zwischen Euphratschlamm und Sand die antike Stadt Dura Europos. Hier, am Schnittpunkt Syriens und Mesopotamiens, steht die älteste archäologisch nachweisbare Kirche der Welt. Nicht nur wegen der syrischen Totenklage des Christentums, sondern auch der bilderfeindlichen Kritik der Reformatoren lohnt im Lutherjahr ein Blick auf die Wurzeln christlicher Ästhetik. Der Sand […]

Der Beitrag Die Geburt der christlichen Kunst erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Marco Gallina verfasst.

]]>
Im entferntesten Winkel Syriens liegt zwischen Euphratschlamm und Sand die antike Stadt Dura Europos. Hier, am Schnittpunkt Syriens und Mesopotamiens, steht die älteste archäologisch nachweisbare Kirche der Welt. Nicht nur wegen der syrischen Totenklage des Christentums, sondern auch der bilderfeindlichen Kritik der Reformatoren lohnt im Lutherjahr ein Blick auf die Wurzeln christlicher Ästhetik.

Der Sand der Zeit rieselt unbarmherzig. Er verweht die Erinnerungen an vergangene Reiche, erstickt diejenigen, die Zeugnis ablegen könnten und begräbt Städte unter Lawinen aus Staub. Der Vordere Orient bleibt den Europäern fremd. Schon Alexander der Große fand von der Pracht des alten Babylons nur noch die Trümmer des legendären Turmes vor. Heute reihen sich neben den Ruinen der Mesopotamier jene der Parther, Römer und Christen ein; der christliche Niedergang ist dabei der längste, zäheste und tragischste Prozess. Die Reiche der Alten zerfielen, aber die Anhänger des Nazareners blieben ihrer Religion treu. Seit der Kreuzigung kennt das Christentum die Verfolgung und hat Einzug in die Offenbarung des Johannes gefunden – so wie jetzt und vielleicht in alle Ewigkeit.

Von den zwei großen Strömen, die Mesopotamien ihren Namen geben, ist der Euphrat traditionell der fruchtbarere. Vom kleinasiatischen Gebirge flutet er hinab in das Syrische Becken, bevor es ihn gen Persischen Golf drängt. Die Parther, die in Zentralasien das Perserreich beerbten, sahen den großen Fluss als ihre natürliche Westgrenze an. Das gefürchtete Reitervolk herrschte drei Jahrhunderte lang über das Zweistromland. Einer der bedeutendsten Orte an dieser Westgrenze war Europos, eine Gründung der Seleukiden – jener Nachfolger Alexanders, die das Griechentum zur vorherrschenden kulturellen Kraft des Altertums machten.

Europos lag auf der rechten Euphratseite; im Osten vom Fluss, nördlich und südlich von Schluchten begrenzt, erstreckte sich die Stadt in geschützter Lage bis in den Westen, wo sich meterhohe Mauern emporhoben. Der Westwall von Europos bildete die einzige mögliche Seite, die belagert werden konnte. Die Stadt galt daher als sicher und entwickelte sich zu einem bedeutenden Handelsposten zwischen Syrien und Mesopotamien, zwischen Mittelmeer und iranischem Hochgebirge, zur Brücke zwischen der hellenistischen und orientalischen Welt. Hier hielten nicht nur Karawanen, sondern auch Schiffe und Boote des Euphrats.

duraeuropusmap
Stadtplan von Dura Europos im 2. und 3. Jahrhundert

Unter Kaiser Trajan drangen die Römer tiefer denn je nach Osten vor. Europos wurde Mitte des 2. Jahrhunderts zum Teil des Imperiums und behielt seine strategische wie handelspolitische Bedeutung. Einzig der Name hatte sich geändert: aus Europos war „Dura“ geworden. Für Reisende, die aus dem Osten nach Rom kamen, bildete das prächtig ausgebaute Dura einen Vorgeschmack auf den Glanz des Römerreichs: ein reiches Stadtleben mit verschiedensten Kulturen und Religionen, in denen der Handel pulsierte. In den Gassen klangen Hebräisch, Aramäisch, Griechisch, Latein und das Palmyrische; Heiligtümer zierten die Straßen zu Ehren hellenistischer und orientalischer Gottheiten, daneben weihten die Anhänger des Mithras ihrem Retter Heiligtümer – letzteres an eben jenem Westwall, nicht weit von einer jüdischen Synagoge entfernt.

Berühmtheit erlangte Dura jedoch wegen einer anderen Religionsgruppe, die damals den Stellenwert einer Sekte hatte. Kleiner als die Synagoge, und von außen nicht als solche erkennbar, schmiegte sich die erste nachweisbare Kirche der Christenheit an eben jenen großen Wall, der bereits vor dem Wunder von Bethlehem das alte Europos vor seinen Feinden geschützt hatte. Hier, im syrischen Osten, im Sand der alles zu verschlingen droht – oder bereits alles verschlungen hat – fanden sich die frühen Christen seit dem beginnenden 3. Jahrhundert zusammen. Die Wurzeln der Basiliken von Rom, der monumentalen Hagia Sophia von Konstantinopel, der romanischen Dome des Hochmittelalters und der Kathedralen der Gotik und der Renaissance führen sich zuletzt auf einen unscheinbaren Bau am Rande der syrischen Wüste zurück.

dura_europos_baptistry_overview
Baptisterium der Hauskirche von Dura Europos; rechts die Frauen am leeren Grab

Hauskirchen sind bereits im Neuen Testament nachweisbar. Die Jünger fanden sich in den Häusern reicherer Gemeindemitglieder ein. Die Hauskirche von Dura ist jedoch anders, da sie rein sakrale Bedeutung hatte und keiner Privatperson gehörte, sondern der Gemeinde. Den Versammlungsraum zeichnet eine Nische nach Osten aus; daneben besaß das quadratische Haus einen eigenen Raum zur Taufe. Ein kleines Zimmer mit einem Baldachin als Geburtsort des Baptisteriums. Die beiden Sakramente Eucharistie und Taufe sind so zentral im christlichen Leben, dass sie eigener Räumlichkeiten bedürfen.

Historisch bedeutsam und theologisch interessant ist die Ausstattung. Das Geistige ruft das Ästhetische; wo ein Schöpfer, da ist Kreativität. Anders als es die späteren Ikonoklasten behaupteten, oder die Reformatoren vermuteten, ist dem frühen Christentum die Bildkunst keinesfalls fremd. Das Streben nach dem Höchsten lebt nicht vom Wort allein; Religion schafft Schönheit, mögen es die Götterskulpturen Griechenlands, barocke Sakralmusik oder bereits die frühesten Steinzeitmalereien sein. Es mag heute allein die Bergpredigt, die Soziallehre oder die Ethik faszinieren – aber die Alten sind ganz und gar vom Mythos beseelt. Es sind die Wunder, die Heilungen, die unerklärlichen Dinge, welche Herz und Verstand der Gläubigen fesselten. Jesus ist ein Mann der Wunder, der Gelähmte heilt und über das Wasser läuft; er ist der gute Hirte, wie wir ihn auch in den Katakomben der Ewigen Stadt finden; und er ist der Große, der Sohn Gottes, der Messias, der selbst den Tod bezwingt. Das größte und wichtigste Bild in der ersten Kirche der Welt zeigt die Frauen am Grab. Hinweis auf die Auferstehung. Sinnbild des Glaubens, der Liebe, der Hoffnung. Es ist jene Hoffnung, wie Jesus von den Toten aufzuerstehen; jene Gewissheit, dass es da mehr gibt auf dieser Welt, dass Kontinuität, dass Geist, dass Ewigkeit besteht.

dura_europos_baptistry_good_shepherd
Der Gute Hirte über dem Baptisterium

Die frühen Christen scheinen schon damals das „Bilderverbot“ im Sinne Papst Gregors verstanden zu haben – lange vor irgendwelchen römischen Richtlinien; ja, sogar schon vor der Zusammenstellung der Heiligen Schrift selbst. Nicht den Gemälden gilt die Anbetung, sondern sie dienen der Anschauung und der Lehre. Umso interessanter auch die Feststellung, dass die Synagoge von Dura ebenfalls Szenen und Bilder zeigt, was lange Zeit als unvorstellbar galt. Ein weiterer Blick in das jüdische Gotteshaus verrät zudem, dass die dortigen Malereien qualitativ weit über denen in der Kirche stehen. Das unterstreicht zwei Punkte: erstens, dass die jüdische Gemeinde von Dura wohlhabender war, und sich einen besseren Maler leisten konnte; zweitens, dass die christliche Gemeinde trotz ihrer anscheinend knapperen finanziellen Mittel nicht auf eine angemessene Ausstattung verzichten wollte.

dura_europos_fresco_moses_from_river
Fresko aus der Synagoge von Dura Europos (Rettung des Moses aus dem Fluss)

Vor 1.800 Jahren wussten die Christen demnach, dass nicht demonstrativ vorgetragene Bescheidenheit Kern der Anbetung Gottes war, sondern seine angemessene Verehrung; und die Archäologie beweist damit ebenso, dass sich nahezu alle Reformatoren vertan haben, wenn sie glaubten, den alten Christen näher zu sein, wenn sie ihre Kirchen möglichst ohne bildliche Ablenkungen einrichteten. Der Triumph der Kunst ist der Triumph des Glaubens. Die frühen Christen von Dura hätten vermutlich nicht verstanden, wieso man absichtlich bescheidene Kirchen gebaut hätte, wenn schon die gemeinen Christen des 2. und 3. Jahrhunderts alles unternahmen, damit ihr Gotteshaus möglichst prächtig erschien.

Umso tragischer mutet die Gegenwart an; nicht nur, wenn man auf vermeintliche urchristliche Interpretationen innerhalb der Kirche blickt – sowohl in der evangelischen, wie auch der katholischen Spielart – sondern auch dorthin, wo der syrische Sand Dura begraben hat. Die glänzende Stadt am Euphrat fand ihr jähes Ende nach einer Belagerung durch das aufstrebende Sassanidenreich, deren Soldaten mit entzündeten Schwefelfontänen den Widerstand der Einwohner brachen. Der Ort wurde danach sich selbst überlassen. Erst Anfang des 20. Jahrhundert lüfteten Wissenschaftler von der Universität Yale den Schleier der Vergangenheit und gruben die verschiedenen Heiligtümer aus.

dura-europos-paralytic
Heilung eines Gelähmten

Heute beherrscht der Islamische Staat die Gegend von Dura Europos. Was in Palmyra geschah, ist bekannt. Doch von Dura, seiner Synagoge und seiner Kirche, welche zu den ältesten erhaltenen Gotteshäusern beider Kinder Abrahams gehören, dringt seit der Eroberung nichts an die Außenwelt. Die Wiege der christlichen Ästhetik wird von ihren ärgsten Feinden bewacht. Einzig der Sand, der die Mauern so viele Jahrhunderte bewachte, mag die Fanatiker aufgehalten haben. Satellitenaufnahmen lassen jedoch das Schlimmste befürchten: das archäologische Gelände ähnelt einer Kraterlandschaft. Über 70% des alten Dura Europos sollen zerstört worden sein. Die Funde gelten als Hehlerware, mit dessen Erlösen sich der IS finanziert.

Vielleicht ist es der zufälligen Vorhersehung geschuldet, dass die Malereien seit der Expedition in Yale liegen. Ein amerikanisch-französisches Team begann im Februar und März 1932 mit der Sicherung und beendete den Abtransport acht Monate später. Doch die Wehmutstropfen bleiben: einerseits, dass die Konservierung als qualitativ „mittelmäßig“ gilt – und dass jene Menschen, die diesen Glauben damals wie heute lebten, vermutlich ebenso dem Vergessen anheim gefallen sind und anheim fallen werden wie alles, was die syrische Wüste in ihren Jahrhunderten umwälzt und begräbt …

frescos-of-scenes-from-the-bible

Der Beitrag Die Geburt der christlichen Kunst erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Marco Gallina verfasst.

]]>
https://www.thecathwalk.de/2017/02/24/10091/?pk_campaign=feed&pk_kwd=10091/feed/ 2
Evangelisieren durch Schönheit https://www.thecathwalk.de/2017/01/08/evangelisieren-durch-schoenheit/?pk_campaign=feed&pk_kwd=evangelisieren-durch-schoenheit https://www.thecathwalk.de/2017/01/08/evangelisieren-durch-schoenheit/?pk_campaign=feed&pk_kwd=evangelisieren-durch-schoenheit#respond Sun, 08 Jan 2017 09:00:23 +0000 http://thecathwalk.de/?p=9505 Wer Schönheit erfährt, wird von ihr fasziniert. Sie zieht an, lässt stauen und erheitert. Das zeigt sich schon im sinnlichen Bereich, wenn Männer sich in Frauen verlieben, weil sie sie schön finden. Schönheit hat etwas Lebensbejahendes, etwas Schöpferisches. Echte Schönheit weist über sie selbst auf etwas Göttliches hinaus, daher ist sie auch ein Mittel zur […]

Der Beitrag Evangelisieren durch Schönheit erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Josef Jung verfasst.

]]>
Wer Schönheit erfährt, wird von ihr fasziniert. Sie zieht an, lässt stauen und erheitert. Das zeigt sich schon im sinnlichen Bereich, wenn Männer sich in Frauen verlieben, weil sie sie schön finden. Schönheit hat etwas Lebensbejahendes, etwas Schöpferisches. Echte Schönheit weist über sie selbst auf etwas Göttliches hinaus, daher ist sie auch ein Mittel zur Evangelisation.

Das Hohelied der Liebe Salomos zeigt die ganze Kraft der Schönheit, die hier in der Erotik missionarisch wirkt. Weil er seine Freundin schön findet, umgarnt er sie und macht ihr den Hof. Menschen suchen Schönheit und fühlen sich, wenn sie diese wahrnehmen, wohl. Sie strahlt etwas aus, das gute Gefühle auslöst. Im erotischen Bereich der Schönheit steht das Lebendige und Schöpferische im Mittelpunkt. Die wahrgenommene Schönheit treibt dazu an zu werben, zu loben, zu dichten und zu lieben.

boucher_diane_sortant_du_bain_louvre_2712
Im erotischen Bereich der Schönheit steht das Lebendige und Schöpferische im Mittelpunkt. Die wahrgenommene Schönheit treibt dazu an zu werben, zu loben, zu dichten und zu lieben. – Diana nach dem Bade, 1742 (François Boucher)

Schönheit als Ästhetik

Neben der erotischen Schönheit kann man auch allgemeiner von Ästhetik sprechen, wenn es um Architektur, Natur oder Kunst geht. Dabei wird sehr deutlich, ob und wie ein Bezug zum Göttlichen gewollt ist. In der Architektur galt lange Zeit, dass sie auch ein Mittel und Zeichen ist, das auf eine andere Größe hinweist. Entweder sollte sie die Herrlichkeit Gottes, wie in Kirchen oder die eines Reiches, wie im Säkularen, widerspiegeln. Daher mussten die Bauten schön sein, um dies entsprechend darzustellen. Diese Sicht ist heute meist einem Pragmatismus gewichen. Gebäude sollen vor allem nützlich sein, ihre Schönheit ist weniger von Belang. Dies klammert jedoch die transzendente Ausrichtung des Menschen aus und lässt ihn in emotional kälter werden.

Wird Schönheit in der Natur wahrgenommen, sehen viele darin einen Verweis auf einen guten Schöpfer. Insofern kann die Natur zu einem Gottglauben missionieren, wenngleich der notwendige Bereich der Offenbarung damit noch nicht mitgeteilt wird.

Mit der Kunst verhält es sich ähnlich wie mit der Architektur. Wie sie ist, ist eine Frage ihrer Ausrichtung und Idee. Nach der Romantik folgten auch hier eher pragmatischere Stilrichtungen, die weniger verklärend und eher darstellend sein wollten. Die Alltagsempirie rückte in den Vordergrund. Naturalismus wurde hier neben anderen Stilrichtungen immer wichtiger. Dabei wurde oft bewust jeder Bezug zum Göttlichen als illusionär gebrandmarkt und ausgeklammert. Dem steht zum Beispiel radikal die Kunst in den vatikanischen Museen entgegen, die gerade durch ihre Schönheit die Wirklichkeit und Wahrheit Gottes verkündigen will.

Schönheit in der Verkündigung

In der Bibel wird die Schönheit Gottes verkündet. Eine wörtliche Übersetzung von Pslam 104,1 macht dies deutlich: „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt“. So macht die Offenbarung klar, dass Schönheit ein Mittel zum Evangelisieren ist, da sie ja letztlich auf Gott selber verweist und auf ihn zurückgeht. Was schönt ist, preist damit in irgendeiner Weise auch Gott. Schönheit in der Verkündigung bedeutet, dass Schönheit zum Lob und zur Ehre Gottes dienen soll, ihn bekannt machen soll. Wenn man den Glauben als schön darstellt, hat man damit eine sinnliche Wirklichkeit im Menschen angesprochen, die keine Worte braucht, sondern einfach wirken kann. Schönheit macht froh, Schönheit zieht an. Wir sollten sie daher auch in den Glauben hineinlassen.

Der Beitrag Evangelisieren durch Schönheit erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Josef Jung verfasst.

]]>
https://www.thecathwalk.de/2017/01/08/evangelisieren-durch-schoenheit/?pk_campaign=feed&pk_kwd=evangelisieren-durch-schoenheit/feed/ 0
Liebt einander! – Teil 3 https://www.thecathwalk.de/2016/11/18/liebt-einander-3/?pk_campaign=feed&pk_kwd=liebt-einander-3 https://www.thecathwalk.de/2016/11/18/liebt-einander-3/?pk_campaign=feed&pk_kwd=liebt-einander-3#respond Fri, 18 Nov 2016 08:31:39 +0000 http://thecathwalk.de/?p=7756 Von Georg Dietlein Wer sich die vielen Gefahren vor Augen führt, die im Verhältnis von Mann und Frau lauern, könnte fast meinen, Männer bzw. Frauen seien Wesen, um die man besser einen großen Bogen machen sollte. Und in der Tat: Versuchungen locken überall. „Die Versuchung hat drei Merkmale: Sie wächst, steckt an und rechtfertigt sich.“ […]

Der Beitrag Liebt einander! – Teil 3 erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Cathwalk verfasst.

]]>
Von Georg Dietlein

Wer sich die vielen Gefahren vor Augen führt, die im Verhältnis von Mann und Frau lauern, könnte fast meinen, Männer bzw. Frauen seien Wesen, um die man besser einen großen Bogen machen sollte. Und in der Tat: Versuchungen locken überall. „Die Versuchung hat drei Merkmale: Sie wächst, steckt an und rechtfertigt sich.“ (Papst Franziskus) – Doch möglicherweise ist die Furcht vor der Versuchung gar nicht der richtige Weg, um ihr zu widerstehen. Die beste Methode, um den Nachstellungen des Teufels zu entgehen, ist nämlich die Liebe. Wenn ich aber nur ängstlich-schüchtern und mit verschlossenen Augen durch die Welt renne, entgeht mir jede Gelegenheit zu lieben und mich hinzugehen.

Blicken wir auf den Herrn! Wie ging Jesus mit den Frauen seiner Zeit um? Etwa mit Maria von Magdala oder der Samariterin am Jakobsbrunnen? Die Antwort lautet: Völlig unverkrampft – sehr mutig – und man könnte sogar sagen: „locker“ und unkonventionell. Jesus hat weder Hemmungen mit Maria von Magdala ins Gespräch zu kommen, die als besessene Prostituierte bekannt war, noch mit einer Samariterin, deren Volk mit den orthodoxen Juden befeindet war. Im Übrigen nimmt er sich einer Ehebrecherin an und rettet ihr in beeindruckender Weise das Leben: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ (Joh 8, 7). Damit geht er einen Schritt, der für einen orthodoxen Juden seiner Zeit undenkbar gewesen wäre. Jesus gibt sich mit Sündern ab und macht sich damit unrein. Vielmehr noch: Er begegnet ihnen in Liebe und nimmt sie sogar als Gesprächspartner für tiefgehende theologische Diskussionen ernst.

Mit anderen Worten: Jesus hat hohe Achtung vor den Frauen seiner Zeit. Für ihn sind Frauen und Männer nicht nur gleich viel wert, sondern bedürfen auch in gleicher Weise seiner liebevollen Begegnung. Jesus geht unverkrampft und unverblümt auf Frauen zu, spricht mit ihnen und heilt sie. Viele Frauen gehören zu seinen engsten Freunden und möglicherweise wird sich auch die eine oder andere in Jesus verliebt haben.

Doch Jesus kennt seine Sendung – auch in dieser Hinsicht. „Ich bin gekommen, um den Armen eine gute Nachricht zu bringen, den Gefangenen die Entlassung und den Blinden das Augenlicht zu verkünden und die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen.“ (Lk 4, 18) Die Sendung Jesu und seine Liebe sind universal. Seine Liebe geht so weit, dass er sich der ganzen Welt verschenken möchte. Darum ist sein Lebensstil auch die Ehelosigkeit.

Vielleicht kann der beeindruckende Umgang Jesu mit dem anderen Geschlecht auch uns dabei helfen, in diesem Punkt zu wachsen. Gehen wir unverkrampft, offen und interessiert in den Tag und lassen wir uns wirklich mit aller Liebe auf den Nächsten ein. Wenn wir etwa an einer attraktiven jungen Dame bzw. einem attraktiven Herrn vorbeigehen, so brauchen wir unsere Augen nicht aus Angst verschließen oder uns dafür schämen, dass wir unser Gegenüber körperlich attraktiv finden. Danken wir Gott dafür, dass er seine Schöpfung so schön gemacht hat und uns liebt – etwa mit einem kleinen Stoßgebet: „Ich danke Dir, Gott, dass Du Deine Schöpfung so schön gemacht hast. Im Menschen, der Dein Abbild ist, offenbarst Du uns die Schönheit Deiner Liebe!“

Freilich sollten wir unsere Sinne auch stets unter Kontrolle haben. Äußere Schönheit ist nicht alles im Leben. Lassen wir uns zunächst auf die Person ein und lernen sie in ihrer Ganzheitlichkeit kennen. So schwer dies manchem fallen wir: Einer Dame tief in den Ausschnitt zu schauen oder ihr Hinterteil zu begutachten mögen animalische Instinkte in uns sein, gehen aber an der Würde der menschlichen Person vorbei. Vielleicht kann es daher sogar ratsam sein, zu gewissen Personen zunächst Distanz zu halten und sich nicht von ihren körperlichen Reizen überfluten zu lassen. Ein Schritt zurück, ein Blick auf den Boden und andere Abtötungen der Sinne können hier sehr nützlich sein. Lassen wir uns nicht zu Sklaven unserer Sinne und Triebe machen. Allein die Liebe zählt!

Die Reife und Frische der Liebe

Nicht nur die Psychologie, sondern auch die Erfahrung lehrt uns, dass sich Liebe im Laufe der Zeit verändert und weiterentwickelt. Am deutlichsten wird dies etwa bei der Ehe. Wohl kaum jemand wird nach 20 Jahren Ehe dieselben Gefühle empfinden wie beim ersten Kuss als verliebter Teenager. Liebe befindet sich in einem Reifungsprozess. Es ist ein langer Weg vom Verliebt-Sein bis hin zu jener reifen Liebe, die bereit und belastbar genug ist, um Ehe und Elternschaft zu tragen, die auf einer tiefen Treue basiert.

Am Anfang jeder Liebesbeziehung stehen die großen Gefühle. Doch wir alle wissen: Diese Gefühle verfliegen nach einiger Zeit. Gleich beim ersten großen Streit sind sie möglicherweise spurlos verschwunden. Was hält die Beziehung dann noch zusammen? Was bleibt als Grundlage dieser Liebe? – Übrigens gibt es sogar einige Paare, die diese sehr emotionale Phase überspringen – etwa solche, die sich bereits von Jugend auf kennen und bei denen tiefes Vertrauen gewachsen ist. Sollte aus dieser Vertrauensbeziehung plötzlich eine Liebesbeziehung werden, spielen sicherlich auch Gefühle eine große Rolle. Wesentlich für die Beziehung ist allerdings: Ich kenne den anderen mit seinen Stärken und Schwächen und nehme ihn als Person unbedingt an – ein tiefes Grundvertrauen und eine innige Kameradschaft, die weniger auf Gefühlen als auf Erfahrung basiert.

Wer verliebt ist, der erlebt eine Phase der emotionalen Hochstimmung, des Idealismus und der Überschwänglichkeit, zugleich aber auch eine Phase der Blindheit, der Abhängigkeit und der emotionalen Kurzschlüsse. Das lateinische Sprichwort „amantes amentes“ drückt eine einfache Lebenserfahrung aus: Verliebte Menschen verhalten sich wie verrückte Menschen. Diese Erfahrung wird gestützt vom medizinischen Befund: Ein verliebtes Gehirn entspricht einem Gehirn im Drogenrausch. Und hier zeigt sich auch eine der gefährlichen Seiten der Liebe: Wie Drogen so macht auch die Liebe abhängig. „Die Liebe ist eine Krankheit, die nur der geliebte Mensch heilen kann.“1 Menschen, die verliebt sind, neigen zu unüberlegten Aktionen, eben weil ihre Gefühlswelt sie in ihrer Freiheit einschränkt.

Die Antwort auf diese Ambivalenz des Verliebt-Seins lautet: Reife. Lasst Eure Liebe reifen! Nehmt Euch viel Zeit füreinander. Überstürzt nichts. Lernt Euch erst einmal einander kennen, bevor ihr das erste „Ich liebe Dich“ über die Lippen bringt. „Ich bin verliebt in Dich“ ist etwas anderes als „Ich liebe Dich“. Prüft Eure Liebe – aufrichtig, ehrlich und erwachsen. Geht es Euch nur um Sex? Oder empfindet ihr echte Sympathie füreinander, die so weit geht, dass ihr Euer ganzes Leben miteinander verbringen könntet? Nehmt Euch wirklich Zeit und beantwortet gemeinsam diese Fragen, so sehr dies in puncto Ehrlichkeit für einen Verliebten werden könnte: Was bedeutet für mich Liebe?

Wo führt diese Liebe hin? Worin findet diese Liebe ihre Vollendung? Was liebe ich an Dir? Was hasse ich an mir? Worin bestehen unsere Gemeinsamkeiten? Wäre ich bereit mein größtes Hobby für Dich aufzugeben? Wäre ich bereit meinen Beruf für Dich aufzugeben? Bin ich im Falle eines Konfliktes zwischen uns bereit, meine Bedürfnisse und Interessen für Dich zurückzustellen? Kann ich verzichten? Bin ich bereit, Dir auch die Treue zu halten, wenn Du erkrankst oder Dich grundlegend veränderst? Bin ich bereit Verantwortung für Dich und unsere Kinder zu übernehmen?

Wir merken direkt: Liebe ist mehr als Sympathie, Wohlwollen und „Schmetterlinge im Bauch“. Liebe muss auch Verantwortung tragen und ertragen. Sie muss zurückstecken und verzeihen. Sie muss bereit sein zu geben ohne zu nehmen, zu lieben ohne Gegenliebe zu erfahren. Für einige kann das zur wahren Herausforderung werden, gerade wenn nach einigen Jahren Ehe die „Schmetterlinge im Bauch“ verschwungen sind. Wenn dann ausschließlich Sex, nicht aber Liebe Fundament der Ehe war, ist es meist vorbei.

Wenn die Liebe Zeit zum Wachsen hat, so kann sie reifen. Genauso wie neuer Wein (Federweißer) oder junger Käse noch nicht besonders ausdrucksstark und edel sind, so ist auch die junge Liebe oft noch sehr unausgegoren und unreif. Oft geht sie von einem romantisch-idealistischen Verständnis von Liebe aus, das dann später zerbricht. Also: Lassen wir die Liebe reifen, damit sie zart, edel und ausdrucksstark werde.

Und dabei muss reife Liebe noch nicht einmal an ihrer Frische verloren haben. Reifen kann die Liebe nur, wenn sie dabei frisch bleibt. Und frisch bleiben kann die Liebe nur, wenn sie frisch gehalten wird, wenn sie immer wieder erneuert wird und wenn sie im Alltag auch gelebt wird. Wenn Eheleute sich wirklich darum bemühen, einander in Liebe zu begegnen, diese Liebe in kleinen

Gesten des Alltages bekräftigen und daran arbeiten, dass nichts zwischen ihnen steht, bleibt die Liebe auch noch im Alter frisch. Und so passt ein Wort des dänischen Schriftstellers Martin Andersen-Nexö: Liebe bedeutet nicht, miteinander jung bleiben zu wollen. Sondern: miteinander alt werden wollen. Neurologische Untersuchungen bewiesen sogar, dass bei einigen Paaren auch noch nach 20 Jahren Beziehung derselbe Zustand des Verliebtseins herrscht wie „am ersten Tag“. Wahre Liebe und wahres Glück sind also möglich!

Gerade diese Liebe, die die Zeiten überdauert, ist die reinste Form der Liebe. Sie sieht das Gegenüber nicht aus der Brille der Ästhetik, des Egoismus, der Begierde oder eines Nutzenkalküls: Wie viel muss ich Dir geben, damit ich möglichst viel von Dir zurückerhalte? Diese Phasen hat sie längst hinter sich gelassen.

Mit den Worten des hl. Bernhard von Clairvaux: „Wo die Liebe auftaucht, fängt sie alle anderen Triebe ein und überführt sie in Liebe.“ Und darum können sich Liebende auch noch im Alter schön und attraktiv finden – sowohl innerlich als auch äußerlich. „Soviel in Dir Liebe wächst, soviel wächst die Schönheit in Dir. Denn die Liebe ist die Schönheit der Seele“ (hl. Augustinus). Oder mit anderen Worten: Menschen, die sich lieben, sind wie Oldtimer: zeitlos schön!

1 Michael Lukas Moeller, Auf dem Weg zu einer Wissenschaft von der Liebe, Reinbek 2002, S. 15.

Der Beitrag Liebt einander! – Teil 3 erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von Cathwalk verfasst.

]]>
https://www.thecathwalk.de/2016/11/18/liebt-einander-3/?pk_campaign=feed&pk_kwd=liebt-einander-3/feed/ 0
Autostimulation statt Erotik https://www.thecathwalk.de/2016/07/11/autostimulation-statt-erotik/?pk_campaign=feed&pk_kwd=autostimulation-statt-erotik https://www.thecathwalk.de/2016/07/11/autostimulation-statt-erotik/?pk_campaign=feed&pk_kwd=autostimulation-statt-erotik#respond Mon, 11 Jul 2016 05:30:57 +0000 http://thecathwalk.de/?p=5688 Wer sich ein Piercing machen, ein Tattoo stechen lässt oder eine Intimrasur vornimmt, lenkt seine Aufmerksamkeit genau auf die Körperstelle, wo ein solcher „Eingriff“ vorgenommen wird. Das könnte unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet und als „Schönheit“, vielleicht auch provokative Antiästhetik oder Infragestellung ästhetischer Normen diskutiert werden. Auf der rein oberflächlichen Ebene scheint eine solche Erklärung von […]

Der Beitrag Autostimulation statt Erotik erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von The Cathwalk verfasst.

]]>
Wer sich ein Piercing machen, ein Tattoo stechen lässt oder eine Intimrasur vornimmt, lenkt seine Aufmerksamkeit genau auf die Körperstelle, wo ein solcher „Eingriff“ vorgenommen wird. Das könnte unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet und als „Schönheit“, vielleicht auch provokative Antiästhetik oder Infragestellung ästhetischer Normen diskutiert werden. Auf der rein oberflächlichen Ebene scheint eine solche Erklärung von „Körpergestaltung“ oder Bodymodification überzeugend zu sein. Erklärend ist eine solche Beschreibung indes keineswegs. Dies zeigt sich oft schon darin, dass Menschen, mit denen man über ihre Tattoos, Piercings oder Intimrasur reden will, sich in den meisten Fällen lediglich auf die Ebene des Äußeren einlassen. Inwieweit diese „Eingriffe“ auch Hinweis oder Ausdruck einer inneren Befindlichkeit sind, würde, so drängt es sich zumindest oft auf, das konstruierte Selbstbild infrage stellen.

7381546082_fbec7232ff_o
Foto: Steve C / flickr.com Lizenz: CC BY 2.0

von Thomas Holtbernd

Kleidungsstücke können aus- oder angezogen werden. Und wenn eine Frau als besonderen Reiz unter ihrem Rock kein Höschen trägt, so kann sie das stimulieren, weil es ihr Geheimnis ist, mit dem sie spielt. Sie kann jedoch den Slip auch wieder anziehen, wenn es ihr beliebt. Ein Mann kann eine sehr enge Hose tragen, bei der sich seine Genitalien abmalen. Ob er sich nicht vielleicht doch etwas in die Hose gestopft hat, wodurch das Verdeckte mächtiger erscheint, lässt sich nicht wirklich erkennen. In beiden Fällen ist es ein Spiel mit körperlichen Attributen. Der Körper wird in seiner Subjekthaftigkeit gespürt, weil gerade dies durch die Kleidung als Kontrapunkt konstruiert wird. Das Changieren von Subjekt (Körper) und Objekt (Kleidung) entlarvt die mögliche Fixierung auf eine Objekthaftigkeit, denn sobald das Subjekt Körper unter oder hinter der Kleidung nicht mehr wahrnehmbar ist, wirkt der bekleidete Mensch maschinenhaft. Dies hat Henri Bergson als das Komische beschrieben, was uns lachen lässt.

Distanz zum Körper durch Piercing oder Tätowierung

Es mag zunächst widersprüchlich klingen, wenn Bodymodification oder bleibende Veränderungen des Körpers als Distanz zum Körper benannt werden. Eigentlich, so könnte man meinen, ist ein solcher Eingriff deutlich zu spüren und das Ich verbindet sich enger mit seinem Körper. Dem Eingriff geht jedoch die klare Objektivierung des Körpers voraus. Ähnlich einem chirurgischen Eingriff muss ein Plan erstellt werden, möglicherweise ist sogar eine örtliche Betäubung vonnöten. Es werden Messer bzw. ein Rasierer benutzt, um z. B. die Schambehaarung zu entfernen. Es könnte eingewendet werden, dass eine Bartrasur nichts anderes sei. Ein Mann, der sich täglich rasiert, dürfte dieses Tun allerdings kaum mit sexuellen Assoziationen versehen. Die Intimrasur ist dies jedoch zwangsläufig durch die Nähe zu den Geschlechtsorganen. Beim Tätowieren oder Piercing wird der Körper noch eindeutiger zum Objekt der „Verschönerung“ gemacht. Ein Bild oder Motiv muss ausgesucht, der Ort des Eingriffs muss bestimmt werden und in den meisten Fällen wird die „Verschönerung“ von einem Fremden vorgenommen. Damit tritt zwischen Ich und eigenem Körper ein Dritter, der die enge Verbindung zumindest zeitweise aufhebt. Im Gegensatz zum Frisör, zur Maniküre oder Pediküre werden nicht „tote“ Teile des Körpers bearbeitet, sondern lebendige. Dies ist mit Schmerzen verbunden.

Der Beobachter des Körpers

Ein Tattoo, ein Piercing werden betrachtet. Wenn es einmal gesetzt ist, wird es nicht mehr gespürt werden. Den Reiz hat diese bleibende Veränderung nur durch das Betrachten. Das eigene Spüren des Körpers tritt in den Hintergrund. Und der „Schönheitseingriff“ muss irgendwem und irgendwie gezeigt werden. Dies geschieht dann oft so wie Menschen auf ihrem Smartphone anderen ein Bild zeigen. Es kann auch sein, dass der Reiz gerade darin besteht, die „Schönheit“ nicht zu zeigen, sondern als Geheimnis zu bewahren und nur dem zur Beobachtung zu präsentieren, der es „wert“ ist, diese Intimität zu sehen. In jedem Fall ist der Körper in Distanz gebracht und eine mögliche Stimulation erfolgt über das Sehen und nicht über das Spüren. Auch bei einer Intimrasur ist das Empfinden äußerlich, es wird gesehen oder durch Berühren haptisch erfahren. Die innere Erfahrung wird quasi ausgeschlossen. Ist bei einer Intimrasur die Assoziation mit dem kindlichen Körper und der kindlichen Unschuld verbunden, die den geschlechtsreifen Körper noch nicht erkannt hat, so wird gerade dann, wenn ein Erwachsener so kindlich erscheint, eine Objektivierung des Körpers notwendig, so ist es beim Tätowieren die Verdeckung des Nacktseins. Das Piercing lenkt dagegen vom nackten Körper ab, indem der Blick auf den Stecker, den Ring o. ä. gelenkt wird.

Der Zwang zum Weitermachen

Da die Stimulation durch Piercing, Tätowierung oder bedingt auch Intimrasur kein Erlernen einer inneren Stimulation ist, die durch Fantasie grenzenlos sein kann, muss der Eingriff weitergehen. Die Stimulation geschieht durch das nächste Tattoo oder das noch schmerzhaftere oder „tabubesetztere“ Piercing. Die an eine solche Körperlichkeit gebundene Sexualität wird immer mehr zu einer Ipsation. Die Selbstverliebtheit in den eigenen Körper steigt und Sexualität wird zur Selbstbefriedigung, die durch die „bewundernde“ Betrachtung eines Anderen aufrechterhalten wird. Es entstehen pornografische Dimensionen der Sexualität. „Feuchtgebiete“ oder „Fifty shades of grey“ werden zu Vorlagen für die eigenen Sexpraktiken, bei denen man sich beobachtet wie in einem Drehbuch. Auch hier muss es härter oder weiter gehen. Das Ziel wird bestimmt durch das Erreichen dessen, was in solchen Büchern oder Filmen vorgelegt wird.

Lust ist selbstgemacht

Eine Erotik, die jenseits einer solchen Beobachtungskultur steht, ist davon geprägt, dass die Stimulation gegenstandslos und du-bezogen ist. Erotik, die fern pornografischer Unmittelbarkeit ist, bezieht sich nicht auf das konkret Körperliche. Das Konkrete, das stimulierend wirkt, ist ein Produkt der eigenen stimulierenden Fantasie. Indem der eine Sexualpartner sich erregt durch eingebildete – und eben nicht sichtbare und konkrete – Attribute des anderen, stimuliert er den Anderen. Dieser wiederum lässt sich „manipulieren“ und reagiert mit dem Überschreiten eigener Begrenzungen oder Schamhaftigkeiten. So ergibt sich eine Spirale gegenseitiger Luststeigerung. Die durch Tattoos, Piercing oder Intimrasur scheinbar gesteigerte Lust ist lediglich eine beobachtbare Reizung, die nicht notwendigerweise auch das innere Spüren eines Angetanseins des körperlichen und sexuellen Daseins des Anderen ist. Es ist letztlich die Abblockung der fantasievollen Kraft des Gegenübers, die das Gewöhnliche oder zur Gewohnheit Gewordene überwinden möchte. Und möglicherweise ist daher eine „richtig“ gelebte Sexualität die Voraussetzung für eine „gute“ Liebe. Die Schwierigkeit vieler Menschen, einen Partner oder Partnerin zu finden, wäre folglich nicht die Liebesunfähigkeit, sondern die Unfähigkeit, Sexualität gelungen zu leben.

Dieser Artikel erschien auf hinsehen.net und darf mit freundlicher Genehmigung des Autors hier veröffentlicht werden.

Der Beitrag Autostimulation statt Erotik erschien zuerst auf cathwalk.de und wurde von The Cathwalk verfasst.

]]>
https://www.thecathwalk.de/2016/07/11/autostimulation-statt-erotik/?pk_campaign=feed&pk_kwd=autostimulation-statt-erotik/feed/ 0