Montag, 29. April 2024

Pater Franz Schmidberger: Ehrfurcht und Ehrfurchtslosigkeit

Eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes ist die Furcht, das heißt die Ehrfurcht vor Gott und Göttlichem, die Ehrfurcht vor dem Schöpfer und seiner Schöpfung. Wie sehr uns heute der Heilige Geist, der Geist Jesu Christi fehlt, wird an der Ehrfurchtslosigkeit unserer Tage in erschreckender Weise offenkundig.

Erstens: Der moderne, aufgeklärte Mensch weiß nichts mehr von der Erhabenheit, Majestät und Heiligkeit Gottes, noch von der Absolutheit der Wahrheit, die ein Name Gottes ist. Für ihn ist Gott allenfalls ein Partner, mehr noch eine Funktion seiner eigenen Wohlstandsbedürfnisse. Gott ist für ihn reine Liebe unter Ausschluß Seiner Gerechtigkeit. Anbetung Gottes, demütige Unterwerfung unter die Pläne seiner Vorsehung, freudiges Annehmen seines Willens, sind ihm fremd. Die Menschenrechte, das freie Gewissen, der grenzenlose Egoismus treten an die Stelle der Gottesrechte. Der heilige Paulus spricht im zweiten Thessalonicherbrief (2, 10) im Zusammenhang mit dem Auftreten des Antichristen davon, die Menschen hätten die Liebe zur Wahrheit, die sie retten sollte, sich nicht zu eigen gemacht. Der Relativismus und die religiöse Gleichgültigkeit sind eine besondere Form der Ehrfurchtslosigkeit unserer Tage. Komm, Heiliger Geist, und erfülle uns mit dem Geist der Ehrfurcht Demjenigen gegenüber, dessen Majestät die Engel loben, die Herrschaften anbeten und die Mächte zitternd verehren!

Zweitens: Wer Gott im allgemeinen die Ihm geschuldete Ehrfurcht nicht entgegenbringt, der erweist sie auch nicht dem eucharistischen Herrn. Mit Schmerz schauen wir die Verbannung des Tabernakels aus dem Zentrum unserer Heiligtümer vom Opferaltar in eine Ecke der Kirche, hinter eine Säule, weil der geheimnisvoll gegenwärtige Gottmensch den „mündigen Christen“ stört. Wo aber Gott aus dem Zentrum unserer Heiligtümer entfernt wird, da wird Er auch bald Seinen zentralen Platz im christlichen Leben räumen müssen. Der Empfang des hochheiligen Gutes im Stande der Todsünde ist ein schrecklicher Gottesraub und gereicht dem Menschen nicht zum Segen, sondern zum Gericht (1 Kor. 11, 29). Ehrfurchtslosigkeit ist die vergiftete Quelle der Steh- und Handkommunion. Der moderne, liberale Mensch will vor seinem Gott nicht mehr auf die Knie fallen, er ist mündig und stellt sich seinem Schöpfer in stolzer Selbstbehauptung gegenüber. Und was geschieht mit all den unbeachtet zu Boden fallenden Teilchen oder manchmal ganzen Hostien? Nach dem Tode Johannes Pauls II. konnte man im Internet eine Hostie ersteigern, die in einer der Messen des verstorbenen Pontifex konsekriert worden ist. Ist dies nicht ein unbeschreiblicher Frevel? Komm, Heiliger Geist, und erfülle uns mit tiefer Ehrfurcht der Eucharistie als Opfer, als bleibende Gegenwart und als Kommunionsakrament gegenüber!

Drittens: Ehrfurchtslosigkeit hat sich des Geistes und des Herzens der Theologen im Umgang mit der Heiligen Schrift bemächtigt. Stellen, die ihnen mißfallen, wie z.B. die Fluchpsalmen, streichen oder fälschen sie; die Wunderberichte im Neuen Testament sind für sie phantasievolle Ausschmückungen eines vielleicht wahren Kerns. Sie zensurieren schlicht und einfach den Heiligen Geist, indem sie bestimmen, was Er gesagt haben darf und was nicht. Diesen aufgeklärten Kirchenmännern fällt es auch nicht schwer, Hand an die Wandlungsworte zu legen und lügnerisch zu behaupten, Christus habe im Abendmahlssaal gesagt, sein Blut werde für alle vergossen. Sie legen also unserem Herrn falsche Aussagen in den Mund. Für sie ist die Heilige Schrift nur Menschenwort, keinesfalls ist der Heilige Geist ihr Haupturheber. Ein erschütterndes Beispiel dafür ist die Leugnung eines großen Teiles der Wunder im Buch von Kardinal Kasper Jesus, der Christus. Komm, Heiliger Geist, und erfülle diese Theologenschaft und uns selbst mit ehrfurchtsvollem Sinn gegenüber Deinem unveränderlichen und unvergänglichen Wort!

Viertens: Unsere Kirchen und Heiligtümer sind längst nicht mehr Stätten der Andacht, der Sammlung und des Gebetes. Im besten Fall sind sie noch Attraktion für schlecht gekleidete Touristen, von denen keiner mehr eine Kniebeuge vor dem wahrhaft, wirklich und wesenhaft gegenwärtigen eucharistischen Gott macht. Sind die jährlich in Deutschland immer wiederkehrenden Narrenmessen im Fasching nicht ein einzigartiges Ärgernis? Dazu kommen die schrecklichen Jugend-„Gottesdienste“ mit Disco-Atmosphäre, Coca-Cola und Chips. Dereinst flocht Jesus eine Geißel und trieb die Händler und Verkäufer aus dem Tempel von Jerusalem mit den Worten: „Mein Haus ist ein Haus des Gebetes, ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.“ Komm, Heiliger Geist, und mache aus unseren zu Räuberhöhlen gewordenen Kirchen und Heiligtümern wieder ein Haus des Gebetes!

Fünftens: Unsere Vorfahren wußten genau zu unterscheiden zwischen Sonntag und Werktag, weil sie das dritte Gebot Gottes und das entsprechende Gebot der Kirche mit all ihren Folgerungen kannten. Sie ruhten am Tag des Herrn von der Arbeit der Woche, nahmen am öffentlichen Kult der Kirche teil, beteten und bildeten sich im Glauben weiter, verbrachten diesen besonderen Tag im Kreise der Familie und oblagen den Werken der Nächstenliebe. Der säkularisierten Gesellschaft ist diese Unterscheidung vollkommen abhanden gekommen. Und das beginnt bei der Kleidung: Der sonntägliche Anzug und das sonntägliche Kleid sind im besten Fall durch Freizeitkleidung und den Sportaufzug ersetzt, oft durch T-Shirt, Blue Jeans und Tennisschuhe. Der Sportplatz wird zur modernen Kathedrale. Die Bauern bestellen ihre Felder und bringen ihre Ernte am Werktag wie am Sonntag ein. Die Lastwagen rollen mehr und mehr sieben Tage von sieben Tagen in der Woche auf den Straßen, die Läden sind am Sonntag wie am Werktag geöffnet. Wissen unsere heutigen Katholiken noch, was geschlossene Zeiten sind? So werden die Advent- und Fastenzeit bezeichnet, die erste als Vorbereitung der Geburt, die zweite als Vorbereitung des Leidens und der Auferstehung des Herrn, Vorbereitung in Stille, Gebet und Buße, wo früher jede feierliche Hochzeit und jegliche weltliche Lustbarkeit ausgeschlossen war. Aber lang, lang ist’s her… Komm, Heiliger Geist, und erneuere in uns den Geist für die heiligen Zeiten Gottes, insbesondere für den Sonntag, damit wir diesen wieder begehen als Erinnerungsfest an die Auferstehung Christi in Ruhe, Gebet und Werken der Nächstenliebe und die Weihwasserausteilung am Beginn des feierlichen Gottesdienstes als Erinnerung an unsere Taufe begreifen!

Sechstens: Ehrfurchtslosigkeit macht sich auch gegenüber den gottgeweihten Personen bemerkbar, gegenüber Bischöfen, Priestern und Ordensleuten; und dies ist in erster Linie deren eigene Schuld. Oder sind die heutigen Priester und Ordensleute selbst noch von Ehrfurcht ihrem eigenen Beruf gegenüber erfüllt? Tragen sie stolz als Zeugen Jesu Christi die entsprechende Kleidung, verhalten sie sich als Gottgeweihte, sind sie wirklich das Licht der Welt – oder werfen sie sich nicht vielmehr selbst weg im Buhlen um das Wohlwollen der Welt und um die Gunst der Jugend, von der sie sich mit dem Vornamen und mit Du anreden lassen? „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz schal wird, womit soll man es salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; man wirft es hinaus, und es wird von den Leuten zertreten“ (Matth 5, 13). Wo die Selbstachtung fehlt, da geht auch bald die Achtung bei Untergebenen und in der Umgebung verloren. Komm, Heiliger Geist, und erfülle die Gottgeweihten mit Ehrfurcht ihrem Beruf und ihrer Sendung gegenüber!

Siebtens: Die Ehrfurcht vor den Eltern ist auf einen unvorstellbaren Tiefpunkt gesunken. Noch vor fünfzig Jahren gab es hierzulande Kinder, die ihre Eltern mit Ihr anredeten; und dies war nicht höfische Verzierung oder Barockgeschnörkel, sondern Ausdruck der Achtung denjenigen gegenüber, die an der Autorität Gottes teilhaben. Heute reden Kinder ihre Eltern nicht nur mit dem Vornamen an, sondern leiten einen Prozeß wegen einer Ohrfeige gegen diejenigen ein, die ihnen das Leben geschenkt haben und somit nach Gott ihre größten Wohltäter auf Erden sind. Das 1. Gebot auf der 2. Gesetzestafel des Dekalogs schärft uns gerade diese Ehrfurcht ein: „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden.“ Gleichermaßen ist die Ehrfurcht vor dem Alter, dem grauen Haar und der christlichen Lebensweisheit verschwunden. Komm, Heiliger Geist, und gieße unserem Herzen den Geist der Ehrfurcht Eltern, Vorgesetzten und dem Alter gegenüber ein!

Achtens: Nicht besser bestellt ist es mit der Ehrfurcht vor der kirchlichen und weltlichen Autorität. Wir alle wissen, daß die Träger der einen und der anderen nicht immer die würdigsten Männer sind; viele sind heute sogar ausgesprochen verdorben, vertreten allein Parteiinteressen oder suchen ihre eigene Ehre, ein dickes Portemonnaie und eine entsprechende Machtstellung. Und doch müssen wir sie achten, nicht wegen ihrer Würdigkeit, sondern weil sie teilhaben an der Autorität Gottes: Omnis potestas a Deo – Alle Gewalt kommt von Gott, sagt der hl. Paulus (Röm. 13,1); und er fährt fort: Wer darum der Gewalt widersteht, widersteht Gott.

Zwei Beispiele lassen uns diese Achtung unwürdigen Autoritätsträgern gegenüber verstehen, das eine aus dem weltlichen, das andere aus dem geistlichen Bereich genommen:

a) Als Gott Saul, den ersten König in Israel, wegen seines Ungehorsams verwarf und im Verborgenen David an seiner Stelle erwählt hatte, da begann Saul eine schreckliche Verfolgungsjagd, um David zu töten. Bei dieser fiel Saul selbst zweimal in die Hände Davids, der ihn hätte leicht unschädlich machen können; doch er verwehrte es sich mit den Worten: „Ich will mich nicht an meinem Herrn vergreifen, denn er ist der Gesalbte des Herrn.“ (1 Kg. 24, 11).

b) Mit dem Tode Jesu ist das Alte Testament aufgehoben, der Neue und Ewige Bund in Seinem Blut gestiftet – das Zerreißen des Vorhangs im Tempel läßt dies sinnfällig erkennen. Also ist das Hohepriestertum erloschen, der Hohepriester als solcher hat keine wahre Autorität mehr inne. Paulus wird nun eines Tages vor den Hohen Rat geschleppt, um sich wegen seiner Tätigkeit als Apostel Jesu Christi zu verantworten. Da er sich zu verteidigen beginnt, läßt ihn der Hohepriester Ananias auf den Mund schlagen. Paulus ist darüber empört und nennt ihn eine übertünchte Wand; doch die Umstehenden verweisen es ihm: „Du schmähst den Hohenpriester Gottes?“ Und Paulus entschuldigt sich: „Brüder, ich wußte nicht, daß es der Hohepriester ist. Es steht allerdings geschrieben: Den Vorsteher deines Volkes sollst du nicht schmähen“ (Apg 23, 5). Komm, Heiliger Geist, erfülle Vorgesetzte und Untergebene mit Deiner Gnade, damit erstere ehrenhaft, würdig und weise ihre Autorität ausüben, letztere in Liebe und Hingabe gehorchen.

Neuntens: Wer die Ehrfurcht Gott gegenüber mit Füßen tritt, bei dem kann sie auch dem Menschen gegenüber nicht hoch im Kurs stehen. Wer konsekrierte Hostien dem Zertretenwerden preisgibt, der wird auch bald den Menschen und das natürliche Leben als Wegwerfware ansehen. Was wir schon öfters sagten, wiederholen wir hier: Zwischen Handkommunion auf der einen Seite und Abtreibung und Euthanasie auf der anderen Seite besteht ein enger Zusammenhang: Wer den Schöpfer nicht anbetet, der kann der Schöpfung nicht in Ehrfurcht begegnen; wer Gott mißachtet, verachtet bald auch den Menschen. Komm, Heiliger Geist, und lehre uns die Ehrfurcht vor dem Menschen, der geschaffen ist nach dem Ebenbild Gottes und in der Taufe gar zu seinem Gleichnis wurde!

Zehntens: Schließlich ist die Ehrfurcht vor der Schöpfung insgesamt als dem Werk Gottes durch Materialismus und Funktionalismus fast ganz erstorben. Die Erde wird nicht mehr bebaut, gepflegt, kultiviert, sondern ausgebeutet. Künstliche Befruchtung, Genmanipulation, Stammzellenforschung und Klonen sind sündhaftes und verbrecherisches Tun, der Ordnung Gottes vollkommen entgegengesetzt, wo sich der Mensch an die Stelle Gottes setzt; noch mehr die jetzigen Bemühungen von „Wissenschaftlern“, aus Kreuzungen von Mensch und verschiedenen Tierarten Schimären zu züchten.

Auch dem menschlichen Leib gebührt Ehrfurcht, insbesondere wenn er von einer getauften Seele bewohnt ist oder war: Selbst der im Sarg ruhende Leichnam wird in die Kirche getragen, mit Weihwasser besprengt und inzensiert, um anschließend, dem Weizenkorn gleich, in die Erde gesenkt zu werden. Die um sich greifende Kremation ist ein brutales Zerstörungswerk und mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar; dazu steht sie oft im Zusammenhang mit der Leugnung der leiblichen Auferstehung.

Die Ehrfurcht drückt sich auch in der Kleidung aus, welche den Leib bedecken und nicht entblößen soll. Schamlose Kleidung wie auch die Einebnung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern gemäß der Gender-Ideologie sind der Würde und Bescheidenheit der Frau entgegengesetzt. Sie stehen nicht im Einklang mit den Gesinnungen des Schmerzensmannes von Golgotha und Seiner reinsten Mutter, sondern sind eher eine Anleihe bei Emanzentum und Feminismus. Komm, Heiliger Geist, und lehre uns die Ehrfurcht vor Gottes Werk, in dem jedes Geschöpf gut ist und die Gesamtheit der Geschöpfe in ihrer gegenseitigen Harmonie und gesetzmäßigen Zuordnung sehr gut war, aber durch menschliche Ehrfurchtslosigkeit schwer entstellt ist!

Führen wir vier Folgerungen aus unseren Überlegungen an:

  1. Die christliche Kultur ist wesentlich Ehrfurcht in Unter- und Überordnung, Befehlen um des Wohles der Untergebenen willen, Gehorchen um Gottes willen. Zu dieser Kultur, die Adel, Würde und Schönheit ausstrahlt, muß uns der lebendige Gottesgeist zurückführen.
  2. Gott zu erkennen, Ihm in Ehrfurcht zu dienen, ist wesentlich christlicher Lebensvollzug. Darum bezeichnet sich Diejenige, die der Sitz der Weisheit ist, als die Mutter der schönen Liebe und der Gottesfurcht, der Erkenntnis und der heiligen Hoffnung (Eccli 24, 24). Zwischen Gotteserkenntnis und Ehrfurcht steht demnach ein wesentlicher Zusammenhang. Darum müßte die Glaubensvermittlung das brennendste Anliegen der Bischöfe sein.
  3. In Psalm 110, den wir jeden Sonntag in der Vesper beten oder singen, heißt es: Initium sapientiae timor domini. Der Anfang aller Weisheit ist die Furcht des Herrn. Weil uns die Furcht Gottes abhanden gekommen ist, ist diese nachchristliche Gesellschaft so töricht.
  4. Schließlich ist die Ehrfurcht eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes, um die es täglich zu beten und zu flehen gilt: Komm Heiliger Geist, du Geist der Wahrheit, der Liebe und der Ehrfurcht, erneuere die Geister und die menschlichen Herzen, erneuere das Angesicht der Erde. Amen.

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