Freitag, 13. Dezember 2024

Mit Bonhoeffer ins neue Jahr

Von Rut Müller

Rut
Rut Müller lebt in Berlin und wurde über die Lektüre der „Brautbriefe Zelle 92“ auf den protestantischen Theologen Dietrich Bonhoeffer aufmerksam, der sie als Katholikin überrascht und tief beeindruckt hat.

Am Jahresende schauen wir üblicherweise zurück auf die vergangenen Wochen und Monate, ziehen eine Bilanz. Die meisten Menschen machen daraufhin gute (?) Vorsätze für das neue Jahr. Erstaunlich oft sind diese Vorsätze identisch mit denen des vorjährigen Silvestertages. Sobald wir uns über diese traurige Tatsache klarwerden, denken wir: „Aber im nächsten Jahr schaffe ich das bestimmt! 2016 werde ich mich zweifellos hier und da zum Besseren verändern, meinen Karriereweg konsequenter beschreiten, mich adäquater verhalten und zurückkehren zu manchem, was sich bewährt hat.“

Wir Katholiken hatten übrigens im Dezember schon zweimal Gelegenheit, den Beginn eines neuen Jahres zu feiern: Am ersten Adventssonntag, dem 29. November, begann das neue Kirchenjahr, neun Tage später, am 8. Dezember, ein außerordentliches Heiliges Jahr, welches Papst Franziskus bereits am 12. April ausgerufen und der Barmherzigkeit gewidmet hatte.

Ob dieses Heilige Jahr zur wirklichen und wahrhaften Heiligung der Christenheit gereicht und so zu einer nachhaltigen Verbesserung der „Lebenswirklichkeiten“ in den Gesellschaften führen wird… – nun, das entscheidet sich zum einen im Herzen jedes einzelnen Gläubigen, an deren Bereitschaft, Barmherzigkeit dort zu üben, wo sie vonnöten und möglich ist; entscheidet sich aber auch an der Bereitschaft, die angebotene Barmherzigkeit anzunehmen, sich von ihr aufrichten und neu ausrichten zu lassen.

Spätestens seit den Pariser Anschlägen dürfte das unbeschwerte Vertrauen in das neue Jahr nachhaltig erschüttert sein. Hinzu kommt, dass die Flüchtlingsströme, über die rund um die Uhr berichtet wird, zwangsläufig gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen werden. An die Stelle von Zuversicht tritt deshalb wahrscheinlich bei vielen Leserinnen und Lesern eine Beklemmung. Kann Deutschland den Flüchtlingsstrom ohne Europa bewältigen?

Wie stark wird sich der Islam aufgrund der demografischen Entwicklung in zehn oder zwanzig Jahren in Deutschland präsentieren, nachdem Hundertausende junge muslimische Flüchtlingsfamilien einer Gesellschaft zugeführt worden sind, die bereits zu 35% konfessionslos ist, in der 90% der Frauen die Erwerbstätigkeit der Kindererziehung vorziehen bzw. aufgrund des Status „Alleinerziehend“ vorziehen müssen, fast 80% der Frauen erst nach der Stabilisierung ihrer beruflichen Karriere Mutter werden möchten und sich zudem durch mehr als ein oder zwei Kinder überfordert fühlen. Von den potentiellen Vätern ganz zu schweigen, die in Kindern häufig nur Spaßbremsen und Kostenfaktoren sehen.

Wir Cathwalkers jedenfalls möchten das neue Jahr zuversichtlich, ein wenig ausgelassen und mit viel Gottvertrauen ganz im Sinne von Dietrich Bonhoeffer beginnen, der uns ein Gedicht hinterlassen hat, das sich zeitloser Aktualität erfreut und welches wir Euch heute zur Lektüre, zur Betrachtung, ja sogar zum Gebet empfehlen möchten.

Dietrich Bonhoeffer war Pfarrer der Bekennenden Kirche, Theologe im Widerstand gegen die Nationalsozialisten und die Märtyrer-Ikone des Protestantismus schlechthin. 39 Jahre alt ist er nur geworden und hat dennoch wie kein anderer Theologe des 20. Jahrhunderts nachgewirkt. Nicht nur im deutschen Protestantismus, sondern auch in die Ökumene hinein, ja bis in den Vorhof und weit über die Grenzen seines Heimatlandes und Europas hinaus. Seine Sprache war eine klare, aus der man vieles herauslesen kann, deren Worte sich aber trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihrer Eindeutigkeit auf viele verschiedene Bereiche anwenden lassen. Am 9. April vor 1945 Jahren wurde er auf persönlichen Wunsch Hitlers hingerichtet, wenige Tage vor Kriegsende. Mit ihm verbindet sich das Bild des aufrechten Christen und Widerstandskämpfers, der erhobenen Hauptes zum Galgen schritt und sich bis zuletzt von guten Mächten wunderbar geborgen wusste.

Bonhoeffer, 1906 in Breslau geboren, war bereits zu einer Zeit auf dem internationalen Parkett unterwegs, als dies noch eine ausgesprochene Seltenheit war und machte schnell Karriere: Dissertation und Habilitation in Theologie. Stationen in Rom, Barcelona und New York und mit nur 25 Jahren schon Dozent für Theologie in Berlin. Freunde und Wegbegleiter attestieren ihm eine Weltoffenheit, wie sie für diese Zeit außergewöhnlich war. Er begegnete beispielsweise Ausländern nicht mit Misstrauen, sondern mit einer entwaffnenden Neugier.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 schloss sich Bonhoeffer der Bekennenden Kirche an, einer Oppositionsbewegung evangelischer Christen, die eine Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus ablehnten und sich damit gegen weite Teile der offiziellen Kirchenleitung stellten. Für Bonhoeffer war die Bekennende Kirche die einzig wahre Kirche in Deutschland.

Ab 1940 kam er in der Widerstandsgruppe um Generalmajor Hans Oster und Admiral Wilhelm Canaris in Kontakt zum politischen Widerstand, welcher unter dem Deckmantel der militärischen Abwehr operierte. Zwar war er am Stauffenberg-Attentat auf Hitler planerisch nicht beteiligt, nutzte aber für Teile des Widerstandes seine Kontakte zu Kirchenleuten. Das reichte den Nationalsozialisten bereits für eine Inhaftierung. Am 5. April 1943, noch bevor er seine Verlobung mit Maria von Wedemeyer bekannt geben und mit ihr zusammen den gemeinsamen Lebensweg planen konnte, wurde Bonhoeffer verhaftet und in das Militäruntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel verbracht.

In seinem letzten Brief vor der Hinrichtung, den er am 19. Dezember 1944 aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamtes an seine Braut Maria von Wedemeyer schrieb, fügte Bonhoeffer „ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen“ als „Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister“ an. Dieses persönlich-biografische Gedicht bezog sich auch auf seine eigene Situation als Gefangener und die seiner Familie vor dem unausgesprochenen Hintergrund der NS-Herrschaft. In den Wirren des Kriegsendes über Buchenwald nach Süddeutschland transportiert, ereilte ihn kurz vor der Befreiung der Alliierten ein „Standgericht“, das von Hitler persönlich angeordnet worden war. Dietrich Bonhoeffer starb am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg.

Am Anfang des erwähnten Briefes schrieb Bonhoeffer: „So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du und die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid immer ganz gegenwärtig. […] Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: ,zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken‘, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsene heute nicht weniger brauchen als die Kinder.“

Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr. 

Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand. 

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz. 

Laß warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang. 

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Aus: Eberhard Bethge: Erstes Gebot und Zeitgeschichte. Aufsätze und Reden 1980 – 1990, Chr. Kaiser Verlag, München 1991 in der korrigierten Fassung nach erstmaliger Sichtung einer Xerokopie des Originalbriefes. Dank an Dipl.-Phys. Wilfried Schulz aus Berlin vom BONHOEFFER-Freundeskreis Region Mitte (Berlin-Brandenburg)

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Weitere Informationen

Mit seinem Gebet „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ gibt Bonhoeffer uns den Boden, auf dem wir an diesem heutigen Tag als Christen fest stehen können, Korken knallen, Champagnergläser erheben, genussvoll schlemmen und das überschäumende Farbenmeer am Himmel genießen, ohne das Unbequeme und Schwere ausblenden zu müssen. Sowohl im eigenen Leben als auch auf der landes- oder weltpolitischen Bühne.

In diesem Sinne: Prosit Neujahr!

2 Kommentare

  1. Endlich wieder ein in sich stimmiger Artikel (hätte fast von mir sein können) wie zuletzt beim Interview mit Seewald jr. und auch dem ein oder anderen Beitrag zuvor – Und eben deshalb steht zu fürchten, dass in unserer bunten und grellen Internetmedien-Gesellschaft kaum eine Resonanz in Form von Kommentaren oder „Likes“ sichtbar wird.
    Zu Bonhoeffers Zeiten (eigentlich zu allen Zeiten vor der unsrigen hatte man – was das Agieren als soziales Wesen in der Öffentlichkeit betrifft – grob formuliert lediglich die Wahl zwischen „Christ sein“ oder „Nicht Christ sein“, aus dem christlichen Selbstverständnis heraus agieren oder schweigen. In der geringen Zahl an Optionen mag auch der Grund zu finden, warum uns historische Personen wie Bonhoeffer so faszinieren, uns regelrecht ins Auge springen. Sie hatten eine klare Überzeugung und feste Ziele. Sie haben nicht erst Monate oder gar Jahre darüber diskutiert, ob eine Gefahr für den einzelnen Christen oder das Christentum im Ganzen auch wirklich eine Gefahr ist, ob etwas mit der Lehre unseres Herrn und seiner Kirche vereinbar ist oder nicht, sie WUSSTEN aufgrund ihrer festen Überzeugung und ihres unvermischten Glaubens, dass es so war. Sie fühlten das instinktiv. Ihr sensus fidei war gepaart mit einem Sensus für das Gefahrenpotential, das in bestimmten Bereichen weltlichen Handelns schlummerte oder gar schon in Entwicklung begriffen war.
    Sie – und so auch Bonhoeffer – waren das, was sie waren – ohne es „irgendwie“ zu sein. Heute ist man „irgendwie katholisch“ oder findet etwas „irgendwie krass cool“. Heute steht nicht mehr Weiß (hier symbolisch für Christus und das Christentum) gegen Braun oder Rot – heute mag man niemanden mehr „erschrecken“, irritieren, abweisen durch das Tragen einer Farbe; heute möchte man lieber schillern als Farben tragen. Und so ist in unserer Zeit Weiß vor allem darum besorgt, dass man zu viele Flecken auf ihm erkennen könnte und strebt deshalb danach, im lauwarmen Wasser eines bunten Meers einzutauchen. Bunt aber ist keine Farbe, bunt ist kein Standpunkt. Bunt ist die Furcht vor einem klaren Ja oder Nein, Bunt ist Verwirrung. Die Waffe Gottes ist das strahlende Weiß – die Waffe des Menschen- und Seelenmörders von Anbeginn ist die Buntheit, denn sie macht gottvergessen!

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