Freitag, 26. April 2024

Warum es in der Fastenzeit nicht um MICH geht – Wider den geistigen und körperlichen Detox

Die Kirche wehrt sich gegen den Weihnachtsmann und Coca Cola, die steigenden Preise für Ostergeschenke und allen möglichen „Kommerz“, der um ihre Feste getrieben wird – was ist mit der Kommerzialisierung des Fastens?

Für gewöhnlich finde ich es wohlfeil, sich über die „Kommerzialisierung“ von irgendwas aufzuregen.

Klar, es kotzt mich an, dass es schon vor Aschermittwoch Ostereier zu kaufen gab und auch, dass diverse amerikanische Jodelschnepfen nichts besseres zu tun haben, als jedes Jahr Schicht um Schicht Zuckerguss auf das aufzutragen, was in den USA noch von Weihnachten übriggeblieben ist, auch das nervt. Allein: Keiner zwingt mich, das alles zu konsumieren.

Aber während Ostern und Weihnachten irgendwie als Jubelfeste immer auch mit wohligem Konsum verknüpft waren – Weihrauch, Festtagskleider, Gänsebraten – war es die Fastenzeit nicht.

Die Vermarktung des Fastens

Die Fastenzeit ist genau das Gegenteil von Es-mir-gutgehen-lassen. Das scheint aber niemanden davon abzuhalten, mir anlässlich derselben ständig Dinge verkaufen zu wollen. Produkte, die MIR nutzen sollen, die MICH schöner, glücklicher, entspannter, fitter oder konzentrierter machen sollen.

Ein besonderer Dorn im Auge ist mir dabei der Begriff „Detox“. Tees, Säfte, „Superfoods“ und allerlei Menschen-Kraftfutter werden unter dem Hinweis vermarktet, sie seien eine modernere Form des Fastens. Für diejenigen, die sich nicht vierzig Tage nur von püriertem Obst und Radieschenkraut ernähren wollen – oder dies bereits das ganze Jahr über tun – gibt es Selbstoptimierung auch als immaterielle Leistung. Bücher, Beratung oder Workshops („Retreats“), die Hilfe beim Detox des eigenen Lebens, des Kleiderschranks, des Freundeskreises oder der Wohnung bieten, florieren nicht minder. Danach fühle man sich befreit, entschlackt, im Einklang mit seiner Umgebung, voller Energie, nebenbei nehme man noch ab und bekäme einen Blick für das Große und Ganze und all das garantiert ohne Verzicht.
Das muss man ja nicht kaufen, könnte jetzt der aufmerksame Kritiker sagen, der den ersten Absatz gelesen hat. Muss man auch nicht, denn das Problem ist: es ist ansteckend.

Die Idee des „wirtschaftlichen“ Fastens wird unreflektiert übernommen

Von der Kanzel und im Pfarrgemeinderat kann man wortwörtlich die gleichen Versprechen hören: „Im Fasten gewinnen wir Stärke, weil wir den Blick für das Wesentliche schärfen.“,
„Ich mach ja Heilfasten. Fünf Kilo sind schon runter.“
„Auf unserer Exerzitienwoche wollen wir unsere Achtsamkeit und den Blick für uns selbst üben.“ „Fasten heißt nicht hungern, Fasten heißt, sich vom Überflüssigen befreien.“

Analysieren wir aber solche Aussagen, dann geht es bei all diesen Fastenübungen um mich, mich und nochmal: mich. Genau wie von den Smoothies soll ICH schlanker werden, soll ICH aufmerksamer werden, soll ICH rein werden. Es geht Personen mit den zitierten Ansichten niciht darum, Demut gegenüber Gott und ein Bewusstsein für die eigene menschliche Schwäche zu erlangen, sondern darum, eben diese Schwäche auszumerzen und das Selbst zu perfektionieren. Nun leugne ich nicht, dass Fasten eben einen positiven Effekt auf Körper und Geist haben kann und dass Fasten auch noch aus mehr besteht, als dem bloßen Verzicht. Aber Verzicht ist es eben, der diese Zeit von allen anderen Zeiten abgrenzt und besonders macht.

Es gibt eine religionsökonomische Theorie, die besagt, dass es drei Formen von Religiosität gibt: solche, die überwiegend wirtschaftlich denken, solche, die bewusst gegen wirtschaftliches Denken verstoßen und drittens deren Mischform: solche, die vom Prinzip her wirtschaftlich denken, aber den ökonomischen Exzess, die Verschwendung, das Opfer in bestimmten eng umrissenen Rahmen zulassen, quasi die regulierte Unwirtschaftlichkeit.

Beispiele für streng wirtschaftlich denkende Religionen sind klassische Polytheismen, bei denen für dargebrachte Gaben von den Gottheiten konkrete Gegenleistungen erwartet werden oder bestimmte reformierte Kirchen, in denen wirtschaftliches Handeln im weltlichen Bereich tugendhaft und jede Verschwendung (Kunst, Mode, Festessen) Sünde ist. Rein unwirtschaftliche Religionen verlangen oft die komplette Hingabe des Menschen selbst, wie beispielsweise bei religiösen Gruppen, die geschlossen in den Tod gehen. Der Katholizismus hingegen akkommodiert vom Prinzip her das wirtschaftliche Denken des Menschen, lässt aber Raum für den unwirtschaftlichen Exzess. Die Fastenzeit war in ihrer ursprünglichen Form so ein Raum. Man selbst opferte, man brachte Zeit, Mühen und Energie auf und es brachte nichts. Wer fastet und sich am Ende denkt, „Ach, das könnte ich jetzt weitermachen“, der macht es falsch. Selbstoptimierungsfasten ist kein Fasten, weil es wirtschaftlich sinnvoll ist.

Aber aus irgendeinem Grund können wir uns aber nicht mehr aufopfern. Wir verkaufen unser Fasten, wir verkaufen es anderen und uns selbst und wir fasten so, als wäre unsere Seele ein Unternehmen, das sich „verschlankt“ um effizienter zu werden.

Pixabay | Freie kommerzielle Nutzung

Die Fastenzeit ist Fest des Aberglaubens geworden

Aber die menschliche Seele lässt sich, egal, was die Tausende von Psychoratgebern und Minimalismuspredigern da draußen verzapfen, nicht entschlacken. Weil sie genauso wenig Schlacken hat, wie der Körper.

Und das ist ein weiterer Punkt, bei dem ich nicht mehr mitkomme: Detox, Entschlackungskuren und derlei wären ja wenigstens noch nützlich, wenn sie einen nachweisbaren medizinischen Effekt hätten. Aber den haben sie nicht. Die Idee, dass Gifte aus der Nahrung sich im Körper in Form von Schlacken ablagern und dass dies durch bestimmte andere Nahrungsmittel rückgängig gemacht würde ist eine Erfindung der antiken und mittelalterlichen Medizin, als man noch glaubte, schwarze Galle, Phlegma, gelbe Galle und Blut wäre widerstreitende Säfte, die man durch Einnahme ihres „Gegenteil“ bekämpfen könne. Dies ist wissenschaftlich längst widerlegt. Der einzige Eingriff von außen, der den Körper tatsächlich „entgiften“ kann ist die Dialyse oder die Apherese und man muss Gott für jeden Tag seines Lebens danken, an dem man diese nicht benötigt.

Als Kritik an älteren Fastenregeln wird oft hervorgebracht, dass sie dem Menschen vermittelten, dass man sich das Heil durch regelgerechtes Verhalten erkaufen konnte, dass sich die Sünden wegfasten ließen, dass das Fasten als Strafe betrachtet wurde. Aber was genau ist denn nun der Unterschied zwischen dem „Überflüssigen“ und „Sünden“, „Achtsamkeit und innerem Frieden“ und dem „Heil“? Sind das nicht einfach nur hippere Vokabeln? Der moderne Mensch bestraft sich in seinem Fasten immer noch für den Exzess, für den unnötig vollen Kleiderschrank, für den Besuch bei Burgerking und die Grummeligkeit gegenüber dem Nachbarn. Er ist nicht klüger, nur weil er es geschickt psychologisiert oder gar in ein esoterisches Gewand kleidet.

Als Katholik sollte man sich gut überlegen, ob der Claim eines Detox-Produktes, beispielsweise „flüssiges Sonnenlicht“ zu enthalten, das mit seiner wärmenden Energie negative Gedanken verscheuche nicht für seinen Geschmack einen Ticken zu religiös daherkommt.

Ablenkung vom Nabel der Welt

Fasten ist nicht da, um uns glücklich zu machen. Zumindest nicht direkt. Fasten stellt uns an einen Abgrund, wir bekommen einen kurzen Geschmack auf die Leere, auf das Nicht-sein, das gekürzt- und ausgelöscht-werden, weil Fasten heißt: einfach weg-lassen, weg-geben, fort-werfen, ohne daran zu denken, was ICH dafür bekomme. Das Opfern und Auf-opfern ist letztlich so etwas, wie die Miniaturvariante des Todes, die Negation aller Gesetze und Prinzipien nach denen wir leben. Und die müssen wir erleben, damit wir an Ostern auch die Auferstehung begreifen können.

Wer aber immer nur auf seinen Nabel guckt, der sieht nicht in diesen Abgrund des Todes. Und er sieht auch nicht die aufgehende Sonne.

von Franziska Holzfurtner 

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