Dienstag, 19. März 2024

Werk Gottes oder Kirchenstasi? – Das „Sodalitium Pianum“ (1909-1921)

„Überschaut man gleichsam mit einem Blick das ganze System [des Modernismus], so wird niemand sich wundern, wenn Wir es als eine Zusammenfassung aller Häresien bezeichnen. Wenn jemand sich vorgenommen hätte, Kraft und Saft aller Glaubensirrtümer gleichsam zusammenzupressen, hätte es niemand besser machen können als jetzt die Modernisten. Ja sie sind noch weiter gegangen, bis dahin, nicht nur die katholische, nein, wie gesagt, alle Religion zu zerstören. Daher der Beifall bei den Rationalisten; die frei und offen redenden Rationalisten gratulieren sich, sie hätten nie, wirksamere Helfershelfer als die Modernisten gefunden.“ – So Pius X. in der Enzyklika „Pascendi“ (1907).

Um gegen Modernisten vorzugehen, empfahl der Papst einen innerkirchlichen Überwachungsrat ins Leben zu rufen, der an den diözesanen Überwachungsrat einiger mittelitalienischer Bistümer angelehnt sein sollte:

„Einen solchen Überwachungsrat wünschen wir baldmöglichst in den einzelnen Bistümern eingerichtet zu sehen. Seine Mitglieder sollen ebenso erwählt werden wie die Zensoren. Jeden zweiten Monat, an bestimmtem Tage sollen sie mit dem Bischof zusammenkommen; ihre Verhandlungen und Beschlüsse sind Amtsgeheimnis, ihre amtlichen Aufgaben sind diese: sorgsame Aufspürung aller Anzeichen und Spuren des Modernismus, in Büchern wie im Lehrunterricht, kluge, aber treffende und wirksame Vorschriften zur Bewahrung des Klerus und der Jugend.“

Das Sodalitium Pianum und Umberto Benigni

Einige wollten mehr. Der fanatische Kirchenhistoriker Umberto Benigni gründete 1909 das „Soldalitium Pianum“, die pianische Sodalität, einen innerkirchlichen Geheimdienst, benannt nach dem hl. Pius V. (1504-1572). Benigni nannte Pius X. „Mama“ (so Cornwell). Für Benigni war der Papst nicht nur der Unterstützer, sondern auch die segnende Hand seines Geheimdienstes. Benigni beschrieb sein Werk wie folgt:

„Wir sind integrale römische Katholiken. Wie es dieser Begriff anzeigt, akzeptiert der integrale römische Katholik vollständig (integral) die Lehre, die disziplinäre Ordnung und die Anweisungen des Heiligen Stuhls sowie alle ihre legitimen Konsequenzen für das Individuum und die Gesellschaft. Er ist ‚papal‘, ‚klerikal‘, antimodernistisch, antiliberal und antisektiererisch. Also ist er völlig (integral) konterrevolutionär, weil er nicht nur der Feind der jakobinischen Revolution und des sektiererischen Radikalismus ist, sondern auch des religiösen und sozialen Liberalismus.“

Benigni arbeitete bis 1911 an der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, einer Unterkongregation des Staatssekretariats, als Untersekretär. Seine eigentliche Aufgabe bestand in der antimodernistischen Propaganda. Das Hauptgeschäft galt der Pressearbeit gegen den Modernismus. Mit dem Sodalitium wollte er Modernisten aufspüren und beim Papst oder der Kurie anschwärzen. Das Sodalitium Pianum war das antimodernistische Geheimnetzwerk in der katholischen Kirche. Es ist nicht genau bekannt, wer genau seine Mitglieder waren. An der Kurie standen ihm drei Kardinäle nahe, die auch als „antimodernistische Trias“ bezeichnet wurden: Rafael Merry del Val, Kardinalstaatssekretär, Gaetano De Lai, der mächtigste Kardinal im Pontifikat Pius X. und Sekretär der Bischofskongregation und José Vives y Tutó, Lieblingskardinal und Beichtvater des Papstes und Präfekt der Religiosenkongregation. Zum weiteren Kreis Benignis zählen einige auch Eugenio Pacelli, den späteren Papst Pius XII.

Ein entschiedener Gegner von Benignis Tätigkeiten war Kardinal Pietro Gasparri, ein Kirchenrechtler, der gegen Ende des Pontifikats Pius X. entmachtet wurde. Erst unter Benedikt XV. stieg sein Stern wieder auf und er wurde Kardinalstaatssekretär. Nachdem Pius X. 1914 gestorben war und man über dessen Heiligsprechung diskutierte, sagte Gasparri über Pius X, , dass dieser als Papst eine Organisation gebilligt, gesegnet und ermutigt habe, um außerhalb und innerhalb der Hierarchie, sogar unter den Kardinalen, zu spionieren. Damit habe er eine Art von Freimaurerei in der Kirche etabliert, etwas Unerhörtes in der Kirchengeschichte.

Benigni merkte wohl Gasparris Unbehagen und bat 1911 aus dem kurialen Dienst auszuscheiden. Gasparri war seinerzeit Sekretär in der Kongregation an der Benigni arbeitete und hat Benigni selbst für das Amt des Unterstaatssekretärs empfohlen – aber einen Aufstieg Benignis stets ausgeschlossen. Benigni war bei vielen geradezu verhasst als Mann der Zwietracht, Spaltung, Missgunst und üblen Gerüchte. Nachdem er den Posten des Unterstaatssekretärs verlassen hatte, konnte er sich ganz seiner antimodernistischen Pressearbeit widmen und die Kurie geriet durch seine Methoden nicht in Verruf. Benigni scheute auch nicht davor zurück, radikale und fragwürdige Methoden anzuwenden, um den Modernisten auf die Schliche zu kommen. In ganz Europa hatte er Mitarbeiter, die ihm Bericht erstatteten.

Wie für einen Geheimdienst typisch, gab es Kosenamen. Benigni hieß „Charles, Arles, Charlotte, Lotte, Arz, Madame Arz“. Das Sodalitium nannte sich „la Sapinière“ Pius X. hieß „Michaëlis“ oder „la baronne Micheline“, nach Cornwell sogar „Mama“. De Lai hatte den Spitznamen „Tandel“ und Merry del Val „princesse George“.

1913 erkrankte Pius X. schwer. Im August 1913 erstellte Benigni daraufhin eine Liste von Kardinäle mit kurzen Charakterisierungen. Diese Liste sollte für das kommende Konklave eine Hilfe sein. Über Merry del Val schrieb Benigni mit Ausrufezeichen: „La Peur!“ De Lai galt als „à nous!“, womit wohl die Unterstützung für Benigni ausgedrückt werden sollte. Vives y Tutó war „très bon.“ Gasparri hatte eine längere Beschreibung, er sei ein „brave homme“, „libéral de bonne foi, par optimisme, ne comprend pas le danger théologique.“ Weiterhin tauchte der Name Gasparri bei der Beschreibung Martinellis auf. Über ihn hieß es: „libéral par par bonté, comme Gasparri.“ Über andere wichtige Personen an der Kurie wie Billot hieß es: „réactionnaire mais aveugle, dans la main de Merry del Val.“ Über Rampolla schrieb er: „homme supérieur, esprit plein d’illusions, rêveur, le Jules Verne de la politique ecclésiastique, le Crispi du gouvernement papal, mégalomane.“ Als liberal galt u .a. der Kardinal von Paris, Amettte („libéral furibond“) Kardinal Bisleti, der an der Kurie war, galt ihm als „libéral“ und Kardinal Cassetta als „très libéral par bêtise.“Der Kardinal von New York, Farley, war laut Benigni „libéral à l’américaine“ und der Kardinal von Turin, Richelmy, „libéral.“ Kardinal Falconio an der Kurie bezeichnete er als „nul et louche.“

Natürlich log Karlheinz Deschner, wenn er das Sodalitium eine „Kirchengestapo“ nannte. Das ist keine Zuspitzung, sondern offenes Ausleben von Kirchenhass. Denn das Sodalitium hat niemanden eingesperrt, gefoltert oder ermordet. Vielmehr überwachte, bespitzelte und spionierte man Verdächtige aus. Kirchenfeinde sollten ans Tageslicht kommen. Wenn jemand des Modernismus überführt wurde, konnte das dann dazu führen, dass der entsprechende Priester nicht Bischof werden konnte, gemaßregelt wurde oder in Verruf geriet. Psychomethoden sollen auch eine Maßnahme gewesen sein, sie sollten jedoch so unterschwellig wie möglich stattfinden. Eugenio Pacelli bediente sich auch Benignis Informationen, um zum Beispiel zu erfahren, welche Postionen der gewählte Nachfolger des Kölner Kardinals Fischer, Felix von Hartmann vertrete. Benigni fand keine Einwände und Felix von Hartmann wurde Kardinal und Erzbischof von Köln.

Das Ende des Sodalitium Pianums

Pius X. starb im August 1914. Der neue Papst hieß Benedikt XV. und war kein Freund Benignis. Die deutschen Kardinäle wählten Benedikt zum Papst und forderten Benignis Ende an der Kurie. Benigni verlor an Rückhalt und löste das Solalitium formal auf. Bereits ein Jahr später wurde es von Gaetano De Lai mit neuen Leitlinien wiedererrichtet. Das definitive Ende kam erst 1921. Während des Ersten Weltkriegs wurde kompromittierendes Material sichergestellt und nun veröffentlicht. Benigni wurde gezwungen sein Werk endgültig aufzulösen. Enttäuscht und verbittert wandte er sich Mussolini und dem Faschismus zu. Gasparri und Benedikt XV. galten im als Zerstörer der Kirche, die alles ruinierten. Benigni gründete einen neuen, einen faschistischen Geheimdienst und kämpfte nun vor allem für Mussolini und gegen Demokratie und gesellschaftliche Liberalisierungen. Er starb 1934 in Rom. Keiner seiner ehemaligen Priesterfreunde kam zu seiner Beerdigung.

Quellen und Literatur:

Pius X. Pascendi Dominici Gregis vom 8. September 1907 (lateinische Originalfassung), auf: http://www.vatican.va/holy_father/pius_x/encyclicals/documents/hf_p-x_enc_19070908_pascendi-dominici-gregis_lt.html (24.09.2020)

Benigni, Umberto, Programm des Sodalitium Pianum, deutsche Übersetzung des französischen Originals. Zitiert nach: Arnold, Claus, Kleine Geschichte des Modernismus, Freiburg i.Br. 2007, S. 128.

Arnold, Claus, Kleine Geschichte des Modernismus, Freiburg i.Br. 2007.

Cornwell, John, Hitler’s Pope. The Secret History of Pius XII, London 1999.

Deschner, Karlheinz, Die Politik der Päpste, Aschaffenburg 2013.

Fantappiè, Carlo, Chiesa Romana e Modernità Giuridica. Bd. 2: Il Codex iuris canonici (1917), Mailand 2008.

Götz, Roland, „Charlotte im Tannenwald“. Monsignore Umberto Benigni (1862–1934) und das antimodernistische „Sodalitium Pianum“. In: Weitlauff, Manfred, Neuner, Peter (Hrsg.): Für euch Bischof – mit euch Christ. Festschrift für Friedrich Kardinal Wetter um siebzigsten Geburtstag, St. Ottilien 1998.

Poulat, Émile, Intégralisme et Catholicisme Intégral, Tournai 1969.

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