Montag, 29. April 2024

Weihnachten mit Milch

Predigt von Pfarrer Hans Milch:

Weihnachten 1983 (Hirtenmesse)

Meine lieben Brüder und Schwestern,

was sind die Hirten? – Sie hüten des Nachts ihre Herde. Hirten sind sehr oft allein. Darin liegt Gefahr, wie jeder Seelsorger weiß, der schon in ländlichen Gegenden pastoriert hat. Aber darin liegt vor allem eine große Gelegenheit und eine heilige begrüßenswerte Chance, ein Segen. Die Hirten: Heute würde man sagen, das sind unterentwickelte Menschen. In unserem Zeitalter der verkehrten Begriffe rangieren Hirten, wie diese da, unter dieser Thematik: unterentwickelte Menschen, unterentwickelte Völker. Nach welchem Maßstab die Unterentwicklung gekennzeichnet wird, offenbart die ganze Geistesfinsternis des Jahrhunderts, in dem wir leben: „Sie konnten ja nicht lesen und nicht schreiben, die Hirten.“ Das ist diese Überschätzung von Lesen und Schreiben, so daß jeder, der des Schreibens kundig ist, meint, er sei deswegen geistiger als andere, die sich nicht mit Lesen und Schreiben beschäftigen. Nach dieser Vorstellung ist ein Büromensch, der Akten ordnet und auf Diktat schreibt, viel, viel geistiger als ein Handwerker, der ein Meisterstück mit seinen Händen schafft. Im Grunde ist der Handwerker, der mit seiner Hände Arbeit etwas erstellt, wesentlich geistiger als einer, der im Büro sitzt und schreibt. Aber das Schreiben steht hoch im Kurse und rangiert unter „Geist“. Das ist eine Verwirrung in unserem Zeitalter. Aber ganz und gar waren die Hirten selbstverständlich „unterentwickelt“, weil sie keine Polstersessel hatten und keine modernen Wohnungen und kein Radio kannten und kein Fernsehen. Was waren die „unterentwickelt“ gegenüber unserem geistig „hochentwickelten“ Zeitalter, wo lauter „hochgeistige“ Menschen rangieren. Wir brauchen nicht mehr zu denken. (Das ist ein Fortschritt. Stellen Sie sich das einmal vor!). Wir werden dauernd berieselt. Wir schauen ins Fernsehen. Wir bekommen alles vorgesetzt. Ununterbrochen werden wir bombardiert mit Eindrücken. Daß wir sie nicht bewältigen, was soll’s! Wir sind angestaut mit Eindrücken, und infolgedessen haben wir selbstverständlich über alles unsere Meinung und unsere Ansicht, reden über alles. Andere schreiben und schreiben und schreiben. Es wird geschrieben auf – wörtlich – Teufel komm heraus. Die ganze Erde reicht nicht aus, um sie mit all dem Papier zu bedecken, das ununterbrochen beschrieben wird. Es wird dafür weniger gelesen. Dafür ist das Bild eingetreten, eine rasche Folge von sich überschlagenden Bildern, welche die Seele zerstören.

So leben unsere „fortgeschrittenen“, „hochentwickelten“ Völker in Geistesfinsternis und in einer permanenten Umnachtung, während irgendwelche armen Fischer an der portugiesischen Küste oder sonst wo „entsetzlich unterentwickelt“ sind. Und man muß schleunigst herbei, um ihnen die technischen Errungenschaften zu bringen, damit sie endlich „geistige Menschen“ werden und auf den Gedanken, auf den makaberen und fatalen Gedanken kommen, auch Ansichten zu haben. Also schleunigst herbei mit all diesen Errungenschaften, um ja den einzelnen zu ersticken und nicht zum Atmen kommen zu lassen. – Nun also: Die heilige Schrift und der Heilige Geist denken über solche „unterentwickelten“ Menschen und „unterentwickelten“ Völker, die nicht lesen und nicht schreiben können, ganz entschieden und ganz wesentlich anders.

Da gibt es sogar eine Versammlung, die einmal im trüben Katalog menschlicher, geistiger Niederlagen verzeichnet werden wird, jene Versammlung von 1962 bis 1965, die sich sogar „Konzil“ nannte, Dort wird tatsächlich behauptet, die Menschen seien geistig weitergekommen und allgemein intelligenter geworden, und die Kirche müsse sich dieser inzwischen gewachsenen Intelligenz anpassen und gleichförmig machen. Das ist ein besonders amüsanter und pikanter Witz, der sich da gezeigt hat. – Nun, über alldem ist das, was der Heilige Geist uns mitteilt, weit erhaben. Und wir müssen ganz im Ernst eines bedenken gerade angesichts dieser Hirten, die da einsam leben, ohne Abwechslung, Tag für Tag immer dasselbe.

Wir wissen, daß wir in den Händen anonymer Mächte sind. Machen wir uns darüber nichts vor. Wir sind ohnmächtig gegenüber all diesen Gruppierungen und Organisationen und Geheimbünden im Hintergrund, die die Fäden in der Hand haben. Wer meint, kollektiv wirken zu sollen, der ist schon in der Hand dieser Hintergrundleute und ist Marionette dieser Gewalten, die nicht zu fassen sind, fest im Sattel sitzen, ungeheure Geldmittel haben. Man will die Ein-Welt herstellen – eine grausige Zukunftsvision von apokalyptischen Ausmaßen. Das ist die eigentliche Gefahr: die Ein-Welt, die „One world“, ohne Tradition, ohne Unterschiede, ohne Geschichte, ein Haufen von Termiten. Und man ist ja schon voll im Gange, immer mehr Masse zu züchten. Immer mehr Persönlichkeiten verlieren das, was die Persönlichkeit ausmacht. Immer mehr Menschen verlieren ihr ICH und taumeln im gleichen Schritt und Tritt mit einer immer breiter werdenden Masse – Masse jetzt qualitativ gesehen als eine Gefahr, als etwas Untermenschliches in jedem einzelnen, als etwas, was in jedem einzelnen wuchert und darauf aus ist, sein Einzelsein und seine Einzigkeit und seine Unverwechselbarkeit aufzufressen und zu verschlingen, damit er ja untergeht und eingeht und planiert wird und mitmacht, mitmacht, mitmacht. „Immer ‚Mit'“: das ist der große Imperativ, die Maxime, nach der die amerikanistischen – nicht „die Amerikaner“, nicht zu verwechseln mit „den Amerikanern“, aber der Amerikanismus – Tendenzen ausgerichtet sind. Amerika, Schmelztiegel der Nation, als Modell der Einwelt: Vor allem in der demokratischen Partei in den USA herrscht dieser Amerikanismus vor, dieser tödliche, geisttötende, menschentötende Amerikanismus. Und man ist in vollem Zuge, auch mit Hilfe all dieser voranschreitenden Technik, daß immer weniger Menschen von immer weniger etwas verstehen, daß alles auf technokratische Eliten sich konzentriert und darunter eine hilflose Masse zappelt, die dauernd mit den Bonbons der Suggestion gefüttert wird, sie wäre mündig und sie wäre intelligent, selbständig und könnte Ansichten und Meinungen haben. Es sind vor allem die vielen, vielen Leute mit den Minderwertigkeitskomplexen, die merken, daß sie nicht viel wert sind, daß sie im Grunde nichts besonderes darstellen. Ihr Fehler ist, daß sie etwas Besonderes sein wollen. Würden sie sich mit dem identifizieren, was sie sind, dann wären sie etwas. Würden sie sich auf den „letzten Platz“ setzen, dann würden sie die Stimme hören: „Freund, rücke höher hinauf!“ Aber die Stimme kommt von der anderen Seite. Die Uniform unserer Tage ist die Meinung, die alle Leute haben können. Jeder kann seine Meinungen haben. Das ist so eine Ersatzuniform, in der sich die Menschen als Mündige vorkommen.

Die Hirten, die nach Bethlehem eilen, sind diesem Gewirre und Gefunkel, diesem schwachsinnigen Treiben und diesen bösartigen Impulsen der geheimen Machthaber unserer Tage himmelhoch überlegen. Sie sind unendlich viel geistiger. Rationaler Vollzüge, logischer Vollzüge sind sie nicht fähig – sie sind geistige Menschen, geistiger Wahrnehmung fähig. Und darum konnten sie auch die Engel wahrnehmen. Die Engel sind keine Märchenfiguren wie die Feen oder Elfen oder Nixen und Gnome, sondern die Engel sind Realitäten. Wir erleben die Unverschämtheit des Weihnachtsbetriebes, des kommerziellen Weihnachtsbetriebes zur Adventszeit, wo sich die widerlichen Geschäftemacher der Romantik annehmen und das Weihnachtsfest so zu einer romantischen Farce degradieren mit Schneewittchen und Hänsel und Gretel und nebenbei der Krippe – lauter liebe, romantische Märchen –, Feen und Engel, alles so in einem Atemzuge genannt: Nein, die Engel sind für jeden geistigen Menschen eine Realität. Und auch die Götter der früheren Völker, bzw. der lebenden, unerlösten, von Christus noch nicht erleuchteten Völker, waren im Grunde nichts anderes als Engelerlebnisse, dämonische Engelerlebnisse oder andere. Die Engel ragen in unser Dasein hinein. Wir nehmen sie selbstverständlich nicht mehr wahr. Wir nehmen ja kaum noch den Himmel wahr mit seinen herrlichen Sternen. Wir atmen ja kaum noch die Herrlichkeiten der Landschaft. Wir sind ja nicht mehr Atem in Atem mit dem Boden, mit der Erde. Wir sind asphaltierte, verkommene Seelen, degeneriert bis in die Fußzehen.

Was ist dagegen zu unternehmen? Gibt es eine Gegenmacht? – Die Antwort ist sehr einfach. Gerade der, der vollkommen unterdrückt werden soll, ist die einzige Gegenmacht – der einzelne. Der einzelne ist alles, und der einzelne hat in Gott maßlose Macht. Und sehen Sie, die Hirten waren einzelne – einzelne – geistige Menschen; ihnen werden Engelerscheinungen zuteil, sie können Engel erfahren. Diese heutige Menschheit, dieses Gesudel von Masse, dieses Gesudel, das sich überall herumtreibt, kann selbstverständlich keine Engel mehr wahrnehmen. Und wenn ich „Gesudel“ sage, meine ich am allerwenigsten die, die in der gesellschaftlichen Ordnung als die „unteren Stände“ angesehen werden – bei denen ist noch viel Hoffnung –, sondern all dieses Gewimmel halb- und dreiviertelgebildeter Akademiker. Das ist das allerschlimmste Gesudel. Die auf den Stelzen ihrer eingebildeten Geistigkeit gehen: da ist es am allerschlimmsten. Wir können uns die Hirten nicht genug zum Vorbild nehmen. Ihr Vorbild ist das Alleinsein-Können, Einsamsein-Können, Sie-selber-sein-Können – ganz allein, barhäuptig unter dem flammenden Himmel. Und denen wird das Allerwichtigste gesagt, das Allernotwendigste und das eine und einzige, was not tut: „Fürchtet euch nicht. Euch ist heute in der Stadt Bethlehem der Erlöser geboren, Christus, der Herr.“ Und sie gehen eilends hin auf Antrieb des Engels, auf Antrieb des Geistes und finden das Kind und beten es an – im Schweigen. Kein Wort ist von ihnen berichtet außer „Laßt uns aufbrechen. Laßt uns gehen nach Bethlehem.“. Das ist etwas ganz anderes als die heutige, tückische, teuflische Masche vom „pilgernden Gottesvolk“. Das ist genau das Gegenteil davon. Denn das sogenannte „pilgernde Gottesvolk“ hat ja kein erreichbares Ziel, kein fixiertes, kein gekennzeichnetes Ziel. Es soll nur irgendwie hinausziehen auf die hohe See – der berühmte Mißbrauch jenes heiligen Ereignisses, in dem Christus die Jünger, die Fischer waren, zur ungünstigsten Stunde hinaussandte, um zu fischen zur morgendlichen Zeit. „Fahrt hinaus auf die hohe See“: dieses Wort wird nun umgedeutet, mißbraucht im Sinne, daß man sagt: „Fahrt hinaus auf die hohe See, ins Ungewisse.“ Die Kirche ist nach der Meinung der Progressisten und dieser Falschideologie auf dem Wege ins Ungewisse. Nur marschieren, immer marschieren, jeden gelten lassen, keine absoluten Behauptungen aufstellen, sondern nur losziehen im Vertrauen auf den Heiligen Geist. „Irgendwann wird es kommen, daß wir wissen, was los ist. Nur nicht so bald, sonst müßten wir uns ja binden.“ Nur gesucht und gesucht, aber ja nicht finden. Wer behauptet, er hätte etwas gefunden, der macht sich schon suspekt, der ist schon kommunikativ, nicht brauchbar. Sondern immer nur suchen, immer nur gehen, immer nur marschieren, wohin ist egal. Irgendwann und irgendwo wird es schon kommen. – Nein. Die Hirten brechen auf zu einem klaren, vom Engel und vom Geiste definierten Ziel. „Auf, laßt uns gehen nach Bethlehem, um zu schauen, was uns der Herr verkünden ließ!“ Um zu schauen, was uns der Herr verkünden ließ: das ist nichts anderes als das, was dich hierherbringt: um zu schauen, was der Herr dir verkünden ließ, um zu atmen den Geist, um wahrzunehmen das Eine, Einzige, Wichtige, aus dem sich alle Menschheitsgeschichte ableitet, von der aus alle Menschheitsgeschichte gerichtet wird in ihren guten, verheißungsvollen Zügen und in ihren Abwegen. Hier ist der einzige Maßstab. Hier ist das heilige Gericht. Unter dieses Gericht werden sie alle kommen: alle Professoren, alle Ingenieure, alle Techniker, alle Fortschrittler, alle Meinungsmacher, alle Publizisten. Sie alle werden unter das Gericht dieser einen und einzigen Notwendigkeit kommen, die da im Stalle von Bethlehem ist. – Und dann dieses Erstaunliche. Die Hirten staunten und wunderten sich. Großes haben sie erfahren. Sie hätten darüber nicht in einer Konferenz berichten können. Sie waren keine geölten Redner. Sie hätten nicht reden können – aber sie wußten. Sie waren des Geistes inne.

Von einer einzigen wird dieses „Aber“ gesagt, dieses erregende „Aber“. War sie denn die einzige, die sich damit befaßte, die davon nicht loskam, die, in Gedanken versunken., alle diese Ereignisse erwog? – Keineswegs. Alle Anwesenden waren davon ergriffen, der heilige Josef ganz gewiß, in seinem abgründigen Schweigen, in seinem Lichtschweigen. Aber dann heißt es: „Maria aber …“. Es bedarf nur dieses „aber“, um allen, die ein Mißtrauen haben gegenüber der Marienverehrung und den Mariengeheimnissen, die Widerlegung ins Antlitz zu schleudern. Dieses eine „aber“ ist es, das sie so hervorhebt: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Sie ist also Urbild, herausgehobenes Urbild, die eigentliche Bezugsperson zum menschgewordenen Gott, das auserwählte DU, das stellvertretend für die ganze Menschheit sich dem Logos zuwendet. – Über allem liegt der Atem des „dennoch“. Es war nicht vorauszusehen für den Menschen des Alltags, für den Menschen der Berechnung. Die da kalkulierten, saßen in Rom im Senat, wo „urbi et orbi“ die Gesetze herausgegeben wurden, „der Stadt und dem Erdkreis“, dort, wo sie an den Schalthebeln saßen, die wichtigen Politiker. Nach deren Kalkül konnte sich so etwas im Ernste nicht ereignen. Aber es ereignete sich.

Nach menschlichem Kalkül ist unsere Zukunft düster. Die Seelen verkommen und die Leiber sind bedroht wegen der unbewältigten Technik. Manche meinen, ich hätte etwas gegen die Technik – ganz und gar nicht –, aber gegen das Unbewältige, gegen den Bewußtseinsstatus, welcher der Technik nicht mächtig ist. Dagegen habe ich etwas. Und der ist allerdings zu verzeichnen. Noch nie war der Mensch so wenig Herr über diese Erde wie heute, weil er das, was auf ihn zukommt, nicht im Griff hat. Körperlich, seelisch, geistig ist der Mensch am Degenerieren. Nach allem menschlichen Kalkül kann es nicht gut werden. Der Christ, d.h. der Christusmensch, der Gottesmensch, im Vertrauen auf den Heiligen Geist wirkt dennoch in die Zukunft, zeugt und empfängt und gebiert und sagt „JA“ zum Kinde. Das „JA“ zum Kinde ist das heilige „Trotzdem“, das die einzelnen in diese Zeit hineinzurufen haben. Denn was der Geist will, demgegenüber ist alles Gemache der Menschen und sind alle pessimistischen Berechnungen nichts. Was der Geist will, das vollbringt der einzelne. Und die Familie sollte sein und ist die einzige Chance – sie ist nur zu nutzen – für das Werden des einzelnen. Darum sollten gerade wir, die wir an der Quelle und am Herdfeuer der Hoffnung gegen alle Hoffnung brüten, weilen und sinnen, die Zukunft nicht aus dem Auge verlieren, der Zukunft dienen, weil wir, aus der Vergangenheit lebend, die Zukunft prägen wollen – zeugen im Geiste, empfangen im Geiste, gebären im Geiste und im Leibe. AMEN.

Quelle: https://www.spes-unica.de/milch/texte/text.php?datei=1983_weihnachten

Lizenz: https://www.spes-unica.de/lizenz/

Ergänzend dazu eine Predigt:

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