Freitag, 29. März 2024

Vom Mühlstein und dem Angesicht meines Vaters – Der Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche

Von Clemens Victor Oldendorf

Jeder einzelne Fall des Kindesmissbrauchs, besonders des sexuellen, der pervers tief nicht nur den Körper verletzt, sondern in die Seele dringt, welchen katholische Bischöfe und Priester, Ordensmänner und –frauen begehen, ist einer zu viel. Freilich gilt die Unschuldsvermutung, doch jedem Verdacht muss nachgegangen, jede nachgewiesene Tat streng geahndet, jeder künftige Missbrauch mit allen Mitteln verhindert werden.

Dabei ist es völlig egal, wo die Täter und Beschuldigten stehen, ob sie liberal, konservativ oder betont traditionsverbunden sind. Jede kirchenpolitische Nutzbarmachung des Missbrauchs ist ein zusätzlicher Missbrauch. Unzulässig; egal, ob man darüber eine Lockerung der Zölibatspflicht oder andere liberale Reformen erreichen, oder diese im Gegenteil zurücknehmen und gerade wieder loswerden will. Je höher und strenger die moralischen Ideale und Forderungen sind, die nach außen verfochten werden, desto schlimmer jedenfalls, wenn jemand zum Täter wird.

Nicht in drei Tagen zu lösen

In einer Zusammenkunft in Rom, die ein paar Tage dauert und mit medial vermeintlich wirksamen Gesten angereichert ist, wird man das Problem und seine Strukturen nicht bewältigen und auflösen, nicht überwinden können. Überhaupt scheint es wenig geschickt und taktvoll, Missbrauchsopfer jetzt auch noch zu küssen – und sei es nur ihre Hand, könnte man mit einer gewissen Ironie hinzufügen, wenn Ironie hier nicht fehl am Platze wäre.

Es ist auch verständlich, wenn man sich auf den Kindesmissbrauch konzentriert. Denn dieser ist strafrechtlich nach staatlichen Gesetzen relevant. Einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen interessiert da keinen, auch nicht, wenn die, die ihn haben oder hatten, sich durch das Gelübde der Keuschheit oder das Versprechen der Ehelosigkeit vor der Kirche gebunden haben.

Ein zu abstrakter oder nicht geglaubter Gott

Das eigentliche Problem ist ein anderes. Nicht der Verlust der Glaubwürdigkeit, den man ebenfalls nur allzu gut verstehen kann. Eine solche Organisation kann wohl zu keinem moralischen Thema noch als moralische Instanz in der Gesellschaft ernstgenommen werden, selbst der Einsatz für den Lebensschutz wird unglaubwürdig, wenn man sich nach der Geburt dann in derart pervertierter Weise gegen das Leben von Kindern wendet und es ihnen auf Deutsch gesagt für den Rest ihres Lebens versaut.

Das eigentliche Problem scheint mir nicht ein Glaubwürdigkeitsverlust zu sein, sondern ein Verlust des Glaubens in der Kirche, vielleicht gar ein Verlust Gottes. Die religiöse Dimension fehlt völlig im Problembewusstsein, das man in ein paar Tagen Konferenz in Rom auf einen gemeinsamen Stand bringen wollte. Und an dieser Stelle muss man durchaus den Blick über das hinaus weiten, was vor dem Staat strafrechtlich relevant ist, also Kindesmissbrauch oder Sex, der nicht in beiderseitigem Einvernehmen zwischen Erwachsenen stattfindet, Vergewaltigung.

Gottesraub in gegenseitigem Einvernehmen?

Der Zölibat, das Versprechen oder Gelübde der Keuschheit, sind eine Bindung gegenüber Gott. Der Glaube ist zu wenig konkret. Gott verdunstet zu einem abstrakten Gegenüber. Verstöße gegen die Keuschheit durch Kleriker und Personen, die in Anspruch nehmen, gottgeweiht zu sein, sind nicht gewöhnliche Unzucht allein, sie stellen zusätzlich ein Sakrileg dar. Durch das Gelübde der Keuschheit wird der Körper der Person, die es ablegt, durch deren leib-seelische Einheit zu einer res sacra, zu einer heiligen Sache, die Gott gehört und geweiht ist, deutlich gesprochen: wie ein Messkelch, den man auch nicht für profane Zwecke missbrauchen darf. Selbst, wenn es zwischen den Beteiligten einvernehmlich geschieht, fehlt das Einvernehmen Gottes. Aber der scheint ja weit genug weg zu sein.

Der Täter ist es, der sündigt!

Wenn Ordensfrauen oder ehemalige Angehörige von Säkularinstituten berichten, von Priestern missbraucht und vergewaltigt worden zu sein, auch unter Missbrauch eines hierarchischen Gefälles oder Autoritätsverhältnisses, dann glaube ich ihnen, frage aber doch, wie weit die Manipulation reichen musste, dass man auch nur einen Moment lang glauben konnte, hier gehorchen oder schweigen zu müssen. Die Vergewaltigte hat nicht gesündigt – keine Frage.

Doch sie wusste doch, dass auch der Priester an den Zölibat und die Tugend der Keuschheit gebunden ist. Ich kann mir das eigentlich nur psychologisch erklären, durch eine Art Paralyse und psychischer Schockstarre aufseiten des Opfers, zumal, wenn es ansonsten reflektiert und offensichtlich intelligent ist. Aufseiten eines Täters muss es noch düsterer aussehen, etsi Deus non daretur. Das gilt natürlich alles auch für homosexuelle Beziehungen und Akte und unabhängig davon, ob zwischen Pädophilie und Homosexualität oft, bisweilen oder nie ein Zusammenhang besteht.

„Ihre Engel im Himmel schauen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel“

Die Überschrift, die dieser kurzen Intervention den Titel gibt,  greift auf Matthäus 18, 6-10 zurück. Ich lade ein, die Stelle insgesamt zu lesen und greife die Rahmenverse  6 und 10 heraus: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zur Sünde verführt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.“  Im aktuellen Kontext möchte man statt „verführt“ intuitiv „missbraucht“ übersetzen. Und: „Ihre Engel im Himmel schauen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.“ Gleich doppelt steht „im Himmel“.

Wir sind auf Erden. Und doch ist uns, ist der Kirche, der Himmel entschwunden. Ich will nicht den drohenden Beigeschmack des: „Ein Auge ist, das alles sieht, auch wenn’s in dunkler Nacht geschieht“ hervorkramen, aber es liegt hier das Problem: Wir stehen nicht mehr unter Gottes Angesicht, nehmen Ihn nicht ernst und für voll. Das muss sich ändern, oder es wird sich nichts ändern, und dann ist es sogar gut, wenn eine solche Kirche in Staat und Gesellschaft keine Rolle mehr spielt.


Der Artikel erschien zuerst auf kathnews.de und darf nach Absprache hier veröffentlicht werden.

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