Donnerstag, 28. März 2024

„Chartres ruft Dich“ – Als Protestant auf Chartres-Wallfahrt

Von Konrad Gill

Chartres sonne, Chartres t’appelle,

gloire, honneur au Christe-Roi!

(Chartres läutet, Chartres ruft Dich,

Ruhm und Ehre dem Christkönig!)

Als Protestant auf die Chartres-Wallfahrt? Das sorgt für Verblüffung und Stirnzrunzeln. Und dann noch mit „denen“, den „Tradis“, einem von vielen in der Amtskirche bestenfalls mit Skepsis beobachteten Milieu. Doch viele befreundete Katholiken der Tradition hatten die Teilnahme dringend empfohlen und so schloss ich mich der Kölner Gruppe an, die sich unter die Fürsprache von Anna Katharina Emmerick gestellt hatte.

Die Kathedrale von Chartres, eine der bedeutendsten Kirchen der Christenheit, bewahrt seit mehr als 1100 Jahren ein Stück Tuch von dem Gewand, das Maria bei der Verkündigung getragen haben soll. Wegen der herausgehobenen Stellung dieser Reliquie für Katholiken, aber auch der besonderen Stellung von Chartres innerhalb der Tradition des katholischen Frankreich, ist die Wallfahrt von Paris, aus dem Herzen des Landes, hinaus ein sowohl spirituelles wie kulturelles christliches Ereignis von weit überregionaler Bedeutung.

Doch die Chartres-Wallfahrt ist mehr als ein Pilgerzug. Sie ist auch ein Symbol und eine Machtdemonstration des katholisch-konservativen, traditionsorientierten, patriotischen Frankreich. Aus diesem Milieu heraus entstand die Bewegung „Manif pour tous“, die 2013 eine Million Bürger gegen „Gender-Mainstreaming“-Politik und die Zerstörung der Familie auf die Straße brachte. Und das Milieu ist auch die wohl größte, wenn auch nicht immer sichtbare, Bedrohung für jede französische Politik, die sich zu weit nach links neigt. Die hunderten von uniformierten, schneidig auftretenden Pfadfindern, generell das anständig-unmoderne Auftreten vieler Pilger aller Generationen, die Standarten, Feldzeichen und Fahnen aus der bourbonisch-monarchistischen Tradition sowie der antirevolutionären Vendée-Erhebung sprechen für sich. Eine solche starke Gegenkraft mit viel Zusammenhalt und Durchhaltevermögen zu erleben, ist gerade für einen Deutschen ungewöhnlich und reizvoll.

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Die 100 Kilometer können damit nicht nur eine individuelle Erfahrung sein, die aus dem Alltag heraushebt, zu Demut und Einsicht in die menschliche Begrenztheit zwingt (schon allein wegen der sich bald einstellenden Erschöpfung) und Gott näherbringt. Auch in der Begegnung mit anderen Christen, im gemeinsamen Gebet und Gesang, bei der Katechese unterwegs genauso wie beim Gespräch im Zeltlager, entstehen Eindrücke, die auch für bewusste Christen unter gewohnten Bedingungen nicht zu erreichen sind. Schließlich ist die Wallfahrt ein ästhetisches Erlebnis, sei es wegen der über Weizenfeldern in langer Kolonne wehenden Fahnen aus aller Welt oder sei es wegen der wunderschönen Lieder und Gebetsrufe, die von Gruppe zu Gruppe hin und her fliegen und von morgens bis abends kein Ende nehmen.

So lassen sich die Mühen der Fahrt freudig ertragen. Niemand lässt sich gehen, niemand zeigt schlechte Laune, geflucht wird schon gar nicht. Verpflegung und nächtliche Unterkunft sind ausgesprochen spartanisch, das reicht und passt zur Wallfahrt, die kein Erholungsurlaub sein kann und sein darf. Freiwillige fahren diejenigen, die wirklich nicht mehr laufen können, zum nächsten Rastplatz. Die Führer der einzelnen Marschgruppen (nach regionaler Herkunft zusammengefasst) sorgen mit Megaphonen für gute Laune, Ablenkung oder Sammlung und Ausrichtung auf den Glauben – je nach Bedarf. Junge Pfadfinder erfreuen bis zur Ankunft an der Kathedrale mit ihrem Gesang die anderen Pilger, lassen auch mit zerrissenen Uniformen und blutigen Füßen keine Müdigkeit erkennen und verziehen keine Miene. Wer nicht mehr laufen kann, wird von anderen gestützt. Jeder kann dieses Ziel erreichen, jeder wird es erreichen.

Auf der Chartres-Wallfahrt lässt sich „Kirche auf dem Weg“ erleben – so wie hier Tausende von Katholiken der Welt des äußeren Scheins entfliehen und nicht nur Chartres, sondern auch ein anderes Leben suchen, so sind Christen seit 2000 Jahren durch alle Zeiten und äußeren Veränderungen hinweg auf dem Weg hin zu dem einen Ziel Christus.

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